28.03.2023 | Musikgeschichte

Genanalyse: Woran Beethoven gestorben ist

Ein internationales Forschungsteam hat durch eine Analyse des Genmaterials in Haarsträhnen von Ludwig van Beethoven neue Erkenntnisse über den Gesundheitszustand, das Leben und die Familienverhältnisse der berühmten Komponisten gewonnen. Der Musikwissenschaftler John D. Wilson von der ÖAW war als Beethoven-Experte an der Arbeit beteiligt. Im Interview spricht er über falsche Beethovenlocken und den Einfluss, den die Lebensumstände auf das Schaffen von Künstler:innen haben.

Ein erhöhtes Risiko für Lebererkrankungen und Alkoholkonsum könnten zusammen mit einer Hepatitis B-Infektion zum Tod Ludwig van Beethovens geführt haben. © Wikimedia Commons

„Wir wissen jetzt, dass Beethoven definitiv nicht an einer Bleivergiftung gestorben ist“, sagt John D. Wilson, Musikhistoriker am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Stattdessen ist der berühmte Komponist durch Zirrhosen gestorben, die sich aus einer Kombination aus bestehender Vorerkrankung, hohem Alkoholkonsum und Hepatitis B entwickelt haben.

Das konnte ein internationales Team nun aufgrund der kompletten Entschlüsselung von Beethovens Erbgut feststellen. Mehr als 30 Forscher:innen waren an der Untersuchung beteiligt, die kürzlich im Fachjournal Current Biology erschienen ist, darunter auch John D. Wilson von der ÖAW.

Beethovens Haare

Die wichtigste Frage zuerst: Woher wissen wir eigentlich, dass die untersuchten Haarsträhnen Beethoven zuzuordnen sind?

John D. Wilson: Die Forscher:innen hatten insgesamt acht Haarsträhnen zur Verfügung, von denen sie fünf als echt bestätigen konnten. Diese fünf Haarproben stammen nachweisbar alle von derselben Person und bei zwei davon lässt sich die Herkunft durch Aufzeichnungen lückenlos zurückverfolgen. Für eine Haarsträhne gibt es sogar eine persönliche Notiz von Beethoven selbst, die sagt “Das sind meine Haare”. Die Haarproben wurden zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 1820 und kurz nach Beethovens Tod entnommen. 

Für eine Haarsträhne gibt es sogar eine persönliche Notiz von Beethoven selbst, die sagt “Das sind meine Haare”."

Wie kam es zu dieser kuriosen Notiz?

Wilson: Beethoven hatte einst eine Bewunderin, die Ehegattin des befreundeten Musikers Anton Halm, die sich unbedingt eine Haarlocke des Maestros wünschte. Karl Holz, Beethovens Sekretär, hat sich einen Spaß erlaubt und ihr eine Strähne Ziegenhaar geschenkt. Als Beethoven das mitbekommen hat, war er erbost und hat der Dame eine echte Strähne seines Haars überreicht, mit der oben erwähnten Notiz als Echtheitszertifikat.

War das Überreichen von Haarsträhnen damals üblich?

Wilson: Die Stammbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert findet man sie häufig. Robert und Clara Schumann zum Beispiel haben darin Haarlocken all ihrer Freunde, darunter auch Berühmtheiten wie Johannes Brahms, gesammelt.

Leid und Krankheiten

Warum hat man sich entschieden, Beethovens DNA zu analysieren?

Wilson: Beethoven hat Zeit seines Lebens mit gesundheitlichen Problemen gekämpft. In seinem Heiligenstädter Testament hat er auch festgehalten, dass er seine Überreste der Medizin zur Verfügung stellen möchte, um seine Leiden besser zu erforschen. Er wollte auch, dass sein Körper nach seinem Tod obduziert wird. Zudem ist er eine berühmte Person der Geschichte, für deren Werk das körperliche Leid zentral war. Es gibt einen Haufen Literatur über Beethovens Gesundheitsprobleme und Musikhistoriker:innen haben entsprechendes Interesse daran, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Beethoven wollte, dass sein Körper nach seinem Tod obduziert wird."

Welche neuen Erkenntnisse hat die DNA-Analyse gebracht?

Wilson: Einige Theorien konnten entkräftet werden. Wir wissen jetzt, dass Beethoven definitiv nicht an einer Bleivergiftung gestorben ist. Eine berühmte Haarsträhne Beethovens, über die sogar ein Buch geschrieben wurde, konnte als Fälschung erkannt werden: Sie gehörte einer Frau aschkenasischer Abstammung. Andere Theorien wurden durch die Analyse bestätigt. Wie schon lange vermutet worden war, hatte Beethoven Hepatitis B. Das Erbgut des Erregers konnte in den Haarproben nachgewiesen werden. Es wurden auch Hinweise auf eine genetische Disposition zu Leberproblemen gefunden. Das stärkt die These, dass Beethoven am Ende durch eine Kombination aus bestehender Vorerkrankung, hohem Alkoholkonsum und Hepatitis B Zirrhosen entwickelt hat, die ihn das Leben gekostet haben.

Vorliebe für Alkohol

Wie hoch war der Alkoholkonsum?

Wilson: Seine Freunde sagten, dass er zu jedem Mahl eine Flasche Wein getrunken habe, aber kein Alkoholiker sei. Für die damalige Zeit scheint das also noch eine übliche Konsummenge gewesen zu sein. Dass Beethoven dem Alkohol nicht abgeneigt war, kann man einem Brief entnehmen, den er an seinen Hausarzt schrieb: “Weißen Wein mit Wasser sollte ich schon trinken dürfen”, heißt es dort.

Beethovens Freunde sagten, dass er zu jedem Mahl eine Flasche Wein getrunken habe."

Welche Rätsel konnte der DNA-Test nicht lösen?

Wilson: Historiker:innen haben sich erhofft, dass auch für seine Taubheit und seine Probleme mit seinem Verdauungstrakt genetische Ursachen gefunden werden können. Wir konnten zwar einige Dinge wie Glutenunverträglichkeit oder Reizdarmsyndrom ausschließen, aber einen konkreten genetischen Auslöser für diese Probleme konnte mit den momentan verfügbaren Analysemethoden nicht gefunden werden. Aber Beethovens Genprobe ist jetzt quelloffen verfügbar und kann in Zukunft mit noch genauerer Verfahren untersucht werden.

Was haben wir über Beethovens Abstammung gelernt?

Wilson: Wir haben die DNA von fünf lebenden Belgiern mit dem Namen Van Beethoven analysiert, deren Stammbäume einen gemeinsamen Vorfahren mit dem Komponisten aufweisen. Obwohl sie infolgedessen ein Y-Chromosom mit ihm hätten teilen müssen, war dies nicht der Fall. Daher gab es irgendwo in den sieben Generationen vor ihm ein so genanntes EPP-Ereignis (Extra-Pair Paternity, Anm.). Mit anderen Worten: In mindestens einer Generation war der rechtliche beziehungsweise soziale Vater nicht mit dem biologischen Vater identisch.

Beethovens Genprobe ist jetzt quelloffen verfügbar und kann in Zukunft mit noch genauerer Verfahren untersucht werden."

Wie wird man als Musiker und Musikhistoriker in einer biologischen Fachpublikation zitiert?

Wilson: Die Forscher:innen haben mich 2020 an Bord geholt, weil ich an einem Buch über den jungen Ludwig van Beethoven arbeitete. Dafür hatte ich mich ausgiebig mit dem Familienhintergrund des Komponisten beschäftigt. Ich habe in Zoom-Meetings mit den Biolog:innen einmal pro Monat mein historisches Wissen geteiltund später in den Archiven nachgeforscht, um die Frage zu beantworten, in welcher Generation das EPP-Ereignis stattgefunden haben könnte. Weiters habe ich lebende Nachfahren von Beethovens Neffen aufgespürt und überzeugt, DNA-Proben für einen Vergleich abzugeben. 

Schwierige Familienverhältnisse

Was bedeuten diese neuen Ergebnisse für die Beethovenforschung?

Wilson: Über diese Frage habe ich lange nachgedacht. Es sind auf jeden Fall neue Fragen aufgeworfen worden. Das außereheliche Ereignis in der Familie könnte zum Beispiel auf eine angespannte oder sogar zerrüttete Familiensituation hinweisen. Das könnte für Historiker:innen eine Spur sein, die sie verfolgen können. Oft wird gesagt, dass solche neuen Informationen über Künstler:innen uns nichts Neues über ihre Kunst verraten können. Ich glaube, dass das nicht stimmt. Beethoven war eine lebendige Person aus Fleisch und Blut, die trotz körperlicher und spiritueller Rückschläge meisterhafte Kompositionen geschaffen hat. Die Lebensumstände haben einen Einfluss auf das emotionale Leben von Künstler:innen und damit auch auf ihr Schaffen. Wenn ich meine Vorbilder nicht nur als Statuen, sondern als echte Menschen sehen kann, bringt mich das auch der Musik näher.

 

AUF EINEN BLICK

John D. Wilson absolvierte das Studium des Klavier-Konzertfachs und der Musikwissenschaft an der Baylor University, Texas, USA und der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 2013 ist er Mitarbeiter bei zwei FWF-Projekten zur Hofmusik in Bonn zur Zeit des jungen Beethoven. Er forscht am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Publikation:

“Genomic analyses of hair from Ludwig van Beethoven”, Tristan James Alexander Begg et al, Current Biology, 2023
DOI: https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.02.041 (Open Access)