13.12.2020 | Coronamutationen

Einzelne Mutationen machen Impfstoffe nicht unwirksam

Das Coronavirus mutiert kontinuierlich. Könnte das die Wirksamkeit von Impfstoffen beeinflussen? Diese Sorge gab es zuletzt nach den Funden von Sars-CoV-2-Mutationen bei Nerzen in Dänemark. ÖAW-Mikrobiologe Andreas Bergthaler gibt Entwarnung und erklärt im Interview, was genau passiert, wenn ein Virus mutiert.

Impfstoffe wirken auch dann noch, wenn SARS-CoV-2 mutiert.
Impfstoffe wirken auch dann noch, wenn SARS-CoV-2 mutiert. © Shutterstock

Wir alle wissen: Viren mutieren. So auch das aktuelle Coronavirus. Und: Auch Tiere können es in sich tragen. Vor allem Katzen, Hunde, Frettchen, Hamster und Nerze scheinen für Sars-CoV-2 anfällig zu sein. Aus Angst vor einer gefährlichen Mutation des Virus bei Nerzen wurden im November in Dänemark Millionen Tiere auf Pelzfarmen gekeult, offenbar weder rechtlich noch wissenschaftlich gedeckt.

Aber: Wie begründet ist die Sorge, dass das in den dänischen Nerzen oder anderen Tieren gefundene mutierte Virus die Wirksamkeit von Impfstoffen abschwächen könnte? „Es ist unwahrscheinlich, dass eine einzige Mutation dazu führt, dass ein Impfstoff auf einmal nicht mehr wirksam ist“, sagt Andreas Bergthaler, der am CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht.

Wie gelangte Sars-CoV-2 Virus zu den Nerzen?

Andreas Bergthaler: Sehr wahrscheinlich wurde es vom Menschen eingetragen. Schon im April gab es dazu eine Studie in den Niederlanden. Dort wurden Fälle von respiratorischen Erkrankungen in Nerzbeständen beschrieben, die als Infektionen mit Sars-CoV-2 bestätigt wurden. In den Niederlanden hat man daraufhin – also relativ früh – begonnen, diese befallenen Bestände zu keulen. In einer weiteren holländischen Studie im September wurde gezeigt, dass das Virus offensichtlich vom Menschen auf die Nerze übergehen kann. Und: Es wurden Beweise dafür gesammelt, dass es sich auch umgekehrt verhält, also dass das Virus von den Nerzen auch wieder auf den Menschen zurückspringen kann.

Nerze sind kein Sonderfall in der wechselseitigen Übertragung mit dem Coronavirus?

Bergthaler: Es ist bekannt, dass das Virus grundsätzlich in verschiedenen Spezies propagieren kann. Das hat man experimentell unter Laborbedingungen untersucht. Man kann nichthumane Primaten, Katzen, Frettchen, Hamster, Kaninchen und auch Fledermäuse experimentell infizieren.

Letztgültig ist noch nicht geklärt, wo für Sars-CoV-2 der zoonotische Ursprung ist, also von welcher Tierspezies das Virus auf den Menschen übertragen wurde. Fledermäuse sind ein sehr wahrscheinlicher initialer Wirtsorganismus. Aber ob dazwischen noch ein anderes Tier war? Pangoline standen eine Zeitlang am Pranger.

Letztgültig ist noch nicht geklärt, wo für Sars-CoV-2 der zoonotische Ursprung ist, also von welcher Tierspezies das Virus auf den Menschen übertragen wurde.

Und zu den Nerzen: Grundsätzlich ist es insbesondere in der derzeitigen pandemischen Situation sehr fragwürdig, wenn eine Tierpopulation auf extrem hoher Dichte gehalten wird und man weiß, dass sie mit Sars-CoV-2 infiziert werden kann und dort auch Menschen unmittelbar arbeiten.

Die Nerze trugen ein mutiertes Coronavirus in sich. Mutiert das Virus so schnell?

Bergthaler: Bei jedem Lebewesen, das ein Genom in seinen Zellen trägt, kann es zu gewissen Kopierfehlern bei der Ablesung des Genoms kommen. Während das bei Menschen in sehr langen Zeiträumen passiert, finden diese evolutionären Prozesse bei Viren und gerade bei RNA-Viren sehr viel schneller statt. Bei Sars-CoV-2 sehen wir auch in den österreichischen Stämmen, die wir sequenziert haben, eine ungefähre Mutationsrate von 2 Mutationen pro Monat. Das bezieht sich auf das Virusgenom von 30.000 Basen, d.h. es mutiert kontinuierlich.

Und was bewirken diese Mutationen?

Bergthaler: Theoretisch kann eine einzige Mutation schon einen großen Effekt haben. Allerdings wurde bisher nur bei äußerst wenigen Mutationen die Wirkungsweise beschrieben, also z.B. ob dadurch das Virus infektiöser wird oder nicht.

Bei Sars-CoV-2 sehen wir auch in den österreichischen Stämmen, die wir sequenziert haben, eine ungefähre Mutationsrate von 2 Mutationen pro Monat.

Um welche Mutation hat es sich in Dänemark gehandelt?

Bergthaler: Unter anderem handelt es sich um Mutationen im sogenannten Spike-Protein, das an der Oberfläche des Virus sitzt. Das Spike-Protein hat zwei wichtige Funktionen: Erstens dockt dieser Eiweißstoff an den zellulären Rezeptor an, das ist ACE2. Wenn sich hier eine Mutation in der Region bildet, die mit der Zelle interagiert, könnte es sein, dass dies die Infektiosität verändert – erhöht oder verringert.

Die zweite wichtige Eigenschaft des viralen Spike-Proteins – und darum ging es auch in Dänemark: Die überwiegende Mehrzahl der Antikörper, die das Virus neutralisieren, sind alle auf das Spike-Protein gerichtet, weil das an der Oberfläche sitzt. Antikörper, die im Rahmen von Impfstoffen und auch von einer natürlichen Immunantwort hervorgerufen werden, verhindern, dass das Virus an die Zelle andocken kann. Man kann sich das so vorstellen, dass die Antikörper statt dem zellulären Rezeptor an dem Spike-Protein anbinden.

Kann dies die Wirksamkeit eines Impfstoffes tatsächlich abschwächen?

Bergthaler: In der Theorie ist es vorstellbar, dass eine Mutation dazu führt, dass einzelne Antikörper nicht mehr so gut binden können. Aber: In der Regel induzieren solche Impfstoffe sehr viele unterschiedliche Antikörper. Es ist daher unwahrscheinlich, dass eine einzige Mutation dazu führt, dass ein Impfstoff auf einmal nicht mehr wirksam ist.

In der Regel induzieren Impfstoffe sehr viele unterschiedliche Antikörper.

Was Dänemark betrifft: Es gab dazu bisher keine wissenschaftliche Publikation. Laut meinen Informationen war auf den ersten Blick gar nicht klar, warum hier so eine Aufregung herrscht. Mutationen im Spike-Protein sind per se nichts Neues. Medial wurde allerdings vermittelt, dass das der Anfang einer neuen Erkrankung sein kann, eine Art Covid-20. Dafür fehlt wissenschaftlich gesehen aber jede Evidenz.

Wie viele Mutationen sind derzeit beschrieben?

Bergthaler: International sind schon über 200.000 Virusgenome sequenziert und unzählige Mutationen im gesamten Genom von SARS-CoV-2 beschrieben. Aber es ist eine Sache, diese Mutationen zu identifizieren und zu katalogisieren. Eine andere und viel herausfordernde Aufgabe ist, herauszufinden, was diese Mutationen bewirken. Dazu braucht man Experimente, Tiermodelle etc. Von all den tausenden Mutationen gibt es eine einzige, die mit Abstand am besten beschrieben ist: Das ist die Mutation D614G im Spike-Protein, die Ende Jänner aufgetreten ist.

International sind schon über 200.000 Virusgenome sequenziert und unzählige Mutationen im gesamten Genom von SARS-CoV-2 beschrieben.

Wir haben sie am CeMM der ÖAW auch schon in unseren sehr frühen Cluster-Analysen gefunden, also z.B. in Ischgl und in Wiener Clustern im Frühjahr. Diese Mutation hat sich weltweit durchgesetzt, was ein Hinweis sein könnte, dass dies zu einer erhöhten Infektiosität führt. Aber es können auch Zufälle sein, wie beispielsweise sogenannte Gründereffekte im Verlauf der Pandemie, warum sich eine Mutation durchsetzt.

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Bergthaler ist Forschungsgruppenleiter am CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er studierte an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Forschungsarbeit führte ihn u.a. an die ETH Zürich, die Universität Genf und das Institute for Systems Biology in Seattle. 2015 wurde er mit einem Starting Grant des European Research Council (ERC) ausgezeichnet.

Die Mutationsdynamik des Coronavirus in Österreich verfolgen Wissenschaftler/innen des CeMM  der ÖAW zusammen mit Kooperationspartnern bereits seit dem Frühjahr. Die gewonnenen Daten sollen zu einem besseren Verständnis der Mutationswege und der Evolution der österreichischen SARS-CoV-2-Virenstämme beitragen.

Website des Projekts