27.04.2023 | Neues Buch

Dummheit ist die schlechteste Medizin

Zwischen Missgunst und Unverständnis: In ihrem neuen Buch „Als die Dummheit die Forschung erschlug“ schildert ÖAW-Historikerin Daniela Angetter die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin.

Eine Ärztin greift sich ironisch lächelnd auf den Kopf
Heute greift man sich bei manchen historischen Auseinandersetzungen in der Medizin an den Kopf. So wurde etwa Ignaz Semmlweis, der die Ursachen des Kindbettfiebers erkannte, von Kollegen als „Nestbeschmutzer“ angefeindet. Der Wiener Mediziner Friedrich Schürer von Waldheim beschrieb das einst als eine Zeit, „in der die Dummheit die Forschung erschlug“. © Adobe Stock

Weltbekannte Ärzt:innen und innovative Behandlungsmethoden haben die österreichische Medizin ins internationale Spitzenfeld gebracht – und das schon seit Jahrhunderten. Doch genauso lange wurden viele dieser bahnbrechenden Leistungen verpönt und massiv kritisiert, von Kolleg:innen wie von Politiker:innen.

Die Historikerin Daniela Angetter-Pfeiffer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat diese schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin detailreich recherchiert. Ihr neues Buch „Als die Dummheit die Forschung erschlug“ ist jetzt im Amalthea Verlag erschienen.

NOBELPREISTRÄGER VOR GERICHT

In ihrem neuen Buch widmen Sie sich dem Spannungsfeld von Pioniergeist und konservativer Ignoranz in der österreichischen Medizingeschichte. Gibt es dazu einen aktuellen Anlass?

Daniela Angetter: Erinnern wir uns an die Anfänge der Corona-Pandemie und an die vielen unterschiedlichen Aussagen von Expert:innen zur Verbreitung des Virus oder zu den Impfstrategien. Die herausfordernden Arbeitsbedingungen in den Spitälern und Ambulanzen, die finanziellen Belastungen und teilweise auch der Kampf mit der Politik haben die Pandemiebekämpfung ebenso erschwert. Aber: Diese Problematiken sind nicht neu, sie begleiten Ärzte bereits seit Jahrhunderten.

Woher stammt der Titel „Als die Dummheit die Forschung erschlug“?

Angetter: Der Wiener Mediziner Friedrich Schürer von Waldheim beschrieb die Zeit, in der Ignaz Semmelweis aus Wien ausgewiesen wurde, als eine „in der die Dummheit die Forschung erschlug“. Semmelweis entdeckte Mitte des 19. Jahrhunderts die Ursachen des Kindbettfiebers und führte die Händedesinfektion ein.

Ludwig Haberlandt, ein wichtiger Vorreiter in der Entwicklung der Antibabypille, warf man vor, gegen moralische Normen zu verstoßen. Er nahm sich mit 47 Jahren das Leben."

Wenn man sich anschaut, wie schwierig es für manche Forscher war, sich mit ihren Erkenntnissen durchzusetzen, dann sind Leute wie Ignaz Semmelweis oder Guido Holzknecht zu nennen. Holzknecht kämpfte sein Leben lang um die Anerkennung der Radiologie und hat dafür sogar mit dem Leben bezahlt. Oder Ludwig Haberlandt zum Beispiel, ein ganz wichtiger Vorreiter in der Entwicklung der Antibabypille. Ihm warf man vor, gegen moralische Normen zu verstoßen. Er nahm sich mit 47 Jahren das Leben.

In Ihrem Buch finden sich viele prominente Namen.

Angetter: Viele Ärzte haben mit ihren Entdeckungen zunächst Schiffbruch erlitten und mussten gegen Neid, Unverständnis, Zurückweisung und Widerstand ankämpfen. Selbst große Namen, wie Robert Bárány, Karl Landsteiner, Julius Wagner-Jauregg, alle bekannte Medizin-Nobelpreisträger, wurden mit Mobbing-Vorwürfen konfrontiert, wurden aus Österreich noch vor der NS-Zeit vertrieben oder landeten vor Gericht. Manche Ärzte haben sogar für sich selber Disziplinarverfahren beantragt – nur um ihre Ideen auch vor Gericht darstellen zu können.

MEDIZIN-MEILENSTEINE TROTZ WIDERSTAND

Trotz der großen Widerstände kämpften sie für ihre Ideen. Können Sie Beispiele für Meilensteine geben, die bis heute nachwirken?

Angetter: Einer der Meilensteine in der Medizin ist die Anerkennung von Obduktionen hinsichtlich der Diagnosestellung. Man hat zwar davor auch obduziert, aber Carl von Rokitansky hat sich im 19. Jahrhundert gemeinsam mit Joseph Ritter von Škoda dafür eingesetzt, dass die Obduktionen die Basis der klinischen Forschung bilden. Anhand vieler Obduktionen erkannte man, wie sich Organe im Inneren des Körpers verändern und lernte so, richtige Diagnosen zu stellen.

Viele Ärzte mussten gegen Neid, Unverständnis, Zurückweisung und Widerstand ankämpfen – selbst große Namen wie Karl Landsteiner oder Julius Wagner-Jauregg."

Ein anderer Meilenstein war die frühe Etablierung der Augenheilkunde in Wien. Der Hintergrund: Josef II. hatte selbst Augenprobleme und wusste um die Wichtigkeit von Augenärzten. Deshalb ordnete er seinem Augenarzt Joseph Barth an, jedes Jahr mindestens zwei Augenärzte auszubilden, einen für den zivilen, den anderen für den militärischen Bereich. Das kam allerdings gar nicht gut an, denn man fürchtete die Konkurrenz. Einer der Schüler Barths, Georg Joseph Beer, musste sich dieses Wissen heimlich durch Beobachtung abluchsen – und verschaffte der Augenheilkunde in Wien zu Weltrang.

Oder auch Lukas Boër, ein früher Geburtshelfer, der schon im 18. Jahrhundert ein Verfechter der sanften Geburt war – in einer Zeit, in der viele Gynäkologen als „Zangengötter“ bezeichnet wurden, weil sie so häufig mit der Geburtszange hantierten. Er verschwand leider später in der Versenkung, verschaffte aber zuvor der Wiener Gynäkologie ihre ersten großen Erfolge.

ÄRZTESTREIT IM ARCHIV

Sie schreiben ein wichtiges Stück Wissenschaftsgeschichte. In welchen Archiven haben Sie dazu geforscht?

Angetter: Es findet sich vieles im Universitätsarchiv, im Archiv der ÖAW, im Staatsarchiv, aber natürlich auch in der Gesellschaft der Ärzte und im Josephinum. Auch die Bibliothek im AKH bildet eine wichtige Grundlage. Neben den Akten sind die Tageszeitungen und die medizinischen Fachzeitschriften eine wichtige Quelle, weil genau dort auch immer wieder über diese Diskrepanzen und Widerstände publiziert wurde. Dort entdeckt man auch historische Streitigkeiten in den verschiedenen Stellungnahmen einzelner Ärzte.

Wie haben Sie ausgewählt?

Angetter: Ich habe mir einerseits spezielle Fachgebiete angeschaut und andererseits versucht einen Querschnitt über die Jahrhunderte zu geben. Eine Herangehensweise war auch zu fragen, ob sich die Situation für Pioniere und Pionierinnen über die Jahrhunderte verändert hat, ob es im 18. Jahrhundert schwieriger gewesen ist als heute?

Manche Ärzte haben sogar für sich selber Disziplinarverfahren beantragt – nur um ihre Ideen auch vor Gericht darstellen zu können."

Ihre Antwort?

Angetter: Es zeigt sich, dass die Probleme die gleichen bleiben. Das sehen wir etwa bei Johann Peter Frank, einem der Begründer der Hygiene und der Sozialmedizin, der schon im 18. Jahrhundert – als Basis für die Gesundheit – Bildung, Bewegung, gesunde Ernährung und leistbare Wohnungen für alle Menschen forderte. Er war überzeugt: Gesundheitsvorsorge muss leistbar sein. Ähnliche Forderungen gibt es auch in der Gesundheitspolitik im 20. und 21. Jahrhundert. Wenn man sich die Geschichte ansieht, haben sich die Ideen nicht viel verändert.

 

AUF EINEN BLICK

Daniela Angetter-Pfeiffer ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig. Zudem ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW.

Zum Buch:

Daniela Angetter-Pfeiffer, „Als die Dummheit die Forschung erschlug“, 256 Seiten/28 Euro, Amalthea Verlag. Die Buchpräsentation findet am 27. April um 19 Uhr im Thalia-Buchgeschäft auf der Wiener Mariahilfer Straße statt.