13.12.2022 | Kulturelles Erbe

Digitale Fundstelle für vergessenen Wortschatz

Absent, Feierabender, ameiseln, ätzen, Ampel: Einige dieser fünf Begriffe kennen wir noch. Aber was haben sie früher bedeutet? Und warum haben sie ihren Sinn verändert? Antworten darauf findet man im weiterentwickelten Online-Wörterbuch zu bairischen Mundarten, wie Redakteur und ÖAW-Sprachforscher Philipp Stöckle schildert.

Das "Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich" sammelt und präsentiert - seit mehreren Jahren auch digital - wertvollen sprachlichen Schatz. © Adobe Stock

Wie riecht es, wenn man ameiselt? Welchen Job übten Feierabender aus?  Und warum kann ätzend durchaus positiv gemeint sein? Die Sprache ist ständig im Wandel, manche Begriffe sterben aus, andere verändern ihre Bedeutung. Der ÖAW-Sprachforscher Philipp Stöckle vom Austrian Centre for Digital Humanities und Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich mit diesen Umbrüchen. Er arbeitet in der Sprachwissenschaft und kennt viele Dialektwörter und Ausdrücke, die nur mehr selten verwendet werden.

Stöckle ist Redakteur des „Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“, einem Langzeitprojekt der ÖAW, das den bairischen Wortschatz in Österreich und dem benachbarten Südtirol dokumentiert. „Das Projekt wurde 1912 initiiert, Laien wie Lehrer:innen oder Pfarrer sind damals auf einen Aufruf der ÖAW hin losgezogen und haben Leute befragt, welche Wörter sie wofür verwenden“, erzählt Stöckle: „Insgesamt ist dabei eine Sammlung von rund 3,6 Millionen Handzetteln zustande gekommen, von denen später ein großer Teil in jahrelanger Arbeit abgetippt wurde.“

Web-Lexikon für Interessierte

Im Jahr 2020 wurden die ersten Wörterbuchartikel ab dem Buchstaben F dann gemeinsam mit der WBÖ-Datenbank auf dem „Lexikalischen Informationssystem Österreich“ (LIÖ) online gestellt. Nun wurde auch der erste, bislang nur gedruckt vorliegende, Band mit dem Buchstaben A, retrodigialisiert. Im Rahmen dieser Digitalisierung wurde auch die Suchfunktion verbessert und vereinfacht. So fand man im gedruckten WBÖ die Jeans unter dem Eintrag Tschin, was die Auffindbarkeit erschwerte. Das Online-Dialektwörterbuch soll sich nämlich nicht nur an Expert:innen und Sprachforscher:innen wenden, sondern auch an interessierte Laien. Weitere neue Funktionen, wie etwa die Möglichkeit, zwischen einzelnen Begriffen zu blättern, laden folglich auch zum Schmökern in alten oder vergessenen (Dialekt-)Begriffen ein.

Welche Informationen hält das Online-Dialektwörterbuch dabei für seine Web-Besucher:innen bereit? Das veranschaulicht Stöckle anhand von fünf Wörtern, die unsere Urgroßeltern noch gekannt und verwendet haben - und die im Laufe der Jahrhunderte mitunter auch eine gänzlich andere Bedeutung bekamen.


absent

Ein wenig hochgestochen und nach Beamtendeutsch klingt das Wort absent nach wie vor. Es bedeutet: körperlich (aber auch geistig) nicht anwesend, nicht zugegen sein. Der Begriff stammt aus der Rechtssprache und ist ein Kanzleiwort. In Urkunden wird belegt, dass jemand mit einer Strafgebühr belegt wurde, weil er abwesend vom Amtsort gewesen ist. Gleichzeitig hatte absent aber auch eine verwegene Note: In der Gaunersprache, dem sogenannten Rotwelsch, bedeutete absent nämlich davonlaufen. Man floh, um einer Strafe zu entgehen. Das klingt schon gleich aufregender.

†Feierabender

Neben dem Wort steht ein Kreuz, was bedeutet, dass es ausgestorben ist. Wahrscheinlich, weil es auch den dazugehörigen Beruf nicht mehr gibt. Ein Feierabender ist ein Weinhüter, der nach Feierabend die Weingärten bewacht. Der Begriff stammt aus dem 17. Jahrhundert aus dem Tiroler Raum. Feierabend kennen wir heute noch, das Wort bedeutet das Ende des Arbeitstages, Muße-, Frei- und Ruhezeit. Feierabend machen konnte aber auch ein Synonym für sterben sein.

ameiseln

Wissen Sie, wie Ameisen riechen? Ameisensäure, auch Methansäure, ist eine farblose, klare und ätzende Flüssigkeit. Ameisen verwenden sie, um sich vor Feinden zu schützen. Bis zu 50 Prozent ihres Körpergewichts macht diese Säuremischung aus. Sie reizt die Haut der Angreifer. Deshalb gab es einmal im Steirischen das Wort ameiseln, also nach Ameisen(säure) riechen. Das Wort âmißeln konnte aber auch bedeuten: brennen, stechen, jucken, kribbeln, also alles, was man auf der Haut verspürt: als liefen Ameisen darüber. Aber auch ein Bein oder der Arm können ameiseln, wenn es prickelt, weil es eingeschlafen ist. Dann sprach man auch von wommasln.

ätzen

Du bist so ätzend! Das sagt man heute umgangssprachlich, wenn jemand nervt. Ätzen war aber lange ein positiver Begriff, der nicht unbedingt mit Säure zu tun hatte. Die Grundbedeutung war: Füttern, Essen in den Mund geben, aber auch kleine Kinder mit Essen versorgen und junge Tiere aufziehen. Die standardsprachliche Bedeutung mit chemischen Mitteln (besonders Säuren und Laugen) zerstörend auf die Oberfläche eines festen Stoffes einwirken lässt sich auf die Vorstellung des „Zerfressenwerdens“ durch Chemikalien zurückführen und beginnt sich seit dem 15. Jahrhundert zunächst in der Medizin, später vor allem in der Drucktechnik, Metallbearbeitung und Chemie durchzusetzen. In der Jägersprache ist der alte Wortsinn Jungvögel mit Futter versorgen noch erhalten (neben ätzen auch atzen), auch in dem Substantiv Atzung, im Sinn von Fütterung der Jungvögel beziehungsweise Futter für Jungvögel.

Ampel

Die Ampel regelt den Verkehr auf einer Kreuzung. Lange aber war die Ampel einfach ein Gefäß für Brennöl, insbesondere in Kirchen vor dem Altar. Oder ein Öllämpchen, das man im Schlafzimmer als Nachtlicht oder zur Ehre eines Muttergottesbildes aufgestellt hatte. Ursprünglich kommt das Wort von dem lateinischen ampulla (kolbenförmiges Gefäß mit zwei Henkeln). Die Bedeutung Beleuchtungsanlage, die der Verkehrsregelung dient (Verkehrsampel) erhält das Wort in den 1920er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Dafür braucht es schließlich Elektrizität.

 

AUF EINEN BLICK

Mit dem „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“ entsteht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in einem Langzeitprojekt das Dialektwörterbuch des bairischen Sprachraums in Österreich und Südtirol. Während das Wörterbuch bisher gedruckt erschien, steht es inzwischen mit mehreren Buchstaben auch im Lexikalischen Informationssystem Österreich (LIÖ) frei zugänglich im Web zur Verfügung und wird laufend erweitert.

lioe.dioe.at