18.11.2022 | Akademievorlesung

Das Schwarze Loch: Wiege und Grab von Galaxien

Nobelpreisträger Reinhard Genzel widmete sein Forschungsleben der Jagd nach dem Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie. Am 21. November erzählte er im Festsaal der ÖAW von seiner einzigartigen Forschungsreise, die mit Albert Einstein begann und schließlich zu Sagittarius A* führte.

Fotografische Aufnahme des Schwarzen Lochs: Ein diffus orangener Ring umkreist einen dunklen Mittelpunkt
Das erste Bild eines Schwarzen Lochs aufgenommen vom Event-Horizon-Teleskopverbund. Zu sehen sind der „Schatten“ von Sagittarius A*, umgeben von einem hellen Ring aus heißer Materie. © EHT Collaboration/Wikimedia Commons

Die Milchstraße: Hunderte von Milliarden von Sternen, aufgefädelt an Spiralarmen, die um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreisen. Was aber befindet sich in diesem galaktischen Zentrum? Dank der Forschungen von Reinhard Genzel haben wir darauf eine Antwort: ein gewaltiges Schwarzes Loch mit einer Masse von über 4 Millionen Sonnen, bekannt als Sagittarius A*.

Der Weg zu dieser Erkenntnis war reich an Überraschungen – und lang. Denn es war bereits Albert Einstein, der mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie das theoretische Konzept für die Existenz eines Schwarzen Loches entworfen hatte. Nachgewiesen werden konnten Schwarze Löcher jedoch erst Jahrzehnte später. Dass sich eines davon im Zentrum unserer Milchstraße befindet, bedurfte schließlich mehr als 40 Jahre der Untersuchungen und Forschungen. Am Ende standen nicht nur die Bestätigung, dass sich in unserer Galaxie alles um ein Schwarzes Loch dreht, das inzwischen als das am besten nachgewiesene Schwarze Loch gilt – sondern im Jahr 2020 auch der Physik-Nobelpreis für Genzel. 

Im Interview und bei einer Akademievorlesung in Wien gewährte der Nobelpreisträger nun auf Einladung der ÖAW-Kommission für Astronomie Einblicke in diese jahrzehntelange Forschungsreise.

Sagittarius A* - 27.000 Lichtjahre entfernt

Wir haben mittlerweile ein Foto von Sagittarius A*. Hätten sie das am Anfang ihrer Karriere für möglich gehalten?

Reinhard Genzel: Ich verstehe natürlich, dass das Bild für die Öffentlichkeit wichtig ist, weil es das Phantastische greifbarer macht. Für uns Physiker ist ein Schwarzes Loch eine inzwischen mehr als hundert Jahre alte Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein, die wir quantitativ testen wollen. Auf dem Bild sehen wir nicht das Schwarze Loch selbst, sondern seinen Schatten mit einem leuchtenden Ring, der entsteht, weil das Schwarze Loch von aus unserer Perspektive dahinter liegenden Objekten beleuchtet wird. Die starke Gravitation lenkt dieses Licht ab und so entsteht der helle Ring.

Wir beginnen gerade erst, die Evolution des Universums zu verstehen."

Welche Evidenz haben wir bisher, dass Sagittarius A* ein Schwarzes Loch ist?

Genzel: Unsere beste Evidenz bislang basiert auf den Bahnen von Gaswolken und Sternen, die sich im Gravitationsfeld bewegen. Durch das Messen von Abstand und Geschwindigkeit können wir Rückschlüsse auf die Stärke der Gravitation und damit die Masse des Schwarzen Lochs ziehen. So konnten wir bestätigen, dass die Gravitation so stark ist, dass auf so engem Raum nur noch ein Schwarzes Loch als Ursache in Frage kommt. Die vorher angesprochene Lichtablenkung und der Schatten auf der Aufnahme des scharzen Lochs sind weitere gute Indizien. Zusätzlich könnte man auch die Gravitationswellen messen, die bei der Bewegung von Massen durch die Verzerrung der umgebenden Raumzeit entstehen. Im galaktischen Zentrum ist eine Analyse der Gravitationswellen derzeit aber noch nicht möglich, weil unsere Instrumente nicht sensitiv genug sind. SagA* ist etwa 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das ist im kosmischen Maßstab zwar praktisch um die Ecke, aber trotzdem ist es beeindruckend, dass unsere Methodik uns über diese Distanz Experimente erlaubt.

SagA* ist etwa 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das ist im kosmischen Maßstab praktisch um die Ecke."

Was haben wir in den vergangenen Jahrzehnten über Schwarze Löcher gelernt?

Genzel: Wir wissen heute, dass es mehrere Kategorien von Schwarzen Löchern gibt. SagA* gehört zu den massereichen Schwarzen Löchern, die wir in den Zentren von Galaxien finden, mit Millionen bis Milliarden von Sonnenmassen. Analysen zeigen, dass praktisch jede Galaxie über so ein Objekt im Zentrum verfügt, das im Schnitt etwa 0,2 Prozent der gesamten Galaxienmasse ausmacht. Diese Schwarzen Löcher haben über Milliarden Jahre Material gesammelt und konnten deshalb so groß werden. Sie wachsen praktisch mit ihren Galaxien mit. Meistens verhalten sich diese Giganten ruhig, aber wenn sie eine aktive Phase haben, nennen wir sie galaktische Kerne oder im Extremfall Quasare. Das sind dann die spektakulärsten Lichtquellen, die wir kennen, weil sie auf kleinstem Raum sehr viel Energie in Strahlung umwandeln. 

Schwarzes Loch mit 4,3 Millionen Sonnenmassen

Welche Arten von Schwarzen Löchern gibt es noch?

Genzel: Wenn ein sehr schwerer Stern das Ende seiner Wasserstoffreserven erreicht, kommt es zu einer Supernova und ein Teil seiner Masse kollabiert zu einem Schwarzen Loch. Diese Objekte sind deutlich kleiner und wir können sie nur entdecken, wenn sie sich durch den Gravitationslinseneffekt verraten, also die Ablenkung von Licht dahinterliegender Sterne.

Was können wir in Zukunft noch über SagA* lernen?

Genzel: Die Masse kennen wir inzwischen recht genau, sie liegt bei 4,3 Millionen Sonnenmassen. Die Rotation konnten wir bisher aber nicht bestimmen, das ist eine Herausforderung für die kommenden Jahre. Bisher beschränkt sich unser Wissen auf die Ereignishorizonte von Schwarzen Löchern, die von der Masse und der Rotation bestimmt werden. Längerfristig ist die große Frage, was hinter den Ereignishorizonten liegt. 

Selbst wenn wir mit einer Rakete in ein Schwarzes Loch fliegen könnten und das Innere genau erforschen, könnten wir die Information nicht zurückschicken, weil die Gravitation zu stark ist."

Was ist der Ereignishorizont?

Genzel: Das ist die Grenze, ab der selbst Licht der Gravitation nicht mehr entkommen kann. Man darf sich das nicht als feste Oberfläche vorstellen, wir sehen das heute als Grenze für die Kommunikation. Selbst wenn wir mit einer Rakete in ein Schwarzes Loch fliegen könnten und das Innere genau erforschen, könnten wir die Information nicht zurückschicken, weil die Gravitation zu stark ist.

Ein fiktiver Flug ins Schwarze Loch

Was würde mit uns und unserer Rakete passieren?

Genzel: Wir könnten nicht anhalten und würden unaufhaltsam ins Zentrum des Schwarzen Lochs fliegen, wo sich nach heutigem Verständnis die gesamte Masse, die das Loch je verschluckt hat, in einem Punkt konzentriert. Das klingt für die meisten Menschen wahrscheinlich erstaunlich, mich als Physiker macht es aber skeptisch. Ich glaube nicht an diese Singularität im Zentrum. Die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt, dass Unendlichkeiten sich meistens in Luft auflösen, wenn unser Wissen wächst. Die meisten Theoretiker:innen vermuten, dass unter den extremsten Gravitationsbedingungen die Quantenartigkeit der Schwerkraft ins Spiel kommt und in diesem Bereich fehlt uns momentan das Verständnis. 

Direkt um das Schwarze Loch ist der Teufel los."

Wissen wir, ob Galaxien oder Schwarze Löcher zuerst entstanden sind?

Genzel: Das ist aus heutiger Sicht ein Henne-oder-Ei-Problem. Wir gehen davon aus, dass Schwarze Löcher und Galaxien gemeinsam entstehen und wachsen. Schwarze Löcher bestimmen das Schicksal von Galaxien jedenfalls entscheidend mit. Unsere Milchstraße ist eine mehr oder weniger fertiggestellte Galaxie, es entstehen nur noch etwa ein bis zwei Sterne pro Jahr. Vor zehn Milliarden Jahren sind pro Jahr hingegen zwischen zehn und hundert neue Sterne entstanden. Das lag auch daran, dass SagA* damals weniger massiv, aber dafür aktiver war. Wir beginnen gerade erst, die Evolution des Universums zu verstehen. 

Wie gewöhnlich ist SagA* im Vergleich?

Genzel: SagA* ist etwas kleiner als der Durchschnitt und auch sein Anteil an der Gesamtmasse der Milchstraße ist etwas niedriger. Die Menge an vorhandener Dunkler Materie beeinflusst, wie schnell Material bei der Galaxienentstehung nach innen fallen kann, weil dafür der Drehimpuls überwunden werden muss. Der Masseanteil der zentralen Schwarzen Löcher an ihren Galaxien kann relativ stark schwanken und die Evolution des Universums ist ja noch nicht am Ende. Große Galaxien können kollidieren und ihre Schwarzen Löcher verschmelzen. Dabei wird auch Drehimpuls abgebaut und es kann mehr Gas ins Zentrum strömen, wodurch das neu entstandene Schwarze Loch weiter wächst. 

Anfang und Ende von Galaxien

Was würde ich sehen, wenn ich SagA* mit eigenen Augen betrachten könnte?

Genzel: Das wäre spektakulär, aber sehr ungemütlich! Direkt um das Schwarze Loch ist der Teufel los. Hier gibt es sehr starke Magnetfelder, Röntgenstrahlung und Schockwellen, die sich durch extrem heißes Plasma bewegen. Alle ein bis zwei Tage blitzt das Schwarze Loch auf und sendet Strahlung aus, weil kleinere Materiemengen in das Loch stürzen. Das können wir auch von der Erde aus beobachten und bekommen so eine Vorstellung von den Temperaturen und der Stärke der Magnetfelder. 

Was passiert, wenn sehr viel Material in ein Schwarzes Loch fällt?

Genzel: Wenn Materie einfällt, entstehen Strahlung und heißes, ionisiertes Plasma. Die Strahlung kann bei großen Mengen so stark werden, dass kein anderes Material mehr nachkommen kann. Das stellt eine Grenze für die maximale Wachstumsrate dar, das sogenannte Eddington-Verhältnis. Wird dieses überschritten, kann die Strahlung das komplette Gas einer Galaxie auf mehrere Millionen Grad aufheizen. Eine Kühlung ist dann kaum mehr möglich und die Galaxie ist praktisch tot. Das ist eine Möglichkeit, wie aktive Spiralgalaxien wie unsere zu passiven Sternhaufen werden. 

Das heißt, Schwarze Löcher stehen am Anfang und Ende der Evolution von Galaxien?

Genzel: Ja, sie sind Wiege und Grab, das hätten wir vor 30 Jahren noch nicht gedacht. Ein Schwarzes Loch hat trotz seines geringen Anteils an der Galaxienmasse enormen Einfluss. Das liegt daran, dass Masse hier etwa tausendmal effizienter in Energie umgewandelt wird, als bei der Kernfusion. So können Energiemengen freigesetzt werden, die deutlich größer sind als die Bindungsenergie einer Galaxie. 

 

AUF EINEN BLICK

Reinhard Genzel, 1952 in Deutschland geboren, ist einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Der Astrophysiker studierte und forschte unter anderem an der Universität Bonn, am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts, an der University of California, Berkeley sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist Genzel seit Langem eng verbunden, nicht zuletzt als Mitglied im Forschungskuratorium der ÖAW.