27.01.2023 | Gebirgsforschung

Bergbewohner müssen sich immer wieder anpassen

Bergbevölkerungen sind besonders von klimatischen Veränderungen betroffen. Vergangenen September fand zum zweiten Mal die International Mountain Conference in Innsbruck statt, die Gebirge auch als Lebensräume versteht. Der ÖAW-Geograph Fernando Ruiz Peyré war an der Organisation beteiligt. Im Interview gibt er einen Einblick in eine Gebirgsforschung, die weit über Mineralogie oder Gletscherforschung hinausgeht.

© Pexels/Chavdar Lungov

Was macht die International Mountain Conference (IMC) besonders?
Gebirgsforschung wird oft als rein naturwissenschaftliche Domäne wahrgenommen. Das stimmt aber bei weitem nicht. Mich als Humangeograph interessieren zum Beispiel soziale Prozesse in menschlichen Lebensräumen im Gebirge. Das ist auch ein zentrales Motiv der Konferenz gewesen: Hier bringen sich auch die Sozialwissenschaftler ein.

Die Bedingungen in Gebirgen verändern sich oft schnell und die Gesellschaften, die hier leben, müssen sich immer wieder anpassen.

Es geht also um die Auswirkungen von Gletscherschmelze und Klimawandel?
Nicht nur die Umwelt ändert sich. Wir untersuchen auch, wie sich geänderte Voraussetzungen auf eine Gesellschaft auswirken. Die Frage ist nicht nur, warum Gletscher verschwinden, sondern auch, was das für die Menschen bedeutet. Die Bedingungen in Gebirgen verändern sich oft schnell und die Gesellschaften, die hier leben, müssen sich immer wieder anpassen.

Wie können sich die Bedingungen konkret ändern?
Klimaveränderungen sind in der Menschheitsgeschichte immer wieder passiert und lokale Akteure mussten sich regelmäßig auf Änderungen in der Verfügbarkeit von Wasser und landwirtschaftlichen Flächen einstellen. In Zukunft werden sich die Menschen in hoch gelegenen Lebensräumen wieder anpassen müssen, zum Beispiel wenn neue Pflanzenarten höhere Lagen erobern. Das gilt für Lebensräume in den Alpen genauso wie für jene in den Anden oder im Himalaya.

Wie reagieren Gesellschaften auf diese Herausforderungen?
Unter harschen Bedingungen haben sich oft neue Organisationsformen entwickelt, die eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber raschen Veränderungen zeigen. Diese Strukturen erlauben oft eine effiziente Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen, sie kommen aber durch Globalisierung, globale Wirtschaftssysteme und soziale Veränderungen zunehmend unter Druck. Noch gibt es vielerorts spezialisierte, auf Landwirtschaft basierende Strukturen, von denen wir lernen können, aber die Tendenz ist abnehmend. 

In den Bergen passieren oft soziale Innovationen, um besser mit Umweltveränderungen umgehen zu können.

Wie sehen solche Strukturen aus?
Oft handelt es sich um lokal organisierte Systeme, die eine gemeinschaftliche Nutzung von natürlichen Ressourcen ermöglichen. In Europa kennen wir das zum Beispiel in Form von genossenschaftlich organisierten Nutzflächen in den Alpen. In anderen Regionen der Welt gibt es oft indigene Gruppen, die gemeinschaftlich organisierte Lebensformen praktizieren. In den Bergen passieren oft soziale Innovationen, um besser mit Umweltveränderungen umgehen zu können. Da gibt es einen ständigen Wandel, der oft auch neu verfügbare Technologien mit einbezieht.

Gibt es aktuelle Beispiele für solche alternativen Konzepte?
Auf der IMC hat beispielweise unser peruanischer Projekt-Kollege einen Vortrag gehalten über kooperativ organisierte Strukturen, die in den Anden seit Jahrzehnten genutzt werden, um die Wasserverfügbarkeit für die lokale Bevölkerung zu optimieren. Dabei werden traditionelle Arten der Bewirtschaftung mit westlichen Wirtschaftskonzepten kombiniert. Im Ergebnis stehen den Menschen mehr Weideflächen und Wasser zur Verfügung und die Umwelt erholt sich gleichzeitig von den radikalen Eingriffen der jüngeren Vergangenheit, weil der Druck durch Überweidung zurückgeht. 

Wie unterscheiden sich die Probleme in den Gebirgen der Welt?
Die Trends und Probleme sind oft ähnlich. In den Alpen sehen wir zum Beispiel, dass die traditionelle Almwirtschaft und die saisonale Weidewanderung mit Tieren unter Druck kommen. Der Tourismus ist ein starker Konkurrent bei der Nutzung der Alpflächen und Personal für die Bewirtschaftung ist zunehmend schwer zu finden. Dazu kommt natürlich die Klimaerwärmung. Hier müssen Lösungen gefunden werden, um die Ressourcen auch in Zukunft optimal zu nutzen.

Ist die Wanderung mit Tieren im Sommer in höhere Lagen überhaupt noch sinnvoll?
Die Bedeutung nimmt sicher ab. Die Wanderung der Schafhirten mit ihren Tieren aus dem Südtirol ins Ötztal gibt es seit hunderten von Jahren. Heute wird sie aber vor allem aus Traditionsbewusstsein durchgeführt, ein wirtschaftlicher Mehrwert ist kaum mehr gegeben. Ähnliche Situationen gibt es in allen Gebirgsregionen der Welt. Es wird zunehmend schwerer für Landwirte in diesen Regionen, Nachfolger zu finden. Die Arbeit ist hart und der Zugang zu den entsprechenden Flächen wird vielerorts immer schwieriger. Die Familien werden zudem kleiner und in vielen Regionen gibt es eine Abwanderung in die Städte.

Viel Forschung auf ihrem Gebiet passiert im Rahmen des EU-Projekts “Highlands.3”. Worum geht es da?
Wir verfolgen einen komparativen, transdisziplinären Ansatz, mit starkem Fokus auf gesellschaftliche Entwicklungen. Wir führen zum Beispiel jeden Tag Interviews mit Projekten und deren Initiatoren in unterschiedlichen Gebirgsregionen der Welt. Zuletzt habe ich etwa mit einer jungen Familie gesprochen, die einen Biohof am Berg führt. So entsteht Wissen, das einfach zugänglich ist und auch für Entscheidungsträger sichtbar wird. Die ÖAW ist Koordinator des Projekts und arbeitet mit über 40 Partnern weltweit zusammen. Besonders wichtig ist, dass wir nicht nur die oft dominante eurozentristische Perspektive einnehmen, sondern auch Erfahrungen aus anderen Regionen mit einbeziehen, in Asien, Afrika und Lateinamerika. Am Ende können wir alle viel voneinander lernen.

 

Auf einen Blick

Fernando Ruiz Peyré ist Projektkoordinator für das EU-Forschungsprojekt HIGHLANDS.3, das die nachhaltige Entwicklung von Berggebieten erforscht.  

Vom 11. bis 15. September 2022 fand die International Mountain Conference 2022 in Innsbruck statt. Das Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) der ÖAW war als offizieller Parter maßgeblich daran beteiligt.