29.11.2021 | Depopulation

“Schrumpfende Bevölkerungen bringen viele Vorteile”

Sinkende Einwohnerzahlen und alternde Populationen werden oft als Problem dargestellt. Jane O’Sullivan von der australischen Universität Queensland kommt in einer Analyse von OECD-Daten zu einem anderen Schluss: Schrumpfende Bevölkerungen könnten helfen, Probleme wie Verteilungsgerechtigkeit und Klimawandel zu lösen, sagt die Forscherin, die an einer Konferenz mit ÖAW-Beteiligung zum Thema Depopulation teilnimmt.

Seit den 1960er-Jahren wächst die Weltbevölkerung unaufhörlich. Für Klima, landwirtschaftliche Flächen aber auch Arbeitsmärkte wird das zu einem Problem. © Unsplash/Alexas Fotos

Eigentlich ist Jane O’Sullivan Expertin für Agrikultur. Doch der Weg von der Landwirtschaft zur Demographie war für die Australierin nicht weit. „Unsere landwirtschaftlichen Böden kommen zunehmend unter Druck, wenn die Bevölkerungen weiter wachsen“, sagt O’Sullivan, die an der University of Queensland forscht. „Die Nahrungsmittelversorgung zu sichern ist mathematisch unmöglich, wenn Populationen stetig weiterwachsen“, erklärt sie und liefert damit ein Argument, warum „Depopulation“, also sinkende Bevölkerungszahlen, nichts Nachteiliges sein müssen.

„The Causes and Consequences of Depopulation“ sind das Thema der internationalen Wittgensteincentre Conference 2021, an der das Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) federführend beteiligt ist. Jane O’Sullivan ist eine Konferenzteilnehmer/innen aus aller Welt, die online auf der Veranstaltung vom 29. November bis 1. Dezember vortragen.

11 Milliarden in hundert Jahren

Wie entwickeln sich die globalen Bevölkerungszahlen derzeit?

Jane O’Sullivan: Das Wachstum ist seit den 1960er-Jahren entfesselt, mit einer Zuwachsrate von etwa einer Milliarde alle 12 Jahre. Bei politisch klugen Entscheidungen könnten wir den Höchststand der Weltbevölkerung 2060 erreichen. Wenn wir aber wie bisher weitermachen, gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass wir bis 2110 oder 2120 rund 11 Milliarden Erdbewohner haben werden. Es könnten sogar noch mehr werden, weil die UN einige optimistische Annahmen zugrunde legt. 

Das Bevölkerungswachstum ist seit den 1960er-Jahren entfesselt, mit einer Zuwachsrate von etwa einer Milliarde alle 12 Jahre.

Welche Probleme ergeben sich durch steigende Bevölkerungszahlen?

O’Sullivan: Die pro Person verfügbaren Ressourcen und das Niveau der Versorgung sind schwer konstant zu halten, wenn die Bevölkerung im Wachstum begriffen ist. Schnelles Bevölkerungswachstum belastet Umwelt und Klima. Am Ende haben wir nur einen Planeten und die Ressourcen sind endlich. Die Löhne kommen ebenfalls unter Druck, wenn viele Menschen um Jobs konkurrieren, das kann die Verteilungsgerechtigkeit negativ beeinflussen. Länder mit hohem Bevölkerungswachstum müssen viel Geld in Infrastruktur stecken, um mit den wachsenden Populationen schritt halten zu können.

Was ist mit den Kosten, die eine alternde Gesellschaft verursacht?

O’Sullivan: Die Ausgaben, die für eine Versorgung einer alternden Population nötig sind, können in den meisten Fällen durch Einsparungen bei der Infrastruktur, die durch sinkende Einwohnerzahlen vorgenommen werden können, mehr als aufgewogen werden. 

Mehr Arbeitsplätze für weniger Menschen

Welche Argumente werden von Befürworter/innen von höherem Bevölkerungswachstum vorgebracht? 

O’Sullivan: Die Firmen sagen, sie brauchen Arbeiter. Die Wirtschaftswissenschaftler/innen sagen, dass wir Bevölkerungswachstum brauchen, um Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Ich lehne diese Argumente ab. Die Analyse tatsächlich verfügbarer Daten aus OECD-Ländern zeichnet ein anderes Bild, als die Modelle der Ökonom/innen. Dass der Arbeitsmarkt allein vom Angebot an Arbeitskräften bestimmt ist, ist nämlich zu einfach gedacht. Wenn das Angebot an verfügbaren Arbeitskräften sinkt, verbessern sich Löhne und Bedingungen für die Arbeiter/innen. Angebot und Nachfrage sind hier in einer komplexen Wechselwirkung und das Ergebnis ist nicht weniger Beschäftigung, sondern niedrigere Arbeitslosigkeit. Für Panik vor schrumpfenden und alternden Bevölkerungen sehe ich absolut keinen Anlass.

Wie werden fehlende Arbeitskräfte ausgeglichen?

O’Sullivan: Schon heute sind in den OECD-Ländern im Schnitt nur etwa die Hälfte der Bevölkerungen in Beschäftigung. Wenn die Löhne steigen und Arbeitgeber/innen gezwungen sind, auf Bedürfnisse ihrer Angestellten, wie flexiblere Arbeitszeiten oder bessere Angebote für benachteiligte Personen, einzugehen, werden mehr Menschen bereit sein, am Arbeitsmarkt teilzunehmen und das Pensionsantrittsalter wird im Schnitt steigen. So können wir das Arbeitskräftepotenzial bei leicht rückläufiger Bevölkerungszahl stabil halten. Das heißt zum Beispiel, dass Menschen einfacher Karriere machen können, weil die Konkurrenz geringer ist und es steigen auch die Ersparnisse für den Ruhestand. Wenn der Druck auf den Immobilienmarkt abnimmt, sinken die Lebenserhaltungskosten. 

Für Panik vor schrumpfenden und alternden Bevölkerungen sehe ich absolut keinen Anlass.

Warum arbeitet die Politik nicht auf sinkende Bevölkerungszahlen hin?

O’Sullivan: Einige Leute profitieren in großem Ausmaß vom Wachstum der Bevölkerung, zum Beispiel große Firmen, die niedrige Löhne und steigende Nachfrage wollen. Die Immobilienbranche boomt durch den steigenden Wert von Land ebenfalls. Ich stehe nicht alleine mit der Ansicht, dass diese Entwicklungen nicht das Interesse der Allgemeinheit widerspiegeln. Leider kommt die dominante Philosophie in der Wirtschaftswissenschaft den Mächtigen entgegen.

Was sind die Folgen?

O’Sullivan: Das passiert auf Kosten der Allgemeinheit, weil es den meisten Leuten schlechter geht, wenn die Löhne gedrückt werden und die Preise für Grund und Immobilien hoch sind. Die Parameter, an denen wir Fortschritt messen, sind leider oft pervers. Wenn die Löhne steigen und die Kapitalrenditen sinken, ist das laut den Statistiken der Wirtschaftswissenschaftler/innen schlecht. Für die normale Bevölkerung ist das aber gut, glaube ich, weil sie einen größeren Anteil an den Profiten bekommt. Politiker/innen sollten besser danach trachten, das Bruttosozialprodukt pro Kopf zu steigern, statt absolut.

Debatte über Grenzen des Wachstums

Das heißt, wir können uns gesund schrumpfen?

O’Sullivan: Wir brauchen eine Debatte über die Grenzen des Wachstums und wie sich Nachfrage verringern lässt. Es gibt Möglichkeiten, wirtschaftliche Aktivität so zu organisieren, dass sie nachhaltiger wird, ohne dass das Wohlbefinden darunter leidet. Das ist nur für reiche Menschen nicht vorteilhaft. Der Rückgang von Bevölkerungszahlen geht allerdings so langsam vonstatten, dass er unsere Probleme nicht allein lösen kann, schon gar nicht in den Zeiträumen, in denen Politiker/innen denken. 

Wir brauchen eine Debatte über die Grenzen des Wachstums

In einigen Ländern wird diskutiert, sinkenden Bevölkerungszahlen durch Migration entgegenzuwirken.

O’Sullivan: Unsere Datenanalyse zeigt, dass selbst unerhört hohe Einwanderungszahlen das Altern von Gesellschaften nicht aufhalten können. Zudem zeigt sich, dass hohe Zuwächse bei der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in Ländern, die keine großen Ressourcenvorkommen haben, einige Segmente des Arbeitsmarktes unter Druck bringen können, was die Lebensbedingungen bestimmter sozioökonomischer Schichten negativ beeinträchtigen kann. Man muss hier sauber trennen, was die Interessen der Migrant/innen sind und was die Interessen der Wirtschaft. Internationale Hilfe könnte ein effizienterer Weg sein, um vielen Menschen zu helfen, statt nur den wenigen, für die Migration eine Option ist. Das ist politisch derzeit ein äußerst heikles Thema.

Effekte im Kampf gegen Klimawandel

Was können die Staaten tun, um das Bevölkerungswachstum zu verringern?

O’Sullivan: Oft wird angenommen, dass es ausreicht, Mädchen und junge Frauen zu bilden. Das ist aber nicht, was wir auf dem afrikanischen Kontinent derzeit sehen können. Was wir brauchen, sind Maßnahmen, wie sie in den 70er und 80er Jahren von Ländern wie Thailand, Indonesien oder Bangladesch eingeführt wurden. Dort haben Regierungen mit kulturell einfühlsamen und gut beworbenen Familienplanungsprogrammen für alle Bevölkerungsschichten starke Rückgänge der Bevölkerungswachstums erreicht. Der Lebensstandard ist dadurch deutlich gestiegen. 

Schnelles Bevölkerungswachstum belastet Umwelt und Klima.

Helfen sinkende Bevölkerungszahlen beim Kampf gegen den Klimawandel?

O’Sullivan: Wir müssen akzeptieren, dass die Umwelt in einer schweren Krise steckt. Wasser, Böden und Klima sind über die Grenzen der Nachhaltigkeit belastet. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und für ein Ende des Bevölkerungswachstums sorgen. Dann können wir vielleicht das Schlimmste noch verhindern. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen, müssen wir im kommenden Jahrzehnt den Übergang von fossilen zu nachhaltigen Energiequellen schaffen und gleichzeitig die Nachfrage nach Energie verringern. Längerfristig lohnt aber vor allem die Anstrengung, das Bevölkerungswachstum zu verringern. Bis 2050 haben solche Bemühungen kaum Auswirkungen, bis dahin sind vor allem die Emissionen ausschlaggebend. Wenn wir heute handeln und das Bevölkerungswachstum minimieren, sind die Effekte nach 2050 aber größer, als bei jeder anderen Maßnahme.

 

AUF EINEN BLICK

Jane O’Sullivan forscht an der School of Agriculture and Food Sciences der University of Queensland in Australien. Dort untersucht sie u.a. die Folgen von Bevölkerungswachstum für Umwelt und Gesellschaft.

Konferenzprogramm