11.06.2019 | Smarte Welt

„Es braucht eine digitale Aufklärung“

Christoph Meinel, Experte für Internet-Technologien, skizzierte am 18. Juni bei einem Vortrag an der ÖAW die heute bekannte „smarte“ Welt und wohin uns digitale Technologien in Zukunft führen könnten.

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Die digitale Transformation schreitet unaufhörlich voran. Sie erfasst und durchdringt alle Bereiche unseres privaten und gesellschaftlichen Lebens, krempelt die Wirtschaft um und verändert die Welt, wie wir sie kennen. Das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz sind längst zu Metaphern für diese Veränderungen durch digitale Technologien geworden. Sind wir also auf dem Weg in eine smarte Welt?

Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts für Digital Engineering in Potsdam, kam anlässlich der gemeinsam vom Österreichischen Nationalrat und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführten Reihe „Wissenschaft und Politik im Gespräch“ nach Wien.

In einem Vortrag zum Thema „Digitale Transformation – Zukunft gestalten“ am 18. Juni um 18.30 Uhr im Festsaal der ÖAW hat er einige der Entwicklungen smarter Technologien nachgezeichnet und Einblicke in den aktuellen Stand der digitalen Technologien gegeben.

Herr Meinel, erleben wir gerade eine digitale Revolution?

Christoph Meinel: Ja, wir sind tatsächlich mittendrin. Wir betreten und besiedeln Neuland. Manche denken ja, die Digitalisierung sei nur ein weiterer Schritt in der Automatisierung und in der Vervollkommnung der Technik. Tatsächlich eröffnet uns die Digitalisierung aber eine neue Welt, in der Raum, Zeit und menschliche Limitierungen, etwa Grenzen unseres Gedächtnisses, keine Rolle mehr spielen. Wir sind die erste Generation, die voll von diesem Aufbruch erfasst wird. Es wird aber sicher noch mehrere Generationen brauchen, bis wir mit der digitalen Welt und den Interaktionen zwischen physischer und digitaler Welt wirklich umgehen können.

Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche unseres Lebens: Wie wir uns informieren, wie wir kommunizieren, wie wir lernen, wie wir arbeiten – all das verändert sich in kürzester Zeit.

Welche Umbrüche erleben wir gerade?

Meinel: Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche unseres Lebens: Betriebsabläufe, Verwaltung, Schule, Gesundheitssystem und viele mehr. Aber auch unser privates Leben: Wie wir uns informieren, wie wir kommunizieren, wie wir lernen, wie wir arbeiten - all das verändert sich in kürzester Zeit.

Ich vergleiche die Digitalisierung gerne mit der Besiedlung eines neuen Kontinents. Am Anfang kommen die Pioniere, die Early Adopters, und finden eine unendliche Weite vor und ergreifen alle sich bietenden Chancen. Nach und nach kommt die breite Gesellschaft und beginnt, die neue Welt zu zivilisieren. Gesetz und Regeln sorgen dafür, dass auch die Schwächeren zu ihrem Recht kommen. Dieses Bild zeigt sich immer wieder, zum Beispiel bei der Einrichtung von Cybersicherheitsmechanismen, bei den kontroversen Debatten zum Urheberrecht im Web und so weiter. Die Pioniere vertreten lautstark ihre Interessen des von ihnen bereits in Besitz genommenen Internets und wollen nicht wahrhaben, dass es für ein gedeihliches Miteinander im Internet auch Regeln geben muss. 

Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI) bei diesen Veränderungen?

Meinel: Diesmal tatsächlich eine große. KI-Hypes gab es ja schon mehrere: In den 1950er Jahren, als die ersten Rechner aufkamen, in den 1970er/80er Jahren, als die regelbasierte KI aufkam und man davon ausging, dass Menschen in ihren Entscheidungen grundsätzlichen Regeln folgen und man diese Regeln den Maschinen einfach nur einprogrammieren muss. Sie würden dann wie Menschen entscheiden. Schnell zeigte sich: So einfach ist das nicht, denn Menschen entscheiden oft nach Bauchgefühl und alles andere als logisch. Mit den in den letzten Jahren entwickelten Techniken des Deep Learning können jetzt deutlich bessere Ergebnisse erzielt werden. KI fängt an zu funktionieren: Nach einer intensiven Lernphase mit den inzwischen massenhaft zur Verfügung stehenden elektronischen Daten können künstliche neuronale Netze Bilder erkennen, vernünftige Sätze bilden oder von einer Sprache in die andere übersetzen.

Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch?

Meinel: Viele gehen sehr leichtfertig mit ihren Daten um. Ihnen ist nicht klar, dass sich unsere Gewohnheiten, Vorlieben und auch unsere Absichten leicht daraus ableiten lassen können. Und solche digitalen Daten lassen sich nicht einfach löschen. Wie also schützt man sich und seine Daten? In der digitalisierten Welt werden wir als einzelne Menschen und als Gesellschaft großflächig anfällig für Cyberangriffe – hier kommt die Cybersecurity ins Spiel.

Der Staat hat das Monopol auf Gesetzgebung und Gewalt in der realen Welt. Im digitalen Raum kann er aber nicht viel bestimmen, hier spielen Ländergrenzen keine Rolle und die entscheidenden Player sind global agierende Unternehmen.

Was können Staaten und Institutionen tun, um diese Revolution mitzugestalten?

Meinel: Staaten sind für Regelsetzungen verantwortlich. Das Problem bei der Digitalisierung ist jedoch, dass es entsprechende Regelungen und ein Internetrecht noch nicht gibt. Hinzu kommt, dass das Internet ein globales Phänomen ist und keine Staatsgrenzen kennt. Unser gesamtes Rechtssystem ist aber auf Staaten und allenfalls Staatenverbünde wie die EU beschränkt. Der Staat hat das Monopol auf Gesetzgebung und Gewalt in der realen Welt. Im digitalen Raum kann er aber nicht viel bestimmen, hier spielen Ländergrenzen keine Rolle und die entscheidenden Player sind global agierende Unternehmen.

In Bezug auf die immer wichtiger werdenden sozialen Medien müssen Umgang und Verantwortlichkeiten in Sachen Fake News geklärt werden. In der physischen Welt bestimmen Gesetze und Gerichte, welche Aussagen nicht geduldet werden, beispielsweise rassistische. Im Internet fehlen diese Instanzen und Entscheidungen über eine Veröffentlichung, sie werden Unternehmen wie Facebook oder Co. abverlangt – eine enorme Last, die die weder tragen wollen noch können. Hier gibt es dringenden Klärungsbedarf, neue Regeln und Instanzen werden gebraucht.  

Es braucht eine gesellschaftliche Kraftanstrengung und ein Umdenken, um die digitale Transformation zu bewältigen.

Was kann die Gesellschaft und der einzelne tun?  

Meinel: Tatsächlich braucht es eine Digitale Aufklärung. So wie sich historisch nach dem Absolutismus durch die Aufklärung die Menschen als Bürger emanzipiert haben, so müssen heute Lern- und Denkprozesse in Gang gesetzt werden, damit sich die Menschen auch selbstbestimmt und eigenverantwortlich im Web bewegen können. Es braucht eine gesellschaftliche Kraftanstrengung und ein Umdenken, um die digitale Transformation zu bewältigen. Forschung und Lehre müssen vorangetrieben, flächendeckend eine bessere Infrastruktur geschaffen, digitale Lernumgebungen in den Schulen bereitgestellt werden und vieles mehr.

Auch müssen wir uns fragen: Was ist mit unseren Daten, wem gehören die? Zum Beispiel jene Daten, die beim Autofahren gesammelt werden. Gehören sie dem Fahrer? Dem Eigentümer des Autos? Dem Hersteller? Oder vielleicht dem Staat, weil ja öffentliche Straßen benutzt werden? Antworten auf diese Fragen sind notwendig, damit die digitale Revolution gelingt und die Menschen von ihr profitieren.

 

AUF EINEN BLICK

Christoph Meinel ist Mathematiker und Informatiker. Er forschte an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie den Universitäten Luxemburg und Trier. Er hat Professuren an der Technischen Universität von Peking und der Universität Shanghai inne. Seit 2004 ist er Direktor des Hasso-Plattner-Instituts für Digital Engineering und Dekan der „Digital Engineering“-Fakultät an der Universität Potsdam.

„Digitale Transformation – Zukunft gestalten“ lautete der Titel des öffentlichen Vortrags von Christoph Meinel am 18. Juni 2019 um 18.30 Uhr im Festsaal der ÖAW (Dr. Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien).