04.02.2020 | Verstädterung

Bauern zwischen Großstadt und Gletscher

Wissenschaftler/innen des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW untersuchen die stadtnahe Landwirtschaft in Peru. Im Fokus stehen die Fragen, wie die Verstädterung in den Anden vor sich geht und wo die Chancen für eine nachhaltige Entwicklung liegen.

© Unsplash/Isaac Clinton Suca Fuentes

Im Jahr 2050 werden zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. Weltweit, besonders aber im globalen Süden, verschlingt die rasante Urbanisierung oft die fruchtbarsten Ackerflächen und zehrt damit an der Nahrungsmittelproduktion und den Lebensgrundlagen der Bevölkerung.

Die dramatischen Verluste an Ackerland betreffen häufig die Talebenen und Deltas großer Flüsse. Doch wie sieht die Situation in den Bergregionen unserer Welt aus? Bietet das Relief Möglichkeiten, Verstädterung und Landwirtschaft harmonisch zu vereinen? Lässt sich ein nachhaltiges Modell für Landwirtschaft in stadtnahen Gebirgsregionen entwickeln? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Andreas Haller am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW.

Destination peruanische Anden

Am Beispiel der drei Großstädte Cajamarca, Huancayo und Cusco wird in den kommenden vier Jahren untersucht, wie Verstädterung und Zersiedelung die lokale Landwirtschaft in Peru verändern und wie die Entwicklung von den Kleinbauern selbst wahrgenommen wird. „Die Urbanisierung von Bergregionen ist bislang wenig studiert“, stellt der Wissenschaftler fest. Immerhin sind 20 % der Erdoberfläche von Bergen - nach Definition der FAO – bedeckt. „Zudem ist Peru einzigartig. Manche Andengletscher reichen bis 20 km an die Großstädte heran. Von diesen Eismassen hängt auch die Wasserversorgung des ganzen Landes ab.“

Wuchernde Städte, zersiedelte Täler

In den Hochtälern breiten sich seit Beginn der Globalisierung die Städte aus. Cusco zählt zum Beispiel in etwa so viel Einwohner wie Graz, nimmt aber eine fast dreimal so große Fläche ein. Im zunehmend zersiedelten Hinterland ist der Landbesitz der Kleinbauern sehr gering. Vor allem in den Tallagen müssen sie meist Flächen von Großgrundbesitzern pachten, um Artischocken, anderes Gemüse und Getreide anzubauen. „Die Bewirtschaftung der Hänge und Terrassen ist hingegen stark zurückgegangen“, erzählt Haller. „Meist betreiben die Landwirte, in Agrargemeinschaften zusammengeschlossen, auch noch etwas Viehzucht im Hochland. Doch wie kann die kleinbäuerliche Landwirtschaft am besten in die Urbanisierung integriert werden?“

Nachhaltigkeit und Realität

Ein erster Eindruck zeigt, dass in den Untersuchungsgebieten die strikte Trennung von Stadt und landwirtschaftlich genutztem Raum von den Bauern nicht unbedingt als attraktiv empfunden wird. Negativen Aspekten der Urbanisierung wie Bodenversiegelung und Wasserknappheit stehen sehr positive gegenüber. Die Zersiedelung verbessert beispielsweise den Zugang zu Bildungseinrichtungen und Verkehrsmitteln, aber auch die Anbindung an die Märkte.

Um dies zu prüfen, werden in den kommenden Jahren morphologische Analysen der Landnutzung mit soziologischen Methoden, insbesondere qualitativen Befragungen, kombiniert. Auf der Auswertung von Luft- und Satellitenbildern basierende Karten sollen auch der Konfrontation mit den Landwirten im Rahmen partizipativer Workshops dienen.

Kleinbäuerliche Perspektiven

Ein Ziel der laufenden Forschungen ist, die von Kleinbauern bevorzugten Formen des Städtewachstums zu identifizieren und potenzielle „Performance Zones“ herauszuarbeiten. Die gemeinschaftlich definierten Qualitätskriterien könnten die bislang oft chaotisch verlaufende Verstädterung in den peruanischen Anden kanalisieren und einer nachhaltigen Raumplanung des Übergangsbereichs von Stadt und Land, sowie Tal und Berg dienen. Für Haller steht fest, dass die Urbanisierung im Gebirge eigene Muster verfolgt und auch andere Auswirkungen als im Flachland hat.

Ein Hang zur Diversifikation

Hoffnung auf eine lokal nachhaltige und harmonische Entwicklung der Städte macht dem Gebirgsforscher die Vertikalität. „An den Hängen ist ein interessanter Landnutzungswechsel zu beobachten. Unter dem Druck der Urbanisierung weichen manche Bauern mit ihrem Ackerbau dorthin aus und revitalisieren so einst genutzte Terrassen. Andererseits profitieren sie auch von geförderten Projekten zur Aufforstung und können so ihre Einträge diversifizieren.“

Die verbesserte Anbindung an die städtischen Märkte eröffnet den Landwirten auch noch ganz andere Möglichkeiten. „Peru ist kein Entwicklungsland mehr, sondern besitzt einen Index der menschlichen Entwicklung (HDI), der jenem der Ukraine gleicht. Die Mittelschicht in den Großstädten ist durchaus sensibel für Nahrungsmittel aus biologischer Landwirtschaft und regional erzeugte Produkte. Diese Nachfrage könnte auch dem rasanten Verlust an biokultureller Diversität bei Saatgut, Gemüsesorten oder Haustierrassen etwas entgegenwirken.“

Wenn die Gletscher schmelzen

In der Bevölkerung ist zudem ein starkes Bewusstsein für den Klimawandel zu beobachten. Peru ist davon stark betroffen, besonders kritisch sind die Konsequenzen für die Wasserversorgung. „Einer der stadtnahen Gletscher ist im Zeitraum von 1984-2011 um 55 % zurückgegangen.“ Das Wasser fehlt vor allem während der ausgeprägten Trockenzeit. „Angesichts der Wichtigkeit von bewässerten Feldern in den Tälern trägt die Raumplanung eine riesige Verantwortung", so Haller. 

Bemerkenswert ist, dass sowohl die Berge als auch die Landwirtschaft breit gefächerte Umweltfunktionen erfüllen. Die bereitstellenden und regulierenden Ökosystemleistungen, aber auch kulturelle Funktionen wie Landschaftsschutz und Freizeitgestaltung sind ganz essenziell für die städtische Bevölkerung. Es gilt daher, sie auch langfristig zu bewahren.