Wie die Wissenschaft Asiat:innen „gelb“ gemacht hat
22.11.2024
Wie wir Hautfarben beschreiben, hat eine lange, meist rassistische Geschichte. Michael Keevak ist Professor im Department of Foreign Languages an der National Taiwan University. In seinem Buch „Becoming Yellow: A Short History of Racial Thinking’“ analysiert er, wie es dazu kam, dass Menschen aus Ostasien als „gelb“ beschrieben werden. „Sie stammt auf jeden Fall nicht aus den Berichten der Reisenden. Auch nicht aus visueller Beurteilung, sondern aus wissenschaftlichem Denken und der Idee, dass man die ganze Welt anhand von Farbunterschieden kartografieren kann“, sagt er im Interview.
Im Rahmen des Clusters of Excellence„EurAsian Transformations“, dessen Konferenz vom 20. bis zum 22. November im Alten AKH stattfindet, kam Keevak nach Wien und hielt einen Vortrag mit dem Titel „Race in Asia: ‘Becoming Yellow’“. Der Cluster zu Eurasien ist angesiedelt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und wird finanziert vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF.
Einteilung von Menschen in oben, unten und dazwischen
Wie haben die ersten Seefahrer aus Europa Menschen in China und Japan beschrieben?
Michael Keevak: Als ihnen in Ostasien zu Beginn des 16. Jahrhunderts Menschen begegneten, bezeichneten sie diese immer als „Weiße“. Wenn sie ihre Hautfarbe überhaupt erwähnten, was in den seltensten Fällen passierte. Die Beschreibung „weiß“ gibt auch immer eine Bewertung ab, sie meint zivilisierte und gebildete Menschen. Die meisten Europäer, die über den Seeweg kamen, sind an Afrika, Indien, Südostasien, Malaysia, Singapur und Indonesien vorbeigefahren. Alle, die sie unterwegs trafen, waren also Menschen, die sie für dunkler hielten als sich selbst. Als sie endlich nach Südchina und Japan kamen, trafen sie zum ersten Mal auf Menschen mit hellerer Haut. Es war also eine Überraschung für sie. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, diese als „gelb“ zu beschreiben.
Die Rassenlehre kommt von Wissenschaftlern, die versuchen, alle Völker der Welt auf die gleiche Weise zu kategorisieren, wie sie auch Tiere kategorisieren.
Wie und wann kam es zu dieser Klassifizierung?
Keevak: Sie stammt auf jeden Fall nicht aus den Berichten der Reisenden. Auch nicht aus visueller Beurteilung, sondern aus wissenschaftlichem Denken und der Idee, dass man die ganze Welt anhand von Farbunterschieden kartografieren kann. Und der Vorstellung, dass man oben „weiße“, „farblose“ Menschen und unten „schwarze“ Menschen hat – und welche dazwischen. Der Beginn der Rassenlehre ist eine wissenschaftliche Denkweise. Sie kommt von Wissenschaftlern, die versuchen, alle Völker der Welt auf die gleiche Weise zu kategorisieren, wie sie auch Tiere kategorisieren. Carl von Linné gilt als Begründer dieser biologischen Systematik, er war der Erste, der meinte, dass Europäer:innen „weiß“ und Afrikaner:innen „schwarz“ seien. Viele Zuschreibungen, die wir heute als natürlich, also nicht konstruiert, betrachten, wurden von ihm erfunden. Er teilte den Menschen in vier Farben und vier Kontinente ein.
Willkürliche Zuordnung von „Gelb“ für Asiat:innen
Was das von Anfang an rassistisch oder bloß ein Wissenschaftstrend, alles kategorisieren zu müssen?
Keevak: Eswar sicherlich der Zeitgeist alles zu kategorisieren, aber es war auch eindeutig rassistisch, weil es keine Frage war, dass „weiß“ auf dem höchsten und „schwarz“ auf dem niedrigsten Niveau stand. Linnés rassistischer Standpunkt war stark vom christlichen Denken geprägt: Die Unterscheidung zwischen „schwarz“ und „weiß“ stammt aus der Bibel. Interessanterweise nennt selbst er Asiat:innenen zunächst nicht „gelb“. Das Wort, das er benutzt, ist ein lateinischer Begriff, der sich mit „dunkel“ übersetzen lässt. Etwa 20, 30 Jahre nach der ersten Ausgabe Mitte des 18. Jahrhunderts, ändert er dieses Wort in „gelb“. Wir wissen nicht, warum er das tut. Aber sein Vorschlag hat großen Einfluss, in den 1750er-Jahren fangen die Leute an, Asiat:innen „gelb“ zu nennen. Der deutsche Anatom und Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach ist der Erste, der die Beschreibung „gelb“ dem ostasiatischen Volk zuordnet. Er erfindet aber auch eine neue Kategorie namens „Mongolen“ und den Begriff „Kaukasen“, die für ihn Europäer sind. Er hatte die Idee, dass die schönsten Menschen der Welt aus dieser Gegend kommen.
Rassenkategorien sind willkürlich. Aber sie sind so mächtig geworden, dass es schwierig ist, ihnen zu entkommen.
Wie können wir diesen willkürlichen Setzungen entkommen?
Keevak: Rassenkategorien wirken oft natürlich, obwohl sie konstruiert sind. Sie werden ständig wiederholt, und bis heute im 21. Jahrhundert leben wir mit der Vorstellung, dass Asiat:innen „gelb“ sind. Es ist wichtig, die Geschichte dieser Begriffe genau zu benennen, um zu fragen: Wie können wir sie wieder verlernen? Wenn man sich mehr damit beschäftigt, erkennt man die Willkür dieser Rassenkategorien, die eigentlich auf nichts basieren. Sie haben keine Gültigkeit, keine Wahrheit. Aber sie sind über einen so langen Zeitraum so mächtig geworden, dass es schwierig ist, ihnen zu entkommen.
Gelb als Farbe des Kaisers
Wie nehmen Asiat:innen selbst diese Zuschreibungen wahr?
Keevak: Sie haben lange die westliche Wissenschaft übernommen, ohne diese wirklich in Frage zu stellen. Die Reaktionen in Asien sind aber nach wie vor ein sehr kompliziertes Thema. Viele aus einer jüngeren Generation lehnen diese Zuschreibung mittlerweile ab, andere mögen den Begriff noch immer. „Gelb“ ist in der chinesischen Tradition nämlich eine sehr wichtige, edle Farbe. Sie ist die Farbe des Kaisers. Chines:innen mögen es deshalb mitunter, wenn sie hören, dass sie „gelb“ sind. Wahrscheinlich ist das ein Grund, warum sich diese Zuschreibung so lange gehalten hat. Viele denken an eine chinesische Tradition und vergessen, dass westliche Wissenschaftler diese Begriffe geprägt haben.
Auf einen Blick
Michael Keevak ist Professor im Department of Foreign Languages an der National Taiwan University. Er unterrichtet seit fast dreißig Jahren und hat sechs Bücher veröffentlicht, darunter „Becoming Yellow. A Short History of Racial Thinking“, erschienen bei Princeton University Press.