12.11.2018

Von Ritterruhm und Narrenkappe

Das „Ambraser Heldenbuch“ ist eine der beeindruckendsten Prunkhandschriften des 16. Jahrhunderts. In dem einzigartigen Werk sind einige der wichtigsten mittelhochdeutschen literarischen Texte, wie etwa das Nibelungenlied zu finden. Dank einer Förderung der ÖAW können diese in Zukunft auch im Netz gelesen werden.

© Wikimedia Commons/Österreichische Nationalbibliothek

Seine Vorliebe für deutsche Sagen und Heldengeschichten trug Kaiser Maximilian I. den Beinamen „der letzte Ritter“ ein. 1504 gab er mit dem „Ambraser Heldenbuch“ die größte Schriftsammlung mittelalterlicher, deutscher Literatur, die uns überliefert ist, in Auftrag. Neben der „Kudrun“ und dem „Nibelungenlied“ enthält der reich bebilderte Prachtband auch ein Dutzend Texte, die verloren wären, hätte nicht ein Bozener Zöllner im kaiserlichen Auftrag zwölf Jahre seines Lebens darauf verwendet, sie aufzuschreiben. Zum 500. Todestag Kaiser Maximilians soll das Heldenbuch in einer Online-Edition zu neuem Leben erwachen.

Bis es 2019 soweit ist, ist aber noch einiges an Forschungs- und Transkriptionsarbeit zu erledigen. Denn mit 500 großformatigen Pergamentseiten und 500.000 Wörtern ist das „Ambraser Heldenbuch“ ein literarisches Schwergewicht. Doch das Unterfangen lohnt sich, ist Mario Klarer, Leiter des Projekts und Literaturwissenschaftler an der Universität Innsbruck, überzeugt. Denn die Gesamttranskription des „Ambraser Heldenbuches“ stellt seit vielen Jahren eine zentrale Forschungslücke dar – die dank einer „go!digital“-Förderung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun gefüllt werden kann.

Das „Ambraser Heldenbuch“, wurde im Auftrag Maximilians I. von einem Bozener Zöllner geschrieben. Warum engagierte der Kaiser für dieses Großprojekt nicht einen professionellen Schreiber bei Hof?

Mario Klarer: Hans Ried, der Schreiber des „Ambraser Heldenbuches“, war ja zugleich Zöllner und ein professioneller Kanzleischreiber. Der Kaiser hatte ihm 1496 für seine getreuen Dienste in der königlichen Kanzlei eine Leibrente auf Lebenszeit zugesprochen. Seit 1500 bekleidete Hans Ried das Amt des Zöllners am Eisack.

Der Kaiser ließ Hans Ried im Jahr 1504 mit der Abschrift beauftragen. Wie lange arbeitete dieser dann an den 243 kunstvoll, beidseitig beschriebenen Pergamentblättern?

Klarer: Bis zu seinem Tod, 1516. Er übte sein Amt als Zöllner teilweise parallel zur Arbeit am Heldenbuch aus, wurde jedoch auch immer wieder freigestellt, um sich ganz auf das Heldenbuch konzentrieren zu können. Leider wissen wir nicht, welche Vorlagen Ried verwendete oder ob ursprünglich weitere Texte für die Sammlung vorgesehen waren. Erst nach Rieds Tod 1517 wurden dann die Illuminationen – also die Schmuckbilder – im „Ambraser Heldenbuch“ ausgeführt.
 


Im Volksmund nennt man Rieds Auftraggeber, Kaiser Maximilian, auch den „letzten Ritter“: Sein Interesse an deutschen Ritter- und Heldengeschichten ging über diesen Auftrag aber weit hinaus, oder?

Klarer: Maximilian hatte sich schon immer für Geschichte interessiert. Er befasste sich zum Beispiel mit den Fresken des Südtiroler Schlosses Runkelstein, die unter anderem literarische Figuren wie Tristan und Isolde darstellen. 1519 gab er außerdem mit dem „Theuerdank“ ein Druckwerk in Auftrag, das im Aufbau einem höfischen Epos gleicht. Maximilians Verehrung für ritterliche Heldenfiguren spiegelt sich aber auch in der Gestaltung des eigenen Grabmals: Unter den Figuren, die das Kenotaph des Kaisers in der Innsbrucker Hofkirche säumen, befinden sich auch König Artus und Theoderich der Große – beides Heldenfiguren, die in literarische Texte Eingang gefunden haben.

Wurde das aufwändig gestaltete „Ambraser Heldenbuch“ nach seiner Fertigstellung eigentlich im heutigen Sinne „gelesen“?

Klarer: Man weiß es nicht. Es gibt nicht einmal urkundliche Erwähnungen, wo sich das Buch in den ersten Jahrzehnten nach der Fertigstellung befand.Es ist erstmals in einem Inventar der Kunst- und Wunderkammer des Schlosses Ambras aus dem Jahre 1596 gelistet. Daher stammt auch sein heutiger Name. 1806, als man fürchtete, Innsbruck könnte von französischen Truppen besetzt werden, ließ man die Kunstsammlung des Schlosses Ambras, in der sich auch das „Ambraser Heldenbuch“ befand, nach Wien bringen. Dort verlieb es bis 1936 im Belvedere und kam dann an seinen heutigen Standort, die Österreichische Nationalbibliothek.

Zum 500. Todesjahr von Maximilian I. soll das Original 2019 aber endlich doch einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Klarer: Ja – im Goldenen Dachl und der Hofburg in Innsbruck wird es eine digital-haptische Installation geben, bei der ein Faksimile ausgewählter Seiten ausgestellt und mittels Projektion um Informationen ergänzt wird. In Vorbereitung ist auch ein populärwissenschaftlicher Sammelband zum Heldenbuch. Germanist/innen bzw. Mediävist/innen dürften sich für die Online-Transkription des gesamten Heldenbuchs und die Ergebnisse des Forschungsprojektes interessieren, die nach dessen Abschluss im Netz veröffentlicht werden. Man wird aber auch auf hochauflösende Scans der Originalseiten zugreifen und sich selbst ein „Bild vom Buch“ machen können.

Haben Sie eigentlich einen Lieblingstext unter den 25, die das Heldenbuch enthält?

Klarer: Mein Lieblingstext ist „Meier Helmbrecht“ aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Autor, Wernher der Gärtner, beschreibt in dieser Geschichte Helmbrecht, einen Bauernsohn, der in seiner Dummheit gerne Ritter wäre. Zu Helmbrechts anmaßender Kleidung gehört eine mit Bildern bestickte Haube, die am Beginn des Textes auf über hundert Versen beschrieben wird. Diese ungewöhnlich ausführliche Haubenbeschreibung war lange ein ungelöstes Problem in der „Helmbrecht“-Forschung. Durch Zufall bin ich in den 1990er Jahren auf die Idee gekommen, dass die Darstellungen auf der Mütze symbolisieren könnten, was sich im Inneren von Helmbrechts Kopf befindet: das Gehirn eines Narren.

 

Mario Klarer ist Professor für Amerikanistische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zuvor lehrte und forschte er u.a. an der Université de Neuchâtel in der Schweiz, der University of Pennsylvania und der Columbia University sowie den Universitäten Regensburg und Aachen.

Das Projekt „Ambraser Heldenbuch: Transkription und wissenschaftliches Datenset“ wird durch das ÖAW-Programm „go!digital“ unterstützt, das innovative Forschungen in den Digital Humanities fördert und bereits zum dritten Mal ausgeschrieben wurde.

ÖAW-Förderprogramm GO!DIGITAL