24.09.2018

Völkerbundanleihen: Umstrittener Rettungsschirm für Österreich

Mit millionenschweren Krediten versuchte der Völkerbund in den Jahren 1922 und 1932, Österreich aus der Finanzkrise zu helfen. Eine der Bedingungen: Kein „Anschluss“ an Deutschland. Der Grazer Historiker Walter Iber erklärt bei einer Konferenz an der ÖAW, warum das Hilfsangebot der Siegermächte im Nationalrat für Streit sorgte – und zugleich der Anschluss an Deutschland parteiübergreifend vielen aussichtsreich schien.

© ÖNB/Wien, 224114B

Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg, vor 99 Jahren wurde der Vertrag von St. Germain geschlossen. Er besiegelte das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie und markierte zugleich den Beginn der Geschichte der Republik Österreich.

Welche Konsequenzen der Vertrag für die junge Republik aber auch für den Rest Europas hatte beleuchtet nun vom 27. bis 29. September 2018 die Konferenz „Der Vertrag von St. Germain 1919 im Kontext der europäischen Nachkriegsordnung“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im Mittelpunkt stehen dabei auch bisher wenig beachtete Aspekte wie Kultur und Wirtschaft.

Denn allein die wirtschaftlichen Herausforderungen mit denen sich Österreich nach dem Krieg konfrontiert sah, waren enorm. Reparationszahlungen, eine daniederliegende Industrie, Arbeitslosigkeit, Geldentwertung. Bald war klar: Ein „Rettungsschirm für Österreich“ wurde notwendig. Wie dieser aussah, an welche Bedingungen er geknüpft war und ob er Erfolg hatte, erklärt der Grazer Historiker Walter Iber, der dazu auf der Konferenz einen Vortrag hält.

Herr Iber, zwischen den Weltkriegen wurde Österreich vom Völkerbund mit zwei Staatsanleihen ausgeholfen. Was erhofften sich die Mitgliedsstaaten von dieser Maßnahme?

Walter Iber: In beiden Fällen, sowohl bei der „Genfer Anleihe“, 1922, als auch bei der „Lausanner Anleihe“, 1932, übernahmen einzelne Völkerbundstaaten Garantien für österreichische Auslandskredite. Diese Kredite wurden notwendig, weil das Bundesbudget durch eine massive Geldentwertung in der Schieflage war. Der Völkerbund verfolgte im Wesentlichen zwei Ziele: Geopolitisch sollte die Republik Österreich als selbständiger Staat gestützt und so für Stabilität im Donauraum gesorgt werden. Die erste Anleihe verfolgte zudem eine Rückkehr zum Goldstandard, der im Ersten Weltkrieg der Inflationspolitik zum Opfer gefallen war. Österreich verpflichtete sich, sein Geldwesen in eine Goldrelation zu bringen.  

Und welche Hoffnungen hegte man in Österreich selbst?

Iber: Österreich steckte 1922 in einer schweren Budgetkrise. Um die Löcher zu stopfen, druckte man ständig neue Banknoten und verspielte so das Vertrauen auf den internationalen Kapitalmärkten. Selbständige Sanierungskonzepte scheiterten. Somit galt der Hilferuf an den Völkerbund als letzter Strohhalm. Da nahm man es in Kauf, dass die Anleihe an strenge Auflagen geknüpft war.  

In zeitgenössischen Zeitungen wurde diese erste Anleihe als „Sanierungsanleihe“ bezeichnet, die „die Zukunft sichern“ und „den Wiederaufbau garantieren“ sollte. Inwiefern erfüllte sich diese Hoffnung?

Iber: Ob die Anleihe positiv oder negativ bewertet wurde, war zunächst eine Frage der Lagerzugehörigkeit. Bei der „Genfer Sanierung“ handelte es sich um ein Projekt der bürgerlichen Bundesregierung unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Ignaz Seipel. Da das Budget rasch saniert werden konnte, wurde Seipel von bürgerlichen Medien zum „Retter Österreichs“ stilisiert. Die oppositionellen Sozialdemokraten hatten die Anleihe im Nationalrat zwar mitgetragen, machten aber öffentlich Stimmung dagegen – wobei sie nicht zu Unrecht auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Sparpakets hinwiesen. Tatsächlich war die Anleihe in wirtschaftspolitischer Hinsicht kein Erfolg: Infrastrukturinvestitionen blieben rar, die Arbeitslosenzahlen hoch. 

Warum kam es 1932 dennoch zu einer zweiten Völkerbundanleihe für Österreich?

Iber: Ausschlaggebend waren die Weltwirtschaftskrise und der Zusammenbruch der Creditanstalt, der mit Abstand größten heimischen Bank. Die Creditanstalt hatte 42 Prozent des gesamten Aktienkapitals der österreichischen Industrie kontrolliert. Es sollte aber auch das Vertrauen der Auslandsgläubiger erhalten bleiben. Hätten diese ihr Geld aus der Bank abgezogen, wäre Österreich wohl wieder in eine Währungskrise geschlittert. Es gab also keine Alternative zu staatlichen Stützungsmaßnahmen und Garantieerklärungen. Aber die Bankenrettung belastete den Staatshaushalt schwer.

Im Parlament wurde diese zweite Anleihe mit 81:80 Stimmen trotzdem nur knapp befürwortet. Warum war sie so umstritten?

Iber: Das bürgerliche Kabinett unter Engelbert Dollfuß verfügte im Nationalrat nur über eine hauchdünne Mehrheit. Noch dazu hatten die Christlichsozialen mit dem Heimatblock, der Parlamentsfraktion der paramilitärischen Heimwehren, einen unberechenbaren Koalitionspartner. Die Kritikpunkte der Opposition kannte man bereits von der Genfer Anleihe: Sie fürchtete ein vom Völkerbund „geknechtetes“ Österreich und den Verlust der Budgethoheit von Bund und Ländern. Ein Thema war auch die fehlende Anwendung staatlicher Wirtschaftskonzepte. Erst angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus schwenkte die Regierung zögerlich auf eine aktivere Politik um, was schließlich in die „Arbeitsschlacht“ des autoritären Ständestaates mündete.      

Die Völkerbundstaaten forderten im Gegenzug für die Finanzhilfe, Österreichs Verzicht auf einen Anschluss an Deutschland. Warum schien der Anschluss an das marode Deutschland und dessen ebenso marode Währung österreichischen Politikern wie Otto Bauer als Alternative zur ersten Völkerbundanleihe überhaupt so attraktiv?

Iber: Ein Ideal der Sozialdemokraten war die Vereinigung mit der starken deutschen Schwesterpartei und die Vollendung der Revolution von 1848. Allerdings war der Anschlussgedanke damals in allen politischen Lagern präsent: bei den Christlichsozialen vor allem in einzelnen Bundesländern, bei den Deutschnationalen ohnehin. Kaum jemand glaubte an die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der jungen Republik – ein Irrglaube, wie man heute weiß; ein Zerrbild, das durch politische Polemik und psychische Niedergeschlagenheit entstanden war.

 

Walter Iber ist Historiker und lehrt am Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz.

Die Konferenz „Der Vertrag von Saint Germain im Kontext der europäischen Nachkriegsordnung“ findet vom 27. bis 29. September im Theatersaal der ÖAW (Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien) statt und wird gemeinsam vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW und der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs ÖAW veranstaltet.

Programm der Konferenz