08.11.2021 | Feindbild Schule

Ultrakonservative Homeschooler sehen Schule als Bedrohung

Moralkonservative Akteure vernetzen sich international, um die Homeschooling-Bewegung voranzutreiben. Die Innsbrucker Soziologin Kristina Stoeckl ist Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW und hat die Gefahren untersucht, die im Trend zum Heimunterricht lauern.

Homeschooling war für viele Eltern in der Pandemie eine zusätzliche Belastung. Rechte und ultrareligiöse Gruppen haben den Heimunterricht hingegen genutzt, um ihren Kindern eine problematische Weltsicht zu vermitteln. © Unsplash/Annie Spratt

Das Thema Homeschooling hat durch die Corona-Pandemie auch hierzulande frischen Wind bekommen. In den USA und in Russland gibt es schon länger eine Debatte um den Heimunterricht, denn wertkonservative christliche Gruppen sehen die Schule als Bedrohung. Sie engagieren sich gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe - und vernetzen sich dabei international. Sie wollen Homeschooling als Menschenrecht durchsetzen, und ziehen dafür auch vor Gericht.

„Die Impfleugner-Debatte war ein unerwartetes Geschenk für die Homeschooler“, sagt die Innsbrucker Soziologin Kristina Stoeckl, die Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist, im Gespräch: „In Österreich spielen bei einem Großteil der Schulabmeldungen religiöse Gründe keine Rolle. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Leute, die sich aus diffusen Gründen für die Abmeldung aus der Schule entschieden haben, dann genau in eine esoterische, rechte oder ultrakonservative Richtung gedrängt werden.“

Homeschooling-Feindbild Deutschland

Wie sind Sie auf das Forschungsthema Homeschooling gekommen?

Kristina Stoeckl: Ich beschäftige mich schon seit mehreren Jahren mit moralkonservativen Aktivist/innen, also Gruppen, die sich für konservative Familienwerte engagieren. Sie treten gegen Abtreibung und die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe auf und vernetzen sich transnational, um ihre Ziele zu verwirklichen. In diesem Kontext vertreten viele die Idee, dass die öffentliche Schule kein Ort ist, um Kinder christlich zu erziehen. In den USA geht es um die Ablehnung der Darwinschen Evolutionstheorie, es soll alles aus der Schöpfungsgeschichte heraus gedacht werden. Das ist in Europa kein Thema, dafür sind Gendergerechtigkeit als Unterrichtsgegenstand und Diversität in der Gesellschaft Streitpunkte.

Auf der globalen Landkarte des Homeschoolings ist vor allem Deutschland ein Feindbild, weil es eines der wenigen westlichen Länder ist, in denen Heimunterricht tatsächlich verboten ist.

Wie sieht diese Vernetzung aus?

Stoeckl: Seit 2012 gibt es in Russland eine Homeschooling-Bewegung, die aus der Verbindung mit amerikanischen Homeschooling-Aktivisten entstanden ist. Auf der globalen Landkarte des Homeschoolings ist vor allem Deutschland ein Feindbild, weil es eines der wenigen westlichen Länder ist, in denen Heimunterricht tatsächlich verboten ist. In Deutschland gilt Schulpflicht und nicht wie in Österreich Unterrichtspflicht. Deshalb hat die amerikanische „Homeschool Legal Defence Association“ schon früh begonnen, Deutschland als Fall zu nehmen, um vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen und Homeschooling als Menschenrecht einzuklagen.

Es geht um einen problematischen Reinheitsdiskurs. Diese Gruppen möchten in ihrer eigenen „Bubble“ bleiben.

Worauf beruft sich diese Organisation?

Stoeckl: Auf den Paragraph 26(3) der UN-Menschenrechtskonvention, der besagt, dass Eltern das Recht haben über die Ausbildung ihrer Kinder zu entscheiden. Aber natürlich gibt es kein Recht auf Homeschooling. Gemeinsam mit meiner Kollegin Julia Mourão Permoser habe ich darüber einen Artikel unter dem Titel „Reframing Human Rights: The Global Network of Moral Conservative Homeschooling Activists“ veröffentlicht.

Impfgegner, Homeschooler und der Antichrist

Im Grunde handelt es sich also um Identitätspolitik vom rechten Lager?

Stoeckl: Ja, es geht um einen problematischen Reinheitsdiskurs.  Diese Gruppen möchten in ihrer eigenen „Bubble“ bleiben, und Eltern glauben, ihre Kinder von Einflüssen, die sie „kontaminieren“ könnten, fernhalten zu müssen.

Die Impfleugner-Debatte war ein unerwartetes Geschenk für die Homeschooler.

Im deutschsprachigen Raum ist das Homeschooling seit der Pandemie stark mit Impfleugnern verbunden.

Stoeckl: Die Impfleugner-Debatte war ein unerwartetes Geschenk für die Homeschooler. Viele dieser konservativ christlichen Gruppen sind ja auch Impfgegner. Ein extremes Beispiel sind einige evangelikale Gruppen in den USA: Da in der Bibel steht, wer dem Antichristen folgt, bekomme ein sichtbares Mal auf den Körper, interpretieren sie die weltweite Impfaktion als Zeichen für das nahe Ende der Welt. In Österreich spielen bei einem Großteil der Schulabmeldungen solche religiösen Gründe keine Rolle. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Leute, die sich aus diffusen Gründen für die Abmeldung aus der Schule entschieden haben, dann genau in eine esoterische, rechte oder ultrakonservative Richtung gedrängt werden. Gerade, wenn sie Inhalte zum Unterrichten daheim suchen, können sie auf indoktrinierendes Lehrmaterial stoßen.

 

AUF EINEN BLICK

Kristina Stoeckl ist Leiterin des Instituts für Soziologie an der Universität Innsbruck und Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Sie ist START-Preisträgerin des Wissenschaftsfonds FWF und Preisträgerin eines Starting Grant des European Research Council (ERC).