08.06.2021 | Ferne Welten

Sehnsuchtsort Seidenstraße

Die eine Seidenstraße gab es nicht, sagt ÖAW-Sozialanthropologin Maria-Katharina Lang. Stattdessen gab es historisch ein loses Geflecht an Handelsrouten zwischen West und Ost. Lang erforscht die Bedeutung von Steppen- und Seidenstraßen, aber auch, wie diese alten Handelsrouten im 21. Jahrhundert genutzt werden. In einer aktuellen Ausstellung zur Seidenstraße in Hamburg, die auch virtuell zu besuchen ist, fließen Forschung und Kunst, Geschichte und Gegenwart ineinander.

Die Ausstellung „Steppen & Seidenstraßen“ kann man auf einem virtuellen Rundgang erleben. © dataport

Die sogenannte Seidenstraße ist ein mythenumwobener Raum: Seit der Antike kamen auf Handelswegen Waren und Wissen von Ost nach West und retour. Orte wie das usbekische Samarkand oder Buchara sind noch heute Sehnsuchtsziele für Reisende. Allerdings: „Es gab nie eine Seidenstraße, es handelte sich stets um ein loses, sich veränderndes Geflecht von Wegen und Handelsrouten“, sagt Maria-Katharina Lang vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie hat sich mit einem Projektteam aus Wissenschaftler/innen und Künstler/innen auf die Spuren und Seitenwege dieser historischen Handelsrouten begeben. Mit Chinas einflussreichem Infrastrukturprojekt „Belt and Road Initiative“ hat die „Neue Seidenstraße“ wieder Aktualität bekommen.

Lang sammelt für ihr Forschungsprojekt „Dispersed & Connected“ Erzählungen, Bilder, Kunst und Vorstellungen entlang historischer und aktueller Handelsrouten. Daraus ist nun eine große Sonderausstellung mit dem Titel „Steppen & Seidenstraßen“ in Kooperation mit dem Museum am Rothenbaum (MARKK) in Hamburg entstanden, die auch virtuell im 360-Grad-Rundgang zu besuchen ist. Zu sehen sind mehr als 300 Exponate, darunter herausragende Sammlungsstücke des MARKK und des Weltmuseum Wien.

Museumsobjekte erzählen Geschichten aus der Steppe

„Wir gehen von Museumsobjekten aus, um vielfältige Geschichten über diese Regionen zu erzählen, wobei unser Fokus auf die Zwischenräume gerichtet ist, wie die Steppen zwischen dem Kaukasus und China“, erklärt Lang. „Wichtig war uns vor allem auch, das historische Material mit aktuellen Positionen zu verbinden.“ Menschen aus diesen Regionen kommen in Interviews zu Wort. Sie erzählen von ihren Lebenswirklichkeiten, etwa wie neue Infrastrukturprojekte ihren Alltag verändern.

„Die neuen Landverbindungen sind schneller als die Meereswege“, sagt Lang: „Uns interessieren vielbeschworene Begriffe wie connectivity (Verbundenheit) und win-win Situation durch den Bau von Straßen oder Bahnstrecken in den Räumen zwischen China und Europa. In der Werbung wird von Austausch gesprochen. Doch vor Ort erfahren wir, dass oft wertvolle Bodenschätze abtransportiert werden, aber nichts zurückkommt in die Region, deren Umwelt ausgebeutet wird.“

Künstler/innen wurden zudem eingeladen, Werke zu schaffen, die sich mit Themen wie Mobilität, Infrastrukturen, Geschwindigkeit, Distanz und Verbundenheit, Globalisierung, Nomadismus und Ressourcenabbau auseinandersetzen. So werden in der Ausstellung Brücken von der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen. Ein Beispiel dafür: Aus dem Wiener Weltmuseum sind prächtige historische Mäntel zu sehen, die in der typischen Ikat-Webtechnik hergestellt wurden. In Videos sieht man usbekische Weber, die dieses traditionelle Handwerk nach wie vor beherrschen. Dazu hat die zeitgenössische Künstlerin Dilyara Kaipova einen Ikatmantel mit einem überraschenden Motiv gestaltet: In stilisierter Form ist „Der Schrei“ von Edvard Munch zu sehen. Sie thematisiert in ihrer Kunst die Globalisierung, aber auch wie Kolonialisierung Kunsthandwerk beeinflusst.

Begehbare imaginäre Landkarte

Die Schau setzt sich aber auch mit der Herkunft der Exponate auseinander, den Umständen ihres Erwerbs, und wie sie in die Museen gelangten. Dadurch werden die Biografien und Interessen der Sammler/innen plastisch. So ist der Anteil der sammelnden Frauen bemerkenswert, ebenso wie ihre Lebensgeschichten. Die in Wien geborene Künstlerin Lene Schneider-Kainer etwa reiste mit dem Autor Bernd Kellermann Ende 1920 nach Asien. Sie zeichnete, fotografierte und sammelte. Und sie verkaufte einige mitgebrachte Kunstobjekte an das MARKK.

„Es gibt auf einer begehbaren imaginären Landkarte Inseln, wo verschiedene Objekte und ihre Geschichten, historische Fotografien, Videofilme, zeitgenössische Kunstwerke und Erzählungen zusammenfließen“, beschreibt Lang die Ausstellung, die von ihr gemeinsam mit Christian Sturminger konzipiert und gestaltet wurde. Ursprünglich war sie auch für das Wiener Weltmuseum vorgesehen, sie landete aber zuerst in Hamburg, wo sie noch bis zum 3. Oktober 2021 zu sehen ist.

 

 

AUF EINEN BLICK

Die Ausstellung „Steppen & Seidenstraßen“ ist im Hamburger Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt zu sehen und läuft noch bis 3. Oktober 2021. Ein virtueller Rundgang durch die Schau ist im Web möglich.

Virtueller Rundgang

Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Dispersed & Connected“ von Maria Katharina Lang sammelt und erforscht Erzählungen, Bilder und Vorstellungen, Fragmente und künstlerische Ausdrucksformen entlang alter und neuer Steppen- und Seidenstraßen. Die Forschungsergebnisse werden in Ausstellungen und in einem begleitenden wissenschaftlich-künstlerischen Feldforschungsnotizbuch zusammengefügt.