21.11.2018

Mit dem 71er zum Tod des Universums

Bei den neuen Science Days der Jungen Akademie der ÖAW wollen Forscher/innen ein Thema aus der Perspektive verschiedenster Wissenschaftsrichtungen untersuchen. Den Auftakt zur öffentlichen Veranstaltungsreihe machte etwas, das normalerweise am Ende steht: Der Tod.

© Shutterstock.com
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Als Ereignis, das naturgemäß alles Leben beendet und das für Natur-, Geistes- und Kulturwissenschaften gleichermaßen große Fragen aufwirft, ist der Tod ein Thema, an dem – buchstäblich – niemand vorbeikommt. Gleichzeitig entbehrt es aber auch nicht einem gewissen Witz, eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen und ausgerechnet mit dem Tod zu beginnen. Existentielle Fragestellungen und ein Augenzwinkern lagen also bei den Science Days der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchaus und gewollt nah beieinander. Der Auftakt zu diesem interdisziplinären und öffentlich zugänglichen Format fand am 23. November ab 12 Uhr im Sitzungssaal im Hauptgebäude der ÖAW in Wien statt.

Sprachliches zum „Holzpyjama“

Wien und der Tod – das passt bekanntlich gut zusammen, besang doch einst schon Georg Kreisler das eigenartige Verhältnis der Hauptstädter zu selbigem: „Der Tod, das muss ein Wiener sein“. Nur logisch also, dass Hannes Fellner, Linguist an der Universität Wien und seit heuer Mitglied der Jungen Akademie, dem Thema mit Mitteln der Sprachforschung zu Leibe rückt. Er eröffnete den Science Day mit seinem Vortrag „Den 71er nehmen – Sprachliches zum Thema Tod“. Für Nicht-Wiener: Der 71er ist eine Straßenbahnlinie die zum Wiener Zentralfriedhof fährt.

Der Tod, das muss ein Wiener sein.

Und tatsächlich: Welcher andere Dialekt kennt Ausdrücke so voller schwarzem Humor für das Sterben wie „den Holzpyjama auziagn“, „de Potschn ausstreckn“, „si di Eadöpfeln von unt anschaun“ oder „in Leffl obgebn“? Warum das so ist und wie das sprachliche Verhältnis der Wiener zum Tod beschaffen ist, erklärte Fellner anhand aktueller Sprachforschungen, die selbst für eingesessene Wiener noch die eine oder andere Überraschung bieten dürften.  

Das Ende des Universums wie wir es kennen

Bis zum Ende des Universums fährt der 71er zwar nicht. Aber wie der Tod des Universums aussehen könnte, „ist eine Frage, die sich die Menschen schon immer gestellt haben, vielleicht die größte Frage überhaupt“, sagte Daniel Grumiller, Hochenergiephysiker an der TU Wien und ebenfalls Junge Akademie-Mitglied. Welche der großen Schöpfungsmythen kommt den wissenschaftlichen Modellen und Prognosen am nächsten? Ist alles zyklisch, oder gibt es einen definitiven Anfang und ein definitives Ende? Das sind nicht nur philosophische sondern auch physikalische Fragen, war Grumiller überzeugt.

Dass wir das Universum (und dessen Ende) eines Tages vollends erklären können, glaubt er zwar nicht. Aber immerhin können wir mehr darüber lernen und versuchen, eine gute Theorie durch eine bessere zu ersetzen. So meinte ein Wiener Physiker vor rund 150 Jahren noch, dass Wien eines Tages im Pferdemist ersticken wird, weil dieser rasant zugenommen hatte. „Auf Basis seiner theoretischen Berechnungen hatte er mit seiner Prognose sogar Recht“, sagt Grumiller. Freilich hatte der Kollege allerdings nicht das Ende der Pferdeeisenbahn absehen können, auch war von moderner Müllabfuhr und -verwertung damals noch keine Spur. „Es gibt immer Unberechenbares. Man darf nichts, das für ein Modell relevant ist, übersehen – das gilt nach wie vor, auch in der modernen Physik“, so Grumiller.  

Was sich über unser Universum aber sicher sagen lässt: Es dehnt sich immer schneller aus und ändert dabei seine Zusammensetzung. Gab es in einem jungen Stadium (also einem Alter von rund 400.000 Jahren) nur einen sehr geringen Anteil Dunkler Energie, so besteht das Universum heute (Alter: rund 13,7 Mrd. Jahre) bereits zu mehr als zwei Dritteln daraus. Zusammen mit der Dunklen Materie macht die Dunkle Energie fast den gesamten Inhalt des Universums aus, denn auf die restliche Materie (Sterne, Planeten, Elemente, etc.) entfallen lediglich rund 5 Prozent, wie Grumiller erklärt. In ferner Zukunft (1.000 Mrd. Jahre oder noch später) wird „normale“ Materie nur mehr einen winzigen Bruchteil ausmachen – das Universum wird also fundamental anders aussehen.

Ob es nun aber tatsächlich eines fernen Tages zu seinem endgültigen Tod kommt, oder ob das Universum bis dahin gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik in einen anderen Zustand tunnelt und ein neues Universum „geboren“ wird (eventuell mit denselben Naturgesetzen, eventuell mit anderen), das steht – trotz zahlreicher Fortschritte in der theoretischen und experimentellen Physik – noch in den Sternen.

Es bleiben uns noch 10 hoch 10 hoch 123 Jahre bis zum Tod des Universums. Eine absurd große Zahl.

Am Tod des Universums dranzubleiben, zahlt sich daher umso mehr aus, denn bislang gibt es lediglich Modelle: Laut Grumiller bleiben uns noch 10 hoch 10 hoch 123 Jahre, bis es soweit ist: „Eine absurd große Zahl! So groß, dass es keine Rolle mehr spielt, ob wir Sekunden oder Jahre als Größenordnung verwenden.“ Uns betreffen werde das Ende des Universums ohnehin nicht mehr, da bis dahin längst unsere Sonne verglüht sein wird und es wohl schwierig werden dürfte, ein anderes Sonnensystem zu bereisen. Aber auch bis zum Ende der Sonne bleibt uns glücklicherweise noch etwas Zeit.

Der Tod als gesellschaftlicher Kampfplatz

Der Tod ist nicht nur eine Sache der Sprache und eine Frage der Physik. Er ist auch ein Topos gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Das machte Kristina Stöckl, Junge Akademie-Mitglied und Soziologin an der Universität Innsbruck, in ihrem Vortrag via Skype über die Rolle von Wertekonflikten rund um Leben und Tod deutlich. Themen wie Verhütung, Abtreibung und Sterbehilfe seien – wieder – im Zentrum von Kontroversen, die an den Schnittstellen von Gesellschaft, Politik und Religion verlaufen, sagte sie. Das gelte besonders für Osteuropa, und hier wiederum am stärksten für Russland.

In Russland verbreitet sich die Idee, dass im Westen eine „Kultur des Todes“ vorherrscht.

„Dort verbreitet sich die Idee, dass im Westen eine ‚Kultur des Todes‘ vorherrscht: Wegen Abtreibung und Sterbehilfe, aber etwa auch durch die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe würde der Westen dem Leben feindlich gegenüberstehen, so die Argumentation“, erläuterte Stöckl. Diese krude Ideenwelt werde, auch durch eine Vermengung mit Homophobie und Nationalismus, über die Kanäle der Neuen Rechten zu einem kohärenten Weltbild konstruiert – in Russland aber auch bei protestantisch-evangelikalen Gruppen in den USA. Durch Social Media und Filterblasen sei es zudem leichter denn je, Gleichgesinnte zu finden und sich in einschlägigen Gruppen einem solchen Weltbild anzuschließen, sagte die Soziologin.

„Russland ist ein Neuzugang in der sogenannten globalen christlichen Rechten. Früher gab es diese Debatten nicht, weil Religion in politischen Fragen kaum eine Rolle spielte. Den Anhängern dieser Ideenwelten geht es nicht nur um eine pauschale Verurteilung des Westens, sondern auch des Liberalismus“, erklärte Stöckl.

In Österreich sieht sie derzeit jedoch keine große gesellschaftliche Mobilisierung bei diesen Themen: Anders als in vielen anderen Ländern versuchen weder konservative Parteien, noch die Kirche, an mühsam erkämpften liberalen Errungenschaften zu rütteln. Anfang der 2000er etwa sprach sich noch ein einflussreicher Bischof gegen die Fristenlösung aus, ohne auf ein gesellschaftliches Echo zu stoßen. Eine Debatte darüber ist rasch wieder eingeschlafen.

Eingeschlafen, das ist beim ersten Science Day bestimmt niemand. Dafür sorgten neben diesen auch zahlreiche weitere Vortragsinputs – vom Tod in der Antike bis zum Waldsterben.

 

 

Die Science Days sind eine Veranstaltung der Jungen Akademie der ÖAW. Sie sind öffentlich zugänglich, der Eintritt ist frei. Die Auftaktveranstaltung fand am 23. November 2018 im Sitzungssaal der ÖAW (Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien) statt.
 

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