20.09.2019 | Geschichte der Globalisierung

KARL DER GROSSE UND DER KAISER VON CHINA

Die Spätantike war nicht nur durch ein einziges globales Zentrum geprägt. Der ÖAW-Historiker Johannes Preiser-Kapeller schreibt in seinem aktuellen Buch eine neue Globalgeschichte – und lässt dabei die eurozentrische Perspektive hinter sich.

Darstellung von Reitern am Hof der Tang-Dynastie, die von 617/18 bis 907 in China an der Macht war. © Wikimedia

Karl der Große war nicht unbedingt Karl der Größte. Europa nicht der Nabel der Welt. „Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ heißt daher ein aktuelles Buch von Johannes Preiser-Kapeller. Der Byzanzforscher am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nimmt darin die gesamte spätantike Welt Afroeurasiens in den Blick. Von Rom über Bagdad bis nach Chang´an in China: Sein Interesse gilt globalen Verflechtungen in der Zeit zwischen dem 4. und 9. Jahrhundert n. Chr. Welche Rolle Europa dabei spielt? „Westeuropa war nur der westlichste Rand dieser großen, globalisierten Welt“, sagt Preiser-Kapeller. „Das muss man einfach konstatieren.“

Herr Preiser-Kapeller, wie darf man sich globale Verflechtungen in der Spätantike vorstellen?

Johannes Preiser-Kapeller: Das sind zum einen politische, diplomatische Kontakte zwischen damals entstehenden Großreichen, wie dem arabischen Kalifat oder dem chinesischen Reich der Tang-Dynastie. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Religion. Bei uns spricht man vor allem von der Verbreitung des Christentums, aber auch Islam, Buddhismus und Hinduismus werden damals zu globalen Glaubensgemeinschaften. Eine weitere Ebene stellt der Handel dar, der wiederum viele andere Phänomene mitbedingt.

Bei uns spricht man vor allem von der Verbreitung des Christentums, aber auch Islam, Buddhismus und Hinduismus werden damals zu globalen Glaubensgemeinschaften.

Globalisierung war also bereits in der Spätantike ein komplexes Phänomen?

Preiser-Kapeller: Globale Verflechtungen bestehen schon damals auf mehreren Ebenen, die alle in einem Wechselspiel zueinander stehen. Aus politischen Kontakten ergeben sich etwa Gemeinsamkeiten in der Kultur. Das Polospiel beispielsweise wird damals in Konstantinopel genauso gespielt wie in Bagdad oder am chinesischen Kaiserhof. Diplomaten oder Missionare wiederum sind häufig auf Handelsschiffen unterwegs. Aber auch nicht-menschliche Akteure reisen auf diese Weise. Die Seidenraupe, die Banane, die Kokosnuss oder Zitrusfrüchte finden dadurch Verbreitung. Die Intensivierung des Handelsverkehrs begünstigt aber auch die Ausbreitung von Epidemien, wie etwa der Pest, die schon im 6. Jahrhundert nach Europa kommt.

Die Frage nach den unterschiedlichen Ebenen der globalen Verflechtung ist ein ganz wesentlicher Aspekt Ihrer Arbeit. Warum?

Preiser-Kapeller: Die Idee des Buches war unter anderem, die verschiedenen Ebenen darzustellen, auf denen Verflechtungen bestehen oder sich entwickeln. Diese Ebenen kann man aber natürlich nicht getrennt voneinander betrachten, sie bedingen einander gegenseitig. Früher hat man in den Geschichtswissenschaften globale Verbindungen oft als Elitenphänomen abgetan. Da werden ein bisschen Gewürze hin und her gehandelt und die meisten Menschen wissen nichts davon. Aber das stimmt nicht. Ich habe versucht, eine Gesamtgeschichte zu schreiben, die nicht nur auf die großen, mächtigen Männer abzielt, sondern auch alle anderen Akteure in den Blick nimmt.

Globale Verflechtungen hatten schon vor über tausend Jahren großen Einfluss auf die Lebenswelt jedes Einzelnen. Das ist nicht nur ein heutiges Phänomen.

Welche Auswirkungen hatte Globalisierung damals auf das Leben der einfachen Menschen?

Preiser-Kapeller: Dadurch wurden wesentliche Aspekte der Lebenswirklichkeit, wie etwa die Ernährung oder Religion, verändert. Zwar nicht in denselben kurzfristigen Zeiträumen wie heute, wo ein Börsenkrach in China uns unmittelbar beeinflussen kann, aber dennoch. Globale Verflechtungen hatten schon vor über tausend Jahren großen Einfluss auf die Lebenswelt jedes Einzelnen. Das ist nicht nur ein heutiges Phänomen.

Welche Rolle spielen neue Forschungsmethoden, wir etwa die „Digital Humanities“, in Ihrer Arbeit?

Preiser-Kapeller: Das umfasst zum einen natürlich die traditionelle Arbeit des Historikers, wie das Studium von Schriftquellen und archäologischen Befunden. Zum anderen arbeite ich aber auch mit Theorien und Methoden der modernen Netzwerkforschung, die ich auf historische Phänomene anwende. Hier kommen dann die Mathematik und der Computer zum Einsatz, um historische Netzwerke zu modellieren und diese Systeme neu zu analysieren.

Aus politischen Kontakten ergeben sich etwa Gemeinsamkeiten in der Kultur. Das Polospiel beispielsweise wird damals in Konstantinopel genauso gespielt wie in Bagdad oder am chinesischen Kaiserhof.

 Was wünschen Sie sich mit Ihrem Buch zu erreichen?

Preiser-Kapeller: Globalhistorische Studien sind nicht bloß eine Modeerscheinung, sie bringen uns tatsächlich neue Erkenntnisse. Das wollte ich deutlich machen, nicht nur in der wissenschaftlichen Community, sondern auch darüber hinaus. Das Buch ist ja durchaus für ein breites Publikum gedacht. Es lohnt sich aber ebenso, das Buch aus heutiger Sicht zu lesen. Wie wir jeden Tag merken, können wir nur verstehen was in Europa passiert, wenn wir einen globalen Blick einnehmen. Und das trifft auf die damalige Zeit genauso zu.

 

AUF EINEN BLICK

Johannes Preiser-Kapeller studierte Byzantinistik und Neogräzistik sowie Alte Geschichte in Wien. Er lehrt an der Universität Wien und ist Gruppenleiter am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW.

Das Buch „Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ ist im Mandelbaum Verlag erschienen und nimmt globale Verflechtungen in der Spätantike zwischen 300 und 800 n. Chr. in den Blick. Mehr dazu erzählt Johannes Preiser-Kapeller auch in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Omega Tau.