26.05.2020 | Neues Buch

Herrscherimmunität

Wie hätte Maria Theresia auf das Coronavirus reagiert? Sie hatte mit den Pocken zu kämpfen, steckte sich selbst an und verlor drei ihrer Kinder. Die ÖAW-Kunsthistoriker/innen Werner Telesko und Stefanie Linsboth erklären, welche Experten die Regentin berieten, welche Versuche sie unternahm, ihre Untertanen impfen zu lassen, und wie das Krisenmanagement der Habsburger aussah.

Louis-Léopold Boilly, Eine Mutter hält ihr Kind während einer Impfung, 1807 (?) © Wellcome Library, London. Wellcome Images, http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Die Pocken wüteten in Europa seit der römischen Kaiserzeit und machten auch vor großen Herrscherhäusern nicht halt. Wer die Krankheit überlebte, war – wie Maria Theresia – oft von Narben gezeichnet. Die beiden Kunsthistoriker/innen Werner Telesko und Stefanie Linsboth von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben zusammen mit ihrer Fachkollegin Sandra Hertel ein Buch über die Bildpolitik der Regentin herausgegeben. Im Gespräch erklären sie, warum es keine Gemälde gibt, auf denen die Pockennarben von Maria Theresia zu sehen sind und worin die Rolle von frühen „Virologen“ bestand.

Maria Theresia hatte während ihrer Regierungszeit mit den Pocken zu kämpfen. Hypothetisch gefragt: Wie hätte sie auf das Coronavirus reagiert?

Stefanie Linsboth: Die Corona-Pandemie ist sehr schnell über die Welt hereingebrochen, die Pocken waren ein stetiges Problem. 1767 war der habsburgische Hof stark betroffen; Maria Theresia erkrankte im Alter von 50 Jahren selbst daran. Nachdem sie genesen war, forcierte sie die Pockenimpfung. Sie hätte sich wahrscheinlich auch in Sachen Coronavirus stark dafür eingesetzt, dass rasch an einem Impfstoff geforscht wird.

Maria Theresia erkrankte im Alter von 50 Jahren an den Pocken. Nachdem sie genesen war, forcierte sie die Pockenimpfung.

Was hat diese Erkrankung für die Monarchie bedeutet?

Werner Telesko: Durch die Dezimierung von Mitgliedern der Dynastien wurde die Kontinuität in der Nachfolge gefährdet. Der Philosoph Voltaire schrieb 1734: „In der ganzen Welt haben von hundert Personen sechzig die Pocken.“ Im Grunde spricht er also von quantitativen Parametern, wie dies auch heute der Fall ist. Maria Theresia versammelte führende Mediziner an ihrem Hof, unter ihnen war auch der medizinische Berater der Kaiserin, der Niederländer Gerard van Swieten. Jan Ingenhousz, ebenfalls aus Holland, brachte 1768 die Pockenimpfung nach Wien.

Die Impfung wurde zuerst an Waisenkindern getestet. Danach ließ Maria Theresia ihre jüngsten Kinder und ihre Enkeltochter impfen.

Sie würde sich heute also von Virologen beraten lassen?

Telesko: Mit Sicherheit. Man könnte verkürzt den aus Leiden stammenden van Swieten als den Christian Drosten des 18. Jahrhunderts bezeichnen. Mit ihrer aufklärerisch bestimmten Herrschaft wird im Grunde ein Wandel deutlich, da nun die Deutungsmacht des christlichen Heilsgeschehens zunehmend relativiert wird. (Natur-)wissenschaftliche Initiativen des Menschen wecken das Vertrauen in eine selbstbestimmte Gestaltung der Zukunft und die Regentschaft Maria Theresias steht genau an dieser epochalen Zeitenwende.

Linsboth: 1768 wurde die Pockenimpfung zuerst an Waisenkindern getestet. Danach ließ Maria Theresia ihre jüngsten Kinder und ihre Enkeltochter Therese impfen.

Wie wurden die Impfgegner überzeugt?

Telesko: Die einfachste Methode der Überredung bestand in Geld und Geschenken, die man den Eltern gab. Das war etwa der Vorschlag der Grazer Sanitätskommission.

Man könnte Maria Theresias medizinischen Berater Gerard van Swieten als den Christian Drosten des 18. Jahrhunderts bezeichnen.

Maria Theresia hat Narben von der Erkrankung davongetragen. Sieht man das in zeitgenössischen Darstellungen?

Telesko: Einen Herrscher mit physischen Defiziten wiederzugeben, ist vor dem Biedermeier kein Thema der bildenden Kunst. Es gibt ein Verlangen nach aktuellen Porträts von Maria Theresia in ihrer Zeit, aber es ist ein Unterschied, ob man jemanden mit Pockennarben zeigt oder nur das Doppelkinn im vorgerückten Alter.

Sie war offen für Expertenmeinungen. War das eine grundsätzliche Eigenschaft von Maria Theresia?

Telesko: Dies hat vielleicht mit dem Beginn ihrer Regierungszeit zu tun, auf die sie nicht richtig vorbereitet war. Ihr Vater, Kaiser Karl VI., stützte sich vorwiegend auf altösterreichische Familien als Berater. Die waren überaltert und wenig reformfreudig. Maria Theresia zog daraus die Konsequenz, um mit den besten Köpfen aus ganz Europa Reformen in die Wege zu leiten.

Wie reagierte man auf ihre Pockenerkrankung?

Linsboth: Ihr Sohn Joseph II. verordnete im ganzen Herrschaftsgebiet Bittgebete. Nach der Genesung wurden diese in Dankgebete verwandelt. Dies hatte auch zum Ziel, die emotionale Bindung an die Herrscherin zu stärken.

Maria Theresia benutzte eine Krisensituation, um die eigene Herrschaft zu stärken und medial zu untermauern.

Man benutzte die Epidemie politisch, um ein Gemeinschaftsgefühl zu beschwören?

Telesko: Man lebte in einer ständigen Abfolge von Epidemien und Kriegszuständen. Trotz oder gerade wegen dieser katastrophalen Zustände kann das Herrscherhaus als reaktionsfreudig und reaktionsschnell beschrieben werden. Die aktuelle Krise wurde in etwas Positives umgemünzt, gleichsam als alle Stände einigendes Band. Dies ist ein wichtiger Aspekt, der uns noch heute bekannt vorkommen sollte: Man benutzt eine Krisensituation, um die eigene Herrschaft zu stärken und medial zu untermauern.

 

AUF EINEN BLICK

Werner Telesko ist wirkliches Mitglied der ÖAW und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich Kunstgeschichte des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der ÖAW.

Stefanie Linsboth ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsbereich Kunstgeschichte des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der ÖAW.

Das Buch „Die Repräsentation Maria Theresias. Herrschaft und Bildpolitik im Zeitalter der Aufklärung“ wurde herausgegeben von Werner Telesko, Sandra Hertel und Stefanie Linsboth. Der 558 Seiten starke Band ist bei Vandenhoeck & Rupprecht Verlage erschienen.