27.08.2018

Ein Schuster narrt den Wiener Adel

Gianantonio Lazier gab sich als Nachfolger der Kaiser von Byzanz aus und hielt im 18. Jahrhundert die Wiener High Society mit käuflichen Titeln zum Narren. ÖAW-Byzanzforscher Christian Gastgeber hat sich auf die historischen Spuren des Hochstaplers begeben.

© Österreichische Nationalbibliothek
© Österreichische Nationalbibliothek

Ein paar falsche Angaben hier, ein paar Bestätigungen dort. Schritt für Schritt baute ein Mann in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Scheinkonstrukt auf. So wurde aus Gianantonio Lazier, einem einfachen Schuster aus dem Aosta-Tal, Johannes Antonius Lascaris, seines Zeichens Großmeister des Konstantinischen Ritterordens und Nachfahre der ehemaligen byzantinischen Kaiser.

Auf die Spur gekommen ist dem Schwindler knapp drei Jahrhunderte später der Byzantinist Christian Gastgeber vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Bei seinen Vorbereitungen zur aktuell auf der Schallaburg laufenden Ausstellung „Byzanz und der Westen“ stieß er auf einige besonders prunkvolle Dokumente mit Ritterwappen, die sämtlich vom gleichen Mann ausgestellt waren. Gastgeber wurde neugierig und konnte Stück für Stück einen kleinen Wissenschaftskrimi rekonstruieren.

Mit welchen Dokumenten hat sich der Hochstapler verraten?

Christian Gastgeber: Es gibt mehr als 50 Urkunden, die eine einzelne Person über 18 Jahre hinweg, zwischen 1720 und 1738 ausgestellt hat. Diese Person war in Wien tätig und hat verschiedenen anderen Leuten die Mitgliedschaft im elitären Konstantinorden zugesichert. Einige Dokumente haben sich im Original auf Pergament, teils mit Goldtinte geschrieben, erhalten. Die Mehrzahl gibt es als Papierabschriften.

Und wie sind Sie darauf gekommen, dass es damit nicht seine Richtigkeit hat?

Gastgeber: Zwei dieser Urkunden, die sogar besonders prächtig sind, zeigen wir in der Ausstellung auf der Schallaburg. Denn schon zu Lebzeiten dieses Mannes hat eine italienische Adelsfamilie, die Farnese, Herzöge von Parma und Piacenza, ihre Gültigkeit angezweifelt. Diese Familie hatte die Würde des Konstantinordens offiziell erworben und hat über den Verdächtigen ein Dossier anlegen lassen. Darin sind viele Zeugenaussagen aufgenommen worden, die die angebliche Familiengeschichte des Mannes widerlegen. Der Mann behauptete, ein Nachfahre des byzantinischen Kaiserhauses zu sein. Tatsächlich war er aber ein Schuster aus dem Aosta-Tal. In Rom hatte er in eine Schneiderfamilie eingeheiratet und sich durch Kontakte an Adelige heran gemacht.


Wie konnte jemand, der als Schuster bekannt war, plötzlich selbst als Adeliger, zumal als byzantinischer Kaiserspross auftreten?

Gastgeber: Er wechselte die Stadt. Jahre später tauchte er in Brüssel auf und trug nun statt seines bürgerlichen Namens, Gianantonio Lazier, den latinisierten Namen Johannes Antonius Lascaris, erweitert um andere Familiennamen der byzantinischen Kaiserfamilien wie Angelus, Comnenus und Palaeologus. Wie er sich allerdings das Erscheinungsbild eines Adeligen zugelegt hat, ist nicht bekannt. Seine Sprache, sein gesamtes Auftreten durfte ja nicht grobschlächtig wirken.

Gibt es Abbildungen von Lacier?

Gastgeber: Ja. Idealisierte Abbildungen, die einen Adeligen darstellen, wie man ihn sich damals vorgestellt hat.

Warum kam er ausgerechnet nach Wien?

Gastgeber: In dieser Stadt trat er ab 1720 auf. Damals gab es in Wien besonderes Interesse an der byzantinischen Kultur. Mit Prinz Eugen gelang ein nachhaltiger Erfolg gegen das Osmanische Reich, eine „Rückeroberung“ des Byzantinischen Reiches stand im Raum. Um diese Zeit begann auch Lazier hier sein Urkundenwesen und wurde von Kaiser Karl VI. darin sogar unterstützt. Der ließ ihn frei agieren und bestätigte ihm durch seine Kanzlei gewisse Urkunden seines Adelsanspruches.

Warum waren byzantinische Titel für die Wiener Gesellschaft im 18. Jahrhundert so attraktiv? Das byzantinische Kaiserreich war ja 1453 untergegangen.

Gastgeber: Die Idee des byzantinischen Reiches, dieses glorreichen, christlichen, prunkvollen Reiches, das „in die Hände der Osmanen“ gelangt war, hatte im Bewusstsein der Europäer noch große Nachwirkung. Dieses Reich war umgeben von einer Aura der prachtvollen, orientalischen Macht auf christlicher Basis, das durch eine gemeinsame Geschichte mit Westeuropa verbunden war. Auf dieses ideologische Erbe und vor allem das Prunkgehabe wollte man gerne bauen, wenn es um die eigene Würdestellung ging. Zudem bot sich der Konstantinorden als Schutz für das östliche Christentum an. Man träumte von der Wiedererrichtung eines christlichen Reiches im Osten – samt Wiederbelebung byzantinischen Stils.


Hätte denn so ein Titel auch irgendwann reale Bedeutung bekommen können?

Gastgeber: Wäre es gelungen, die Osmanen aus Konstantinopel und dem ehemaligen geschrumpften byzantinischen Reich, also zumindest aus der ehemaligen Hauptstadt und dem nahen Umfeld, zu vertreiben, hätten diese Personen wieder eingesetzt werden können, als Herrscher eines Nachfolgereiches. Mit diesem Erbfolgeanspruch gingen immer wieder einzelne Personen, die ihre Ansprüche mehr oder weniger gut zu dokumentieren wussten, an die Öffentlichkeit.

Weiß man, wie sich der „adelige“ Schuster finanziell erhielt? Hatte er eigenen Besitz?

Gastgeber: Er erhielt sich offenbar über den Konstantinorden. Aber man weiß sonst wenig darüber, ob er Einnahmen oder Besitzungen hatte. In einigen Urkunden gibt es aber humoristische Noten. Lazier erbat sich 1720 von einem ernannten Ritter, den er mit Titeln begünstigt hatte, zwei Papageien. Von einem forderte er jährlich einen weißen Schimmel mit Silberhufen und Goldzügeln. Von einem anderen jährlich zwei Pfaue, alles unter strenger Strafandrohung. Das wären 18 Lipizzaner und 36 Vögel für die Zeit, die er in Wien gelebt hat. Ob er die wirklich bekam, und wo er sie unterbrachte, wissen wir leider nicht. Lazier starb auf jeden Fall ziemlich ärmlich und verbachte seine letzte Zeit im Dominikanerkloster, gleich gegenüber der heutigen ÖAW.

 

Christian Gastgeber ist Byzanzforscher und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW, wo er die Arbeitsgruppe Sprache, Text und Schrift leitet. 2010 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu den griechischen Handschriften der Bibliotheca Corvinina der Österreichischen Nationalbibliothek. Er kuratierte bzw. co-kuratierte zahlreiche Ausstellungen und war zuletzt beteiligt an der wissenschaftlichen Gestaltung der Ausstellung „Byzanz und der Westen“ auf der Schallaburg in Niederösterreich, die noch bis 11. November zu sehen ist.

Institut für Mittelalterforschung der ÖAW