07.07.2020 | Freier Rundfunk

„Die Menschen möchten mehr politische Teilhabe“

Nichtkommerzieller Rundfunk deckt den Bedarf nach lokaler Information, Kommunikation und Community Building. Dass der Ausbau aus demokratiepolitischer Sicht wichtig ist, legt eine aktuelle Studie der ÖAW nahe.

Eine Frau filmt ein Gespräch zwischen Menschen, die um einen Tisch sitzen.
Freie Radios und TV-Sender vermitteln Demokratieverständnis, sagt eine neue Studie. © Unsplash

Sie sichern Vielfalt im lokalen Raum, stellen soziale Knotenpunkte dar, vermitteln kritische Medienkompetenz: Nichtkommerzielle Radio- und Fernsehsender machen Demokratie erlebbar. Damit stehen sie im Einklang mit den im „EU Action Plan on Human Rights and Democracy 2020-2024“ formulierten medienpolitischen Zielsetzungen der Europäischen Union, die die Zivilgesellschaft als wichtigen Akteur in der Medienlandschaft sehen.

Warum ein Ausbau des Sendernetzes und eine bessere Medienförderung für die Stärkung der Demokratie wichtig ist, zeigt nun eine von den Medienforschern Helmut Peissl und Josef Seethaler erstellte Studie zum Public Value des nichtkommerziellen Rundfunks. Über das sozio-demografische Spektrum der Sendungsmacher/innen und die Bandbreite der vermittelten Themen spricht Seethaler vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt, im Interview.

Während sich immer mehr Menschen in Echokammern und Filterblasen ihren eigenen Nachrichtenfluss schaffen und klassische Medien um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen, haben Sie den Public Value, der nichtkommerziellen Medien untersucht. Was interessiert Sie daran wissenschaftlich?

Josef Seethaler: Vorweg: trotz aller Bedeutung von Online-Medien insbesondere für die junge Generation sind in Österreich immer noch Fernsehen, Zeitung und Radio die meistgenutzten Informationsmedien. Für uns war daher der gesellschaftliche Mehrwert interessant und die Frage, was nichtkommerzielle Sender im Vergleich zu öffentlich-rechtlichem Rundfunk oder privatkommerziellen Sendern, aufgrund anderer Strukturen und Zielsetzungen, einbringen können. Wir wollten herausfinden, inwiefern sich in den 20 Jahren des Bestehens nichtkommerzieller Sender eine gemeinsame Institution und ein gemeinsames Selbstverständnis geformt haben – und ob dieses von Werten geprägt ist, um die es in der Medienarbeit gehen soll.

In 80 Prozent der Redezeit bei nichtkommerziellen Sendern wurden Aspekte normativer Funktionen angesprochen, die demokratiepolitisch höchst relevant sind.

Wie haben Sie das herausgefunden?

Seethaler: In 120 Fokusgruppengesprächen haben wir die Sendungsmacher/innen befragt, etwa darüber, warum sie zum Radio oder zum Fernsehen gegangen sind, was sie an ihrer Arbeit schätzen, wie sie ihre Sendungen gestalten, wie ihr eigenes Mediennutzungsverhalten aussieht und was sie angesichts des Medienwandels über die Zukunft des Radios und Fernsehens denken. Bei Auswertung dieser Gespräche waren wir dann mehr als überrascht: In 80 Prozent der Redezeit wurden Aspekte normativer Funktionen angesprochen, die demokratiepolitisch höchst relevant sind und die die Sendungsmacher/innen in ihren Programmen vermitteln möchten.

Welche demokratiepolitisch relevanten Funktionen sind das?

Seethaler: Die drei Hauptfunktionen sind: Artikulation, also die Eröffnung von Möglichkeiten, damit Menschen und zivilgesellschaftliche Gruppen, ihre Anliegen in den öffentlichen Diskurs einbringen können. Zweitens Partizipation, also die Ermächtigung von Menschen an der Gestaltung ihrer sozialen und natürlichen Umwelt und damit auch an politischen Prozessen teilzuhaben. Und drittens Komplementarität, das heißt in den jeweiligen Verbreitungsgebieten dem spezifischen Informationsbedürfnis der lokalen Bevölkerung zu entsprechen. Darüber hinaus geht es um Medienkompetenz und darum, Wege zu finden, wie man Radio und Fernsehen mit Online-Tools verbinden kann.

Beim nichtkommerziellen Rundfunk greifen die Menschen selbst die Themen auf, die sie für wichtig halten und versuchen, diese Themen an die Umwelt zu vermitteln.

Inwiefern fördern nichtkommerzielle Sender nicht nur technische, sondern auch kritische Medienkompetenz?

Seethaler: Wenn ich selbst ein Programm gestalte, bekomme ich ein ganz anderes Gefühl für Medien, als wenn dies ein professioneller Journalist tut. Das merkt auch das Publikum. Damit verlassen sie die Konsumentenrolle und erleben, was es bedeutet, in einen Diskurs selbst eingreifen zu können. Denn: Beim nichtkommerziellen Rundfunk greifen die Menschen selbst die Themen auf, die sie für wichtig halten und versuchen, diese Themen an die Umwelt zu vermitteln.

Nichtkommerzielle Sender möchten alle Bevölkerungsgruppen einbinden, auch jene, die sonst keinen Zugang haben, sich in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Funktioniert das Konzept? 

Seethaler: Es ist unglaublich, dass tatsächlich alle Altersgruppen von Schüler/innen bis zu Pensionist/innen hier ihre Sendungen machen. Der Bogen spannt sich von der Lyrik von Menschen mit Behinderung über die Probleme türkischer Minderheiten bis hin zu spezifischen Musikgenres, die im Mainstream-Radio nicht vorkommen, weil sie zu wenig Geld einspielen. Ich war überrascht, über das sozio-demografische Spektrum der Sendungsmacher/innen und die Bandbreite der vermittelten Themen.

Die Menschen möchten Verantwortung übernehmen und sie möchten mehr politische Teilhabe, österreichweit sind das fast 40 Prozent.

Ist der nichtkommerzielle Rundfunk in allen Bundesländern angekommen?

Seethaler: Es gibt kein Bundesland, in dem kein freies Radio existieren würde. Von flächendeckend sind wir allerdings weit entfernt. Es gibt mehrere blinde Flecken.

Flächendeckender Ausbau – das ist auch eine der Forderungen in Ihrer Studie. Warum braucht es das?

Seethaler: Wir brauchen dieses Know-How, um Menschen wieder das Gefühl zu geben, dass Demokratie etwas ist, das in ihrem Leben eine große Rolle spielt. Sehen wir uns den European Value Survey an, dann ist hier ein Trend sichtbar, der weder von der Politik, noch von den Mainstream-Medien bedient wird: Die Menschen möchten Verantwortung übernehmen und sie möchten mehr politische Teilhabe, österreichweit sind das fast 40 Prozent. Ein Ausbau des Sendernetzes wäre daher wünschenswert, zumindest mit dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung. Die EU gibt mit ihren Rahmenbedingungen regionaler Förderung das Modell der 35 NUTS-3-Regionen (NUTS ist eine räumliche Verwaltungsgliederung der EU – Anm.) vor. Um in jeder Region vertreten zu sein, müssten die derzeit 17 Stationen auf 35 erhöht werden.

Betrachtet man die Medienförderung unter dem demokratiefördernden Gesichtspunkt, dann braucht es mehr Förderung für den nichtkommerziellen Sektor.

Was bedeutet das für die Medienförderung im Land?

Seethaler: Natürlich wäre es sinnvoll, die Medienförderung als Ganzes aufzustocken. Nur: Sie sollte als Ganzes auf eine effiziente Förderung für demokratisch relevante Medienarbeit umgestellt werden. Wenn wir uns die Zahlen ansehen, dann fällt die Medienförderung derzeit so aus, dass kommerzielle Privatsender jährlich 20 Millionen Förderung erhalten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk jährlich rund 640 Millionen aus Rundfunkgebühren erhält und die nichtkommerziellen mit jährlich drei Millionen Euro unterstützt werden. Es geht mir nicht darum, die eine Form gegen die andere auszuspielen. Aber: Betrachtet man die Medienförderung unter dem demokratiefördernden Gesichtspunkt, dann braucht es mehr Förderung für den nichtkommerziellen, das heißt den zivilgesellschaftlichen Sektor.

 

AUF EINEN BLICK

Josef Seethaler ist stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Er lehrt an den Universitäten Wien und Klagenfurt.

Die Studie wurde erstellt vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung und COMMIT – Community Medien Institut für Weiterbildung, Forschung und Beratung im Auftrag der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) und des forums journalismus und medien wien (fjum).

Download der Studie