18.02.2020 | Destruktive Kommunikation

Warum trollen Online-Trolle?

Bewegt man sich im World Wide Web, wird man früher oder später auf sie stoßen: „Trolle“ – also Personen, die Foren, Kommentarspalten oder Social Media dazu nutzen, mit ihren Beiträgen zu provozieren. Kommunikationsforscher/innen der ÖAW haben die Motive solcher Trolle in Online-Medien untersucht und festgestellt, dass viele sich als „Glaubenskrieger“ verstehen.

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Der Kommunikationswissenschaftler Tobias Eberwein vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat mit seinem Team in einer qualitativen Studie ausführliche Interviews mit 22 Personen im Alter von 36 bis 70 Jahren geführt, die regelmäßig destruktive Kommentare auf Nachrichtenwebsites veröffentlichen. Dabei stieß er auf unterschiedlichste Motive, die diese Personen zum „Trollen“ bewegten. Im Interview spricht er über die Rolle, die partizipative Medien in diesem Zusammenhang haben, welchen Kommunikationsmustern das Trollen folgt und die Beweggründe dahinter.

Herr Eberwein, in Ihrer aktuellen Studie beschäftigen Sie sich mit störenden Kommentaren in partizipativen Medienumgebungen. Was versteht man in diesem Kontext unter Partizipation?

Tobias Eberwein: Grundsätzlich sind Formen der Partizipation, also der Teilhabe, in den Massenmedien nichts Neues – man denke zum Beispiel an den klassischen Leserbrief in Tageszeitungen oder sogenannte Call-Ins im Radio, wenn Zuhörer/innen eingeladen werden, in der Sendung anzurufen und an der Diskussion teilzunehmen. Wir haben uns in unserer Studie auf die Formen von Partizipation konzentriert, die in Online-Medien stattfinden, das sind zum Beispiel Foren auf Nachrichtenwebsites, Kommentarfunktionen oder der gesamte Bereich Social Media. Hier sind in den letzten zehn Jahren viele neue Möglichkeiten entstanden, wie ein breites Publikum an journalistischen Inhalten aktiv teilhaben kann.

Wir haben uns in unserer Studie auf die Formen von Partizipation konzentriert, die in Online-Medien stattfinden.

Führt die Beteiligung von Bürger/innen im Journalismus zu einem Qualitätsgewinn durch die Möglichkeit, die „Schwarmintelligenz“ zu nutzen? Oder verderben zu viele Köche sprichwörtlich den Brei?

Eberwein: In der Theorie können partizipative Modelle viele Benefits für Medienmacher/innen haben und das in allen Phasen der journalistischen Arbeit. Der Input durch interessierte User/innen kann z.B. bei der Themenfindung helfen, indem bisher nicht berücksichtigte Aspekte eines Themas aufgegriffen werden. Auch bei der Recherchearbeit können Informationen von außen durchaus behilflich sein. So ist es zum Beispiel in manchen Zeitungen gang und gebe, die Leser/innen zu bitten, Fotos oder Videos zu bestimmten Ereignissen einzuschicken. Und nicht zuletzt kann auch die Qualitätssicherung von einem „Viele-Augen-Prinzip“ profitieren. In der Praxis sehen wir jedoch häufig, dass diese grundsätzlich positiven Potentiale auch zu vielen Problemen führen.

Eines der großen Probleme ist sogenannte dysfunktionale Kommunikation z.B. in Online-Foren oder auf Social Media. Es geht um störende Kommunikation, die geordnete Kommunikation unterbindet und weit über konstruktive Kritik hinausgeht. 

Mit welchen Problemen sind Medien konfrontiert?

Eberwein: Eines der großen Probleme, das auch im Mittelpunkt unserer Studie steht, ist sogenannte dysfunktionale Kommunikation z.B. in Online-Foren, Kommentaren und auf Social Media. Im journalistischen Bereich versteht man darunter jede Form der öffentlichen Kommunikation, die Journalisten davon abhält, ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachzukommen. Anders gesagt: Es geht um störende Kommunikation, die geordnete Kommunikation unterbindet und weit über konstruktive Kritik hinausgeht. Hate Speech ist eine dieser Formen störender Kommunikation, die uns speziell interessiert, weil sie auch besonders aktuell ist.

Ihre Studie stellt die Motivation von sogenannten „Internet-Trollen“ in den Fokus. Warum posten diese User/innen störende Kommentare?

Eberwein: Wir haben im Zuge unserer Arbeit schnell festgestellt: Den typischen Troll gibt es nicht. Wir haben für unserer Studie 22 Personen interviewt, von denen bekannt war, dass sie häufig störende Kommentare posten. Wir befragten sie zu ihrem allgemeinen Hintergrund, dem Mediennutzungsverhalten und ihrer Meinung zum Journalismus. Es stellte sich heraus, dass allen Befragten eine gewisse kritische bzw. skeptische Grundhaltung dem Journalismus gegenüber gemein ist – bis hin zu einer tiefen Unzufriedenheit mit der Medienlandschaft.

Viele Trolle haben das Gefühl, sich nur auf diese Weise Gehör verschaffen zu können. Andere sehen sich als eine Art „Glaubenskrieger“ und sind von einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein getrieben.

Was uns überraschte, war die Vielfalt an unterschiedlichen Argumenten, mit denen die User/innen ihre störenden Kommentare begründeten. Viele haben das Gefühl, sich nur auf diese Weise Gehör verschaffen zu können. Andere sehen sich als eine Art „Glaubenskrieger“ und sind von einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein getrieben. Auch interessant war, dass diejenigen, mit denen wir gesprochen haben, trotz der vordergründig destruktiven Postings meist durchaus interessiert waren an einem Austausch und zum Teil überrascht waren, wenn sie Gehör fanden. Viele von denjenigen „Störern“, die wir zu Beginn der Studie versucht haben zu kontaktieren, wollten allerdings gar nicht mit uns sprechen – insofern ist uns bewusst, dass wir hier nur einen Teil der Motive von störenden Kommentierern abbilden können.

Bei einer so differenzierten Motivlage der Trolle – können Sie trotzdem Empfehlungen daraus ableiten, wie Redaktionsverantwortliche mit störenden Kommentaren und Hasspostern umgehen sollen?

Eberwein: Hier muss man unterscheiden, um welche Art der störenden Kommentare es sich handelt. Wenn es um strafrechtlich relevante Inhalte geht, dann sollte man das natürlich den zuständigen Stellen übergeben. Generell rate ich aber, die Möglichkeiten des Dialogs, die Foren oder Kommentarfunktionen bieten, ernst zu nehmen und zu nutzen. Eine kurze Antwort auf ein provokantes oder störendes Posting zeigt dem Schreiber, dass er wahrgenommen wurde und man bereit ist, mit ihm ein Gespräch einzugehen. Wenn die Kommunikation auch nach einem Signal zur Diskursbereitschaft störend bleibt, kann man weitere Schritte überlegen.

 

Auf einen Blick

Tobias Eberwein ist Kommunikationswissenschaftler am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt.

Publikation:

"'Trolls' or 'warriors of faith’? Differentiating dysfunctional forms of media criticism in online comments", Tobias Eberwein, Journal of Information, Communication and Ethics in Society, 2019
DOI: 10.1108/JICES-08-2019-0090   
 

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