27.04.2021 | Lärmbelastung

Die (kurze) Stille der Pandemie

Wann laut zu laut ist und was Lärm zu einer komplexen Bedrohung macht, erklären Wissenschaftler/innen vom Institut für Schallforschung anlässlich des Tages gegen Lärm am 28. April. In einem laufenden Projekt untersuchen die ÖAW-Forscher/innen die Zusammenhänge zwischen Stille und Pandemie.

Ist die Welt seit der Pandemie stiller geworden? Dieser Frage gehen ÖAW-Wissenschaftler/innen am Institut für Schallforschung in einem Projekt mit dem Titel „Pandenoise“ nach. Dabei wurden Lärmpegel vor und während der Pandemie an öffentlichen Orten aufgezeichnet. „Wir haben diese mit historischen Daten des Phonogrammarchivs verglichen. Generell hat man im ersten Lockdown den Stand der 1980er und 1990er-Jahre erreicht“, erklärt Peter Balazs, Leiter des Projekts und Direktor am Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Der erste Lockdown schaffte Stille an Orten, die vorher belebt und laut waren. So hat in dieser Zeit der Straßenverkehr, als Begleiterscheinung der gesunkenen Mobilität, um etwa 50 Prozent abgenommen. Das Ergebnis ließ sich hören: „Die Pegelminderung lag demnach bei drei bis vier Dezibel“, sagt ÖAW-Schallforscher Holger Waubke. „Beim Flugverkehr waren die Abnahmen wesentlich deutlicher, da gab es einen durchschnittlichen Rückgang von bis zu zehn Dezibel.“ Allerdings waren die hörbaren Effekte nicht von langer Dauer. Die darauffolgenden Lockdowns haben hierzulande bekanntlich zu weit weniger Stillstand geführt als noch im Frühjahr 2020.

Laute Welt

Aber was ist Lärm eigentlich und warum ist er bedrohlich? Für die einen ist es ein tropfender Wasserhahn, für die anderen das Schreien eines Babys oder ein lautstarkes Rockkonzert. Wann ein Geräusch als Lärm empfunden wird, ist in den meisten Fällen subjektiv, erklärt Institutsdirektor Balazs. Tatsächlich hängt die Wahrnehmung auch von der Einstellung des Betroffenen zum jeweiligen Signal ab. Fest steht: Lärm ist lästig. Balazs: „Lärm ist ungewollter und unangenehmer Schall. Ist der Schalldruckpegel zu hoch, kann das nachweislich gesundheitsschädigend sein.“ In seiner Forschung geht es etwa darum, wie Lärm entfernt werden kann. Als Mathematiker beschäftigt er sich mit Algorithmen zur Signalverarbeitung, um Rauschen zu modellieren, und damit Signale zu „entrauschen“.

Dass Lärm ein erhebliches Gesundheitsproblem darstellt, ist keineswegs neu. Bereits vor einem Jahrzehnt warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO vor Belastungen durch Lärm. „Seither geht es in der EU darum wieder leiser zu werden“, so ÖAW-Forscher Waubke. Denn die Hauptlärmquelle im Wohnbereich ist der Verkehr – auf den Straßen, Schienen und in der Luft.

„Allgemein gibt es eine ständige Verkehrszunahme“, so Waubke, der am Institut für Schallforschung u.a. zu Lärmminderung an Schienen und Straßen mittels numerischer Simulationen forscht. „Allerdings werden auch die Grenzwerte gesenkt und der Lärm des einzelnen Fahrzeuges weiter reduziert.“ So wurden Lastkraftfahrzeuge u.a. mit lärmarmen Reifen ausgestattet. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch bei der Bahn. Durch neue Bremssysteme in Güterzügen kann eine erhebliche Reduktion erreicht werden. Schließlich ist es eine Vorgabe der EU, den Bahnverkehr bei gleichbleibenden Lärmemissionen zu verdoppeln. Insgesamt soll es zu einer Verlagerung von der Straße auf die Schiene kommen.

Lärm macht Stress

Dabei muss Lärm nicht immer laut sein. Je nach Situation und Wahrnehmung verursacht Lärm Stress. Ein berühmtes Beispiel ist der Wassertropfen, der nur alle paar Minuten tropft. Wenn man einschlafen möchte, kann einem dieses minimale Schallereignis den Schlaf rauben. Auf Dauer kann das zu Schlafstörungen führen und krank machen.

„Wer anhaltend Lärm ausgesetzt ist, insbesondere in der Nacht, hat ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Psychoakustiker Bernhard Laback vom ÖAW-Institut für Schallforschung. Nächtliche Lärmbelästigung lässt den Stresspegel im Körper steigen und die Leistungsfähigkeit untertags sinken. Und auch tagsüber hat Lärm negative Auswirkungen auf unseren Körper. Ab etwa 60 Dezibel wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet und die Herzfrequenz und der Blutdruck erhöht. Bei höheren Pegeln ab 80 Dezibel schädigt der Schall das Gehör.

Lärm belastet das Ökosystem

Doch Lärm hat nicht nur Auswirkungen auf uns Menschen, sondern auf das gesamte Ökosystem. Welche Folgen eine stetig zunehmende Geräuschkulisse auf Flora und Fauna hat, ist zu einem wichtigen Forschungsgebiet geworden: „Man hat schon lange festgestellt, dass bei dauernder Lärmbelastung bei Meerestieren und Reptilien die Reproduktion wie auch die Lebenserwartung systematisch zurückgeht“, erzählt Psychoakustiker Laback. 

Spannendes Detail: In den ersten Monaten der Pandemie haben weltweit die seismischen Aktivitäten um etwa 50 Prozent abgenommen. Seismometer registrieren neben Erdbeben, Explosionen und Vulkanausbrüche auch viele andere Einwirkungen auf die Erdoberfläche, darunter menschliche Aktivität und Mobilität. Der Rückgang der durch Verkehr und Industrie verursachten Vibrationen im Erdboden, war vor allem in der ersten Welle zwischen März und Mai des vergangenen Jahres zu beobachten. Laback: „Noch nie gab es global derart wenig seismische Aktivitäten. Das war in der Messgeschichte die weltweit längste und stillste seismische Ruhephase, die noch hunderte Meter tief in der Erde messbar war.“

 

Auf einen Blick

Tag gegen Lärm

Auf diese und andere Zusammenhänge rund um die Schallforschung machte der Tag gegen Lärm am 28. April 2021 aufmerksam – aufgrund des Lockdowns in Wien haben heuer am Institut für Schallforschung aber keine Veranstaltung dazu stattgefunden. Ab nächstem Jahr planen die ÖAW-Forscher/innen wieder einen Tag der offenen Tür mit vielen interaktiven Stationen zu veranstalten.

Projekt PANDENOISE