04.03.2021 | Online-Lecture

Auf den Spuren der Sesshaftwerdung des Menschen

12.000 Jahre vor unserer Zeit begann der Mensch, sesshaft zu werden. Diese revolutionäre „Erfindung“ breitete sich von Vorderasien auch nach Europa aus. Auf welchen Wegen dies geschah, untersucht die ÖAW-Archäologin Barbara Horejs mit Ausgrabungen am Balkan. Zum Weltfrauentag am 8. März sprach sie in einem Online-Vortrag über die neuesten Erkenntnisse zur Neolithischen Revolution. Im Interview gibt sie vorab einen Einblick.

Diese Illustration zeigt den Fundort Çukuriçi Höyük bei Ephesos in der Türkei. Dort dürften sich vor 6.700 Jahren Menschen angesiedelt haben, die die sesshafte Lebensweise von Vorderasien nach Europa brachten.
Diese Illustration zeigt den Fundort Çukuriçi Höyük bei Ephesos in der Türkei. Dort dürften sich vor 6.700 Jahren Menschen angesiedelt haben, die die sesshafte Lebensweise von Vorderasien nach Europa brachten. © 7Reasons/ÖAW

Die „Neolithische Revolution“ beginnt vor rund 12 000 Jahren in Vorderasien: Aus mobilen Jäger/innen und Sammler/innen werden bäuerliche, sesshafte Gemeinschaften. Eine Entwicklung, die die Geschichte der Menschheit nachhaltig verändern wird. 7.000 Jahre später war die Sesshaftigkeit auch in Mitteleuropa angekommen. Die Archäologin Barbara Horejs, wissenschaftliche Direktorin am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), will mit ihren Forschungen herausfinden, wie sich die Ausbreitung der Sesshaftigkeit vollzogen hat. Bei einem Online-Vortrag am 8. März um 17.30 Uhr erzählte sie von neuen Erkenntnissen aufgrund von aktuellen Grabungen, DNA-Analysen und Geodaten.

Der Vortrag fand nicht zufällig am Weltfrauentag statt. Die ÖAW möchte mit der Veranstaltung die Forschungsleistungen von Frauen vor den Vorhang holen. Im Interview erzählt Barbara Horejs vorab von verwegenen Pionieren, von seefahrenden Bauern, und sie erklärt, warum die Balkanroute essentiell für unsere Zivilisation ist.

Welche Bedeutung hat die „Neolithische Revolution“ für die Menschheit?

Barbara Horejs: Der Begriff Neolithische Revolution ist mittlerweile eigentlich veraltet. Heute sprechen wir von der Neolithisierung der Menschheit. In der Forschung zeigt sich immer deutlicher, dass diese massive Veränderung für unsere Spezies in vielen Aspekten, weit über die bloße Veränderung der ökonomischen Grundlagen hinaus, prägend war. Aus mobilen Jägerinnen und Sammlern werden sesshafte Gruppen, die Nahrungsbeschaffung durch Jagd und Sammeln wird von Ackerbau und Viehzucht abgelöst. Das sind die ökonomischen Aspekte. Darüber hinaus betrifft dieser Prozess aber ebenso soziale, technologische und kulturelle Faktoren unseres gesamten Zusammenlebens.

In der Forschung zeigt sich immer deutlicher, dass diese massive Veränderung für unsere Spezies prägend war.

Worauf konzentrieren sich Ihre Forschungen zu dieser „Neolithisierung“?

Horejs: Dass die Verbreitung dieser neuen Lebensform durch Migration stattgefunden hat, ist mittlerweile gut belegt. Das aber stellt uns wiederum vor viele neue Fragen. Meine Forschungen zeigen etwa, dass wir es mit einer differenzierten Ausbreitung des Neolithikums zu tun haben. Diese Migration erfolgte in verschiedener Intensität, in unterschiedlichen Wellen und auf verschiedenen Land- und Seerouten. Wesentlich ist dabei auch die offensichtlich komplexe Wechselwirkung zwischen den lokalen, mobilen Jägerinnen und Sammlern und den neolithischen Pionieren, die die neue Lebensform mitbringen. Es muss in vielerlei Hinsicht zu einer Kommunikation und einem Austausch zwischen den lokalen Gruppen und den Migrant/innen gekommen sein. Genau diese dahinter liegenden und komplexeren Prozesse der Neolithisierung sind es, auf die ich mich derzeit in meiner Forschung konzentriere.

Es muss zu einer Kommunikation und einem Austausch zwischen den lokalen Gruppen und den Migrant/innen gekommen sein.

Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?

Horejs: Die Ausgrabungen in der Westtürkei, in Çukuriçi Höyük bei Ephesos nahe dem heutigen Izmir, haben spannende neue Erkenntnisse erbracht. Wir haben dort sieben Jahre lang gegraben, dabei auch bioarchäologische und archäometrische Untersuchen durchgeführt und waren an größeren DNA-Projekten beteiligt. Basierend auf diesen Daten habe ich ein Modell zur Ausbreitung der Neolithisierung entwickelt. Es zeigt, dass es parallel zur Ausbreitung über den Landweg auch eine maritime Ausbreitung gegeben haben dürfte. Wir gehen davon aus, dass eine Gruppe von Pionieren, vermutlich aus der nördlichen Levante über den Seeweg entlang der türkischen Südküste in die Ägäis gekommen ist und dort an der Küste gesiedelt hat. Die erste Siedlungsphase von Çukuriçi Höyük, aus der Zeit von 6.700 BC, stammt von genau diesen Pionieren. Und sie haben das gesamte Bündel an Innovationen des Neolithikums bereits mitgebracht, inklusive aller vier Haustierarten, also Rind, Schaf, Ziege, Schwein und technologischem Know-how, etwa zur Herstellung von Steingeräten. Das macht diesen Platz so spannend. Es ist einer der ältesten Nachweise von Ackerbauern in der Ägäis und im gesamten Mittelmeerraum.

Parallel zur Ausbreitung über den Landweg dürfte es auch eine maritime Ausbreitung gegeben haben.

Ihre Forschungen beschränken sich aber nicht allein auf diese Region.

Horejs: Ich forsche auch im Entstehungsgebiet des Neolithikums. Wir haben 2018 neue Feldforschungen als Pilotprojekt im Iran begonnen. Und wir versuchen die wahrscheinliche Route von der Ägäis nach Europa mittels neuer Ausgrabungen konkreter zu definieren und dahinterliegende Prozesse zu erforschen. Dazu suchen wir gezielt nach Spuren entlang der „Balkanroute“. Diese leider gegenwärtig oftmals so negativ konnotierte Kommunikationsachse stellt eine traditionelle und fundamental wichtige Verbindung vom Mittelmeerraum und vor allem der Ägäis nach Mitteleuropa dar.

Konnten sie bereits Spuren entlang der „Balkanroute“ finden?

Horejs: Uns ist es in enger Zusammenarbeit mit lokalen Kolleg/innen in Serbien, im Flusstal der südlichen Morawa, schließlich gelungen mehrere potentielle neolithische Fundorte zu lokalisieren. 2018 haben wir mit Ausgrabungen des Svinjarička Čuka begonnen und sind tatsächlich auf Reste einer früh- bis mittelneolithischen Siedlung gestoßen, die exakt an der Route liegt, die wir als wahrscheinliche Ausbreitungsroute des Neolithikums nach Europa betrachten. Radiokarbondatierungen bestätigen zudem, dass der Fundort auch genau aus dem fraglichen Zeithorizont stammt. Letztes Jahr mussten wir coronabedingt leider pausieren, ob wir unsere Feldforschungen dieses Jahr vor Ort fortsetzen können, wird die Pandemieentwicklung zeigen.

Es ist uns gelungen in Serbien potentielle neolithische Fundorte zu lokalisieren.

Welche Fragen sind zur Neolithisierung noch offen?

Horejs: Es gibt noch viele spannende Fragen: Haben wir es bei der Migration im Kontext der Neolithisierung mit immer wieder nachziehenden Gruppen zu tun, oder handelt es sich um eine zeitlich abgeschlossene Bewegung? Auf welche Weise bleiben die migrierenden Gruppen mit ihren Ursprungsregionen in Kontakt und wie funktionieren diese Kommunikationsnetzwerke? Wir sehen an den archäologischen Funden und den kulturellen, ökonomischen und sozialen Kontexten der neolithischen Gruppen außerdem auch deutliche Unterschiede zwischen Obermesopotamien, Anatolien und Mitteleuropa. Das bedeutet, dass es unterwegs zu massiven Adaptions- und Anpassungsprozessen gekommen sein muss. Wie sind diese Prozesse abgelaufen? Welche Rollen spielen dabei lokale Gruppen, welche das kulturelle Gedächtnis über zeitlich und räumlich weit voneinander entfernte Generationen? Entscheidend für die Erforschung all dieser Fragen erscheint mir jedenfalls der Balkan, der sicherlich eine Schlüsselzone zum Verständnis zur Ausbreitung der neuen Lebensweise nach Europa darstellt.

 

AUF EINEN BLICK

Barbara Horejs ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ordentliches Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts, wissenschaftliche Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW und Professorin für Prähistorische Archäologie an der Universität Tübingen. Sie war START-Preisträgerin des FWF und ERC-Preisträgerin und leitet archäologische und interdisziplinäre Feldforschungen in Westasien und Südosteuropa. So gehen die Entdeckung und jahrelange Ausgrabung des Neolithikums auf dem Çukuriçi Höyük, die Detailforschungen zur Bebauungsabfolge, kulturellen Definition, regionale und überregionale Kontextualisierung und Chronologie auf Horejs zurück.