07.02.2024 | Pflanzliches Erbgut

Grüne Gentechnik: EU-Parlament gibt grünes Licht

Das EU-Parlament setzte heute erste Schritte für neue gesetzliche Rahmenbedingungen zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. ÖAW-Präsident Heinz Faßmann sieht darin auch einen wichtigen Erfolg für die Forschung.

Die grüne Gentechnik feierte in den vergangenen Jahren entscheidende wissenschaftliche Durchbrüche: Allen voran revolutionierte die „Genschere“ CRISPR/CAS die Möglichkeiten zur gezielten Veränderung von pflanzlichem Erbgut, für die in konventioneller Züchtung ein Vielfaches an Zeit erforderlich wäre.

Die gesetzlichen Regelungen für gentechnische Verfahren in der EU sollen diesen wissenschaftlichen Fortschritte Rechnung tragen: Das europäische Parlament ebnete nach mehrjährigen Debatten nun den Weg für neue gesetzliche Rahmenbedingungen in der gesamten EU. Damit soll es künftig unter anderem einfacher möglich sein, grüne Gentechnik auch in der Landwirtschaft anzuwenden, um beispielsweise resistentere und für den Klimawandel besser angepasste Pflanzenarten zu züchten. Mit der Entscheidung des EU-Parlaments nahmen die Verhandlungen über die neuen gesetzlichen Regelungen eine wichtige Hürde und können nun auf europäischer Ebene weiterlaufen.

Wissenschaft wurde gehört

Das ist ein guter Tag für die Forschung.

"Das ist ein guter Tag für die Forschung, denn sie hat seit Langem darauf gedrängt, die Regeln für die Neue Gentechnik an die neuen Möglichkeiten anzupassen. Nun gehen die Verhandlungen über die Verordnung weiter. Es hat sich ausgezahlt, dass sich diesmal auch die Wissenschaft und Forschung zu Wort gemeldet haben", sagt Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Forschende haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es keinen Hinweis auf negative Auswirkungen der neuen genomischen Verfahren gibt. Die wissenschaftlichen Argumente wurden gehört. Populisten, die fern der wissenschaftlichen Evidenz argumentierten, blieben in der Minderheit. Das ist auch für die ÖAW und vor allem die Forschenden an unserem Gregor-Mendel-Institut eine Hoffnung."

Mehr zur Grünen Gentechnik

Was ist grüne Gentechnik überhaupt? Welche Vorteile und Möglichkeiten birgt Sie? Bestehen Risiken? Finden Sie in unseren FAQ mehr heraus:

Warum wird aktuell über grüne Gentechnik diskutiert?

Die EU will über eine Novellierung des bisherigen Gentechnik-Gesetzes entscheiden. Zulassungsregeln und Kennzeichnungspflicht müssen an neue Rahmenbedingungen angepasst werden, weil neue, präzise molekularbiologische Werkzeuge das Spektrum der Pflanzenzüchtung grundlegend erweitern. Die Basis dafür ist der allgemeine Wissenszuwachs in der Genetik und Genomforschung sowie die Methoden der gezielten Genveränderungen, die auch in der Medizin oder in der Mikrobiologie große Fortschritte erzielt haben.
 

Was ist Gentechnik eigentlich?

Gentechnik bezeichnet Verfahren, mit denen das Erbgut von Organismen absichtlich verändert wird, z.B. durch Neukombination, Einbau zusätzlicher Gene oder Veränderung einzelner Gene, mit der Absicht, die Organismen oder deren Produkte für Menschen praktisch nutzbar zu machen. Seit ihrer Sesshaftigkeit vor tausenden von Jahren haben Menschen aus zufälligen Genveränderungen diejenigen ausgewählt, die Pflanzen in ihrem Sinne verbessert haben. Jede Züchtung – also auch jene mit klassischen Methoden – ist im Hinblick auf den menschlichen Nutzen aus wissenschaftlicher Sicht bereits „Gentechnik“.

In welchen Bereichen wird Gentechnik bereits angewandt?

Anwendung und Produkte aus weißer (industrieller Biotechnologie), roter (medizinischer Anwendung) oder grauer Gentechnik (Umweltbiotechnologie) sind weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert. Beispiele dafür sind Enzyme, Aromastoffe, Vitamine oder Humaninsulin. Grüne Gentechnik mit Pflanzen gibt es in Form des Einbaus von zusätzlichen Transgenen seit den 1980er-Jahren. Die Möglichkeit der Gen-Editierung mit der „Genschere“ CRISPR existiert seit rund zehn Jahren – deren Entdeckung wurde 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Datenkbank genetisch veränderter Nutzpflanzen

Was können die neuen Gentechnik-Werkzeuge im Vergleich zu den alten?

Bei der bisher schon verwendeten Transgentechnik werden zusätzliche Gene in das Genom eingebaut. Diese können aus anderen Organismen stammen. Bei den neueren Verfahren kommt die „Genschere“ CRISPR als wichtiges neues Kombi-Werkzeug zum Einsatz. Dabei wird ein DNA-schneidendes Enzym in Zusammenarbeit mit einem RNA Bestandteil an eine bestimmte Stelle eines schon vorhandenen Gens geführt. Die Passgenauigkeit stammt von der Basenpaarung der RNA mit der Zielsequenz im Gen. Da man heute für viele Gene die DNA Sequenz und die von ihnen bestimmten Eigenschaften kennt, kann man sie mit diesem Prinzip präzise verändern. Die „Genschere“ variiert also vorhandenes Erbmaterial und lässt sich nach getaner Arbeit entfernen. Die entstandenen Sequenzveränderungen sind von solchen in konventionellen Züchtungsverfahren erzielten Mutationen molekularbiologisch nicht zu unterscheiden.

Welche potentiellen Vorteile bietet grüne Gentechnik?

Grüne Gentechnik kann durch höhere Erträge und weniger Ernteverluste die Landwirtschaft produktiver machen. Zudem können gentechnisch erzielte Resistenzen gegen Pilze, Bakterien oder Viren den Pestizideinsatz reduzieren; andere Verbesserungen wie z.B. weniger Verbrauch an Wasser oder Dünger schonen Ressourcen. Potentielle Vorteile ergeben sich auch durch gesündere Inhaltsstoffe (z.B. verbesserte Fettsäurezusammensetzung), bessere Verträglichkeit (z.B. gluten- oder gliadin-armes Getreide) und länger lagerfähige Produkte (z.B. Bananen).

Welche gesundheitsfördernden Beispiele von grüner Gentechnik sind bereits auf dem Markt?

Ende der 1990er-Jahre entwickelte eine internationale Forschungsgruppe mit gentechnischen Verfahren eine besondere Reissorte: „Golden Rice“. Diese Sorte enthält zusätzliche Gene zur Bildung von Provitamin A im Reiskorn, das deshalb gelb gefärbt ist. In Ländern, in denen außer Reis wenig andere Lebensmittel zur Verfügung stehen, kann der Golden Rice Mangelernährung entgegenwirken und beispielsweise die Erblindung von Kindern verhindern. Patente und Lizenzen wurden für den Anbau durch Kleinbäuer:innen freigegeben, und die Einkreuzung der Transgene in lokal angepasste Reissorten ist möglich. 2022 fand die erste große Ernte auf den Philippinen statt.

Ein anderes Beispiel ist eine Weizensorte, bei der durch Gen-Editierung der Gehalt an Asparagin verringert wurde. Aus dieser Aminosäure entsteht nämlich beim Erhitzen, z. B. im Toastbrot, giftiges Acrylamid. Die Weizensorte ist noch nicht auf dem Markt, wird aber derzeit in Feldversuchen auf ihre Eigenschaften geprüft.

In welchen Ländern kommt grüne Gentechnik zum Einsatz?

Seit Mitte der 1990er-Jahre werden gentechnisch veränderte Organismen (GVO) kommerziell angebaut. Man kann davon ausgehen, dass inzwischen mehr als zehn Prozent der globalen Ackerfläche mit GVO-Pflanzen bebaut wird. Während in der EU einzig eine Maissorte zum Anbau zugelassen ist, konzentriert sich der globale Einsatz von grüner Gentechnik auf die Länder USA, Brasilien, Argentinien, Kanada, China, Pakistan und Paraguay. Einzelne afrikanische Länder interessieren sich stark für das Potential der neuen Gentechnik.

Wie kann die Sicherheit garantiert werden, wenn der gentechnische Eingriff nicht sichtbar bleibt?

Mutationen sind durch Sequenzanalyse immer nachweisbar. Allerdings kann man bei kleinen Veränderungen, die einen oder wenige Basenbausteine betreffen, im Nachhinein nicht unterscheiden, ob sie durch Gen-Editierung oder durch klassische Mutationszüchtung entstanden sind. Deshalb ist es wichtig, neues Saatgut in einem umfassenden Zertifizierungsprozess auf die Eigenschaften der Pflanzen und ihrer Produkte, ihre Verträglichkeit, das ökologische Verhalten und die Tauglichkeit für die Landwirtschaft zu prüfen, wie das bei neuen Sorten aus der konventionellen Pflanzenzüchtung auch erfolgt. Die ökologische Gefahr einer unbeabsichtigten Verbreitung „neu designter Gene“ in alten Kulturpflanzen ist äußerst gering und steht in keiner Relation zu den ökologischen Gefährdungen durch Klimawandel, Ressourcenverschwendung oder die Einschleppung invasiver Wildpflanzen.

Warum werden absichtlich erzeugte, aber zufällig im Genom verteilte Mutationen aus bisherigen Züchtungsprozessen im aktuellen Gentechnikgesetz als Ausnahme behandelt?

Auch in der konventionellen Pflanzenzüchtung wird die genetische Vielfalt erhöht, in dem energiereiche Strahlung oder DNA-schädigende Chemikalien eingesetzt werden, um Mutationen als zufällige Varianten zu produzieren. Viele Obst- und Getreidesorten stammen aus solchen Züchtungsverfahren, die europäische Gesetzgebung nimmt diese Produkte aber vom geltenden Gentechnikgesetz wegen erwiesener Unbedenklichkeit aus.

Warum ist grüne Gentechnik umstritten?

Die ersten transgenen Pflanzen enthielten aus Gründen der relativ einfachen technischen Machbarkeit Herbizidresistenzgene. Damit wurde die Widerstandsfähigkeit von Organismen gegenüber den eingesetzten Unkrautbekämpfungsmitteln erhöht, was kommerziellen Interessen großer Pflanzenschutzchemieproduzenten entgegenkam. Deshalb wurde der Technologie vermehrter Herbizideinsatz nachgesagt und sie in der öffentlichen Wahrnehmung mit Gesundheits- und Umweltproblemen verknüpft. Mediale und aktivistische Anti-Gentechnikkampagnen haben das schlechte Image verstärkt und zu einer restriktiven Gesetzgebung geführt.

Grüne Gentechnik gilt als „unnatürlich“. Was ist an diesem Argument dran?

Pflanzenzüchtung muss eigentlich von Anfang an als Gentechnik angesehen werden, da Pflanzen im Interesse der Menschen verändert werden. Das geschieht oft gegen die „Interessen“ der Pflanzen, wenn z.B. Mutationen verhindern, dass die Pflanzen ihre reifen Samen verstreuen. Das erleichtert eine komplette maschinelle Ernte, widerspricht aber der natürlichen Verbreitung der Pflanze. Unnatürlich sind die Methoden der Gentechnik aber keineswegs: Das CRISPR-Prinzip dient in Bakterien zur Verteidigung gegen Viren, und die DNA Schnitte werden durch pflanzeneigene Reparaturmechanismen geheilt. Transgene werden mit Hilfe eines Bakteriums übertragen, das das Prinzip zum Umprogrammieren des Pflanzenstoffwechsels zu seinen Gunsten entwickelt hat. Gentransfer kommt auch in der Natur vor: manche Süßkartoffeln enthalten Gene, die im Laufe der Evolution auf diese Art eingebaut wurden.

Dient die grüne Gentechnik nur dem Profit der Großkonzerne?

Im Moment ja, aber nur weil allein Großkonzerne die langen und aufwendigen Zulassungsverfahren in der EU für gentechnisch veränderte Pflanzen finanziell stemmen können. Ein Zulassungsverfahren, das geneditierte Pflanzen mit jenem für klassische Züchtungen gleichstellte, würde auch kleinen oder spezialisierten Zuchtbetrieben Marktchancen eröffnen.

Begrenzt grüne Gentechnik die Biodiversität?

Das tut vor allem die konventionelle Landwirtschaft, indem sie auf Monokulturen mit wenigen Arten setzt. Bei Anwendung in lokal angepassten Sorten oder durch Turbo-Domestikation von Wildformen könnte Gentechnik das Spektrum der Kulturpflanzen erheblich erweitern und Biodiversität auf den Anbauflächen erhöhen. Grüne Gentechnik, zusammen mit produktbasierter Zulassungsregelung, bietet viele Möglichkeiten, die Landwirtschaft nachhaltiger, vielseitiger und ressourcenschonender zu machen.

Geht es nicht auch ohne neue Gentechnik?

Im Prinzip ja, aber der Preis wäre sehr hoch: Es wäre der Verzicht auf präzise, schnelle, kostengünstige Züchtungsmethoden, auf viele Züchtungsziele, die besonders unter den sich verändernden Bedingungen in der Landwirtschaft anders nicht zu verwirklichen sind, und auf die Erweiterung des Spektrums an interessanten Kulturpflanzen. Europa würde den Anschluss an das Know-how in der Pflanzenzüchtung verlieren und sich in neue Abhängigkeiten in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit begeben.