23.03.2023 | Klimawandel

Was der Synthesebericht des Weltklimarats bedeutet

Kürzlich veröffentlichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Synthese zum 6. Sachstandsbericht. Diese gibt den neuesten Stand der Klimaforschung wieder. Die beteiligten Wissenschaftler:innen zeigen darin auf, wo sich der Klimawandel bereits heute bemerkbar macht und was getan werden kann, um ihn zu begrenzen.

Wie sind die Ergebnisse des IPCC zu interpretieren?
Mehr dazu im 
 Interview mit Klimaforscher Hans Otto Pörtner!


DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE DES KLIMABERICHTS IM ÜBERBLICK

  • Die globale Durchschnittstemperatur hat inzwischen um rund 1 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zugenommen. Einige Regionen wie die Arktis und Afrika erwärmen sich schneller als andere.
  • Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar mit schwerwiegenden Folgen für Ökosysteme, Gesellschaft und Wirtschaft. Durch die Erderwärmung kommt es zu häufigeren und stärkeren Hitzewellen, Dürren, Starkregen und Überschwemmungen. Der Meeresspiegel steigt an und Ozeane versauern.
  • Eine Begrenzung des Klimawandels ist noch immer möglich. Wesentlich ist eine rasche und weitgehende Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, müssen diese bis 2030 weltweit um die Hälfte sinken.
  • Die negativen Auswirkungen des Klimawandels sind für manche Regionen und Bevölkerungsgruppen, insbesondere in ärmeren Ländern, intensiver als in anderen. Bestehende soziale Ungleichheiten und deren gesellschaftliche Folgen werden dadurch verschärft.
  • Die Umsetzung von Maßnahmen zur Verringerung von Emissionen und zur Anpassung an Klimawandelfolgen kann mit großen wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen verbunden sein. Zum Beispiel können im Bereich der erneuerbaren Energien neue Arbeitsplätze entstehen. Eine Reduzierung der Luftverschmutzung aufgrund einer sauberen Energieerzeugung hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.
  • Um Daten zum Klimawandel zu verbessern, sind mehr Investitionen in die Klimaforschung notwendig. Auch eine engere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen und Entscheidungsträger:innen wird gefordert, um die Umsetzung von Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel zu erleichtern.

Mehr zu den einzelnen Teilen des Klimaberichts auf der Website der deutschen Helmholtz-Gemeinschaft: helmholtz-klima.de


Klima-Experte: “Die Zukunft der Zivilisation steht auf dem Spiel”

Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ist Co-Vorstand der Arbeitsgruppe 2 des IPCC. Die Arbeitsgruppe befasst sich mit den Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit. Der Biologe und Klimaforscher erklärt im Interview, warum wir unsere Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel verstärken müssen.

Am 24. März 2023 ist Pörtner auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien zu Gast. Bei einem öffentlichen Symposium der ÖAW-Kommission Klima und Luftqualität wird der aktuelle Synthesebericht des IPCC und dessen Bedeutung für Österreich von Expert:innen diskutiert.

Infos zum IPCC-Symposium und Livestream

Was wird beim Symposium an der ÖAW diskutiert?

Hans-Otto Pörtner: Es geht um einen Synthesebericht, der die Kernbotschaften aller Publikationen des Intergovernmental Panel on Climate Change aus den vergangenen siebeneinhalb Jahren zusammenfasst. Der Weltklimarat IPCC beschäftigt sich mit den physikalischen Grundlagen, den Auswirkungen und möglichen Gegenmaßnahmen. An der ÖAW präsentieren wir eine Gesamtschau, die auch die Zusammenhänge zwischen der Klima- und der Biodiversitätskrise besser sichtbar macht. Nur wenn wir beide Probleme lösen, können wir eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten sicherstellen.

Wenn wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, erreichen wollen, müssen wir deutlich mehr und dies schneller tun."

Was hat sich in den vergangenen siebeneinhalb Jahren verändert?

Pörtner: Es ist im Klimaschutz sicher zu wenig passiert. Wenn wir die Ziele, die wir uns gesetzt haben, erreichen wollen, müssen wir deutlich mehr und dies schneller tun. Wenn ich aberhöre, dass wir Genehmigungsverfahren für Infrastruktur beschleunigen wollen und gegebenenfalls dabei die Umweltschutzziele vernachlässigen, ist das schwer mit dem im vergangenen Jahr in Montreal formulierten Ziel, 30 Prozent des Planeten unter Naturschutz zu stellen, zu vereinbaren. Klimaschutz und Biodiversität gehören immer zusammen.

Sind die Warnungen der Forscher:innen deutlich genug formuliert?

Pörtner: Es hat in den vergangenen Jahren sicher eine semantische Aufrüstung gegeben. Die Sprache in den Berichten ist mittlerweile schon sehr deutlich. Aber der Weltklimarat bleibt ein beratendes Gremium, weshalb der Schärfe der Formulierungen bestimmte Grenzen gesetzt sind. Wir haben schon viel Zeit verloren, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen. Unser Fenster schließt sich jetzt und wenn wir weiter so schleppend agieren, wird es schwierig, dramatische Auswirkungen des Klimawandelszu verhindern. 

Die Politiker:innen sollten auf der Basis wissenschaftlicher Informationen des IPCCmit klarer Sprache die besten Optionen aufzeigen und die Gesellschaft dann auch mitnehmen."

Wo liegen die größten Risiken, wenn es weiter wärmer wird?

Pörtner: Wir beobachten schon jetzt, dass viele Tier- und Pflanzenarten wandern müssen, um neue Lebensräume zu finden. In den Tropen entstehen bereits Regionen, in denen es zu warm für sämtliche Arten ist. Tierisches Leben ist dauerhaft nur bis zu Temperaturen knapp über 40 Grad Celsius möglich. Das gilt im Wasser und an Land und übrigens auch für den Menschen, weil er bei hoher Temperatur und Luftfeuchtigkeit seine Körpertemperatur nicht mehr regulieren kann. In einzelnen Ländern ist das Arbeiten und Leben im Freien zeitweise schon gefährlich. In Südostasien zum Beispiel sind sogar die Nächte mittlerweile oft so warm, dass der Körper nicht mehr abkühlen kann.

Ist es überhaupt noch realistisch, vom 1,5-Grad-Ziel zu sprechen?

Pörtner: Wenn wir unseren derzeitigen Kurs weiterverfolgen, wird die durchschnittliche Erwärmung bis 2100 nicht bei 1,5 sondern bei bis zu3 Grad Celsius liegen. Die weltweiten Emissionen steigen ja nach wie vor, wenn auch etwas langsamer. Wir haben jetzt eine letzte Chance, durch ambitioniertes Handeln die Schäden zu begrenzen. Damit das klappt, darf wirtschaftliche Entwicklung aber nur noch auf Basis erneuerbarer Energien passieren. 

Was muss dafür geändert werden?

Pörtner: Die Subventionen für fossile Brennstoffe müssen gestrichen werden, wir müssen Gebäude isolieren, CO2 speichern und unsere Landwirtschaft umstellen. Dazu müssen die Menschen auch ihren Fleischkonsum reduzieren. Das würde nicht nur Emissionen reduzieren, sondern auch die Gesundheit fördern. Die Politiker:innen sollten auf der Basis wissenschaftlicher Informationen des IPCCmit klarer Sprache die besten Optionen aufzeigen und die Gesellschaft dann auch mitnehmen. Das erfordert auchÄnderungen im Bildungsbereich, die das Entstehen neuer gesellschaftlicher Normen schon bei den Kindern unterstützen. Diese tragen das Bewusstsein dann auch in die Familien hinein.

Die Menschen zum Umdenken zu bringen, ist die große Aufgabe dieser Dekade."

Solche Maßnahmen kommen nicht immer gut an.

Pörtner: 90 Prozent der Menschen wünschen sich besseren Klimaschutz, wenn man sie fragt. Aber dann fliegen sie über das Wochenende nach Mallorca, weil wir fossile Brennstoffe so hoch subventionieren. Die Menschen zum Umdenken zu bringen, ist die große Aufgabe dieser Dekade. Am Ende gibt es ohne nachhaltiges Wirtschaften auch keinen Wohlstand. Der Schutz von Klima und Biodiversität ist alternativlos und wir müssen soziale Kipppunkte und damit eine positive Dynamik erreichen.

Der Weltklimarat warnt schon seit 30 Jahren vor den Folgen des Klimawandels. Warum geht der gesellschaftliche Wandel so langsam voran?

Pörtner: Es gibt viele bremsende Faktoren, zum Beispiel Profitinteressen und Lobbyist:innen. Und unsere auf Kompromissen basierenden politischen Systeme funktionieren eben nur langsam. Das können wir uns nicht mehr länger leisten.

Besonders auf internationaler Ebene ist die Konsensfindung oft behäbig. Wie kann man das beschleunigen?

Pörtner: Die Idee von Klimaclubs könnte schnelleres Handeln ermöglichen: Wenn einzelne Wirtschaftsräume bindende Regeln erlassen, die alle Handelspartner zwingen, für ihre jeweiligen Emissionen aufzukommen, wäre das ein enormer Fortschritt. Dazu müssten die großen Wirtschaftsräume aber mit mutigem Beispiel vorangehen.

Welche Auswirkungen des Klimawandels sehen wir bereits?

Pörtner: Der Klimawandel hält schon jetzt Überraschungen bereit, dieunsere Modelle nicht vorhergesagt haben, und die Schäden sind bereits größer als erwartet. Extremereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen nehmen zu. Atomkraftwerke haben durch Wassermangel im Sommer Probleme mit der Kühlung der Reaktoren. Wir haben in Europa jedes Jahr zehntausende Tote durch Hitzewellen. Die Meeresspiegel steigen, auch an der europäischen Nordseeküste. Der Deichbau stößt hier irgendwann an Grenzen und dann bleibt nur noch der geplante Rückzug. Diese Probleme sind schon da, das geht in der politischen Debatte aber leider oft unter, weil die Auswirkungen erst langsam sichtbar werden.

Was passiert, wenn einzelne Ökosysteme über ihre Grenzen hinaus belastet werden?

Pörtner: Sie werden zerstört. Warmwasserriffe zum Beispiel sind schon stark unter Druck, genau wie viele Lebensräume in den Hochgebirgen. Die Prognosen sind vergleichbar mit anderen klimagetriebenen Massensterben in der Erdgeschichte. Das ist der Weg, auf dem wir uns derzeit befinden. Auch Menschen werden auswandern, um unzumutbaren Verhältnissen zu entkommen. In Ländern wie Saudi-Arabien ist das Leben schon heute teilweise nur noch mit Klimaanlagen möglich. In Mekka gibt es jedes Jahr Hitzetote, weil Pilger unter tödlichen Bedingungen um die Kaaba gehen. 

Die globalen Systeme, auf denen unsere Welt basiert, sind empfindlicher als wir oft glauben."

Was passiert, wenn wir es nicht schaffen, den Klimaschutz zu verbessern?

Pörtner: Wenn wir weitere Kipppunkte erreichen und die Eisschilde in Grönland und der Antarktis zu schmelzen beginnen, wird die Situation außer Kontrolle geraten. Dann würden die Meeresspiegel um mehr als zehn Meter steigen und die Zukunft unserer Zivilisation steht auf dem Spiel. Die globalen Systeme, auf denen unsere Welt basiert, sind empfindlicher als wir oft glauben.



AUF EINEN BLICK

Hans-Otto Pörtner ist Co-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II und Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.