13.02.2023 | Molekularbiologie

Zelluläre Müllabfuhr: Wie der Selbstverzehr molekular reguliert wird

Autophagie oder „Selbstverzehr“ ist ein wichtiger zellulärer Qualitätskontrollmechanismus zur Beseitigung von Proteinaggregaten und beschädigten Zellteilen. Dieser Mechanismus ist unter normalen Bedingungen inaktiv und wird erst bei anhaltendem Zellstress aktiviert. Forschende der ÖAW und der Max Perutz Labs haben einen molekularen Schalter entdeckt, der die Autophagie in Pflanzen reguliert. Die Ergebnisse wurden im EMBO Journal veröffentlicht.

Als Autophagie wird ein Qualitätskontrollmechanismus zur Beseitigung beschädigter Zellteile bezeichnet. © AdobeStock

Anhaltender zellulärer Stress beeinträchtigt die Funktion und Lebensdauer von Zellen. Bei zellulärem Stress können Zellen auf ein ganzes Arsenal von Qualitätskontrollmechanismen zurückgreifen, um den zellulären Normalzustand wiederherzustellen. Zellen, die im Endoplasmatischen Retikulum (ER), dem zellulären Zentrum für Proteinsynthese und -transport, längerem Stress ausgesetzt sind, initiieren eine Art ER-spezifische Autophagie ein, die so genannte ‚ER-Phagie‘, um das beschädigte ER selektiv zu entfernen. Wenn Ribosomen an der Membran des ER kollidieren, arbeitet ein weiterer Qualitätskontrollmechanismus, ‚UFMylation‘ genannt, mit der ER-Phagie zusammen, um unvollständig gebildete Proteine von der ER-Membran zu entfernen. UFMylation ist ein rätselhafter Qualitätskontrollmechanismus, dessen Funktion noch entschlüsselt werden muss.

Ein Forscherteam des Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Max Perutz Labs hat nun einen molekularen Schalter entdeckt, der die ER-Phagie reguliert. Eine Kombination aus Evolutionsbiologie und mechanistischen Experimenten zeigt, dass die Konkurrenz zwischen zwei Ubiquitin-ähnlichen Molekülen, UFM1 und ATG8, einen molekularen Schalter im Hauptregulator C53 auslöst und damit die ER-Phagie einleitet.

Ähnlichkeiten und Unterschiede schaffen die Verbindung

„Unsere früheren Arbeiten deuteten darauf hin, dass C53 die beiden Qualitätskontrollmechanismen, ER-Phagie und UFMylation, miteinander verbinden könnte. Die molekulare Natur dieser Verbindung blieb jedoch unklar“, sagt Yasin Dagdas, Co-Autor und Gruppenleiter am GMI. In einer Arbeit, die 2020 veröffentlicht wurde, zeigten die Wissenschaftler:innen, dass C53 mit dem Protein ATG8, einem Ubiquitin-ähnlichen Akteur im Autophagie-Weg, über sogenannte ‚nicht-kanonische ATG8 Interacting Motif‘ (AIM)-Sequenzen auf dem C53-Molekül interagiert. Diese nicht-kanonischen AIMs nannten die ForscherInnen ‚shuffled AIMs‘ (sAIMs). Sie zeigten auch, dass UFM1, das Ubiquitin-ähnliche Molekül, das als chemische Modifikation über den UFMylationsweg an Proteinsubstrate gebunden wird, mit ATG8 um die Bindung von C53 konkurriert. Das C53-Molekül enthält jedoch drei sAIM-Motive und ein kanonisches AIM-Motiv (cAIM).

Ein Eingriff in die Bindung verschiebt das Gleichgewicht

Nachdem das Forschungsteam die Bindungspräferenzen von UFM1 und ATG8 auf C53 aufgedeckt hatte, versuchten die Wissenschaftler:innen deren Funktion zu testen, indem sie die sAIM-Motive in C53 durch kanonische cAIM-Sequenzen ersetzten. Durch diese genetischen Veränderungen wurde die Bindungsaffinität von ATG8 an C53 erhöht und die Bindung von UFM1 verringert. Dies führte zu einer konstanten Aktivierung des C53-Autophagie-Weges und sensibilisierte die verwendete Modellpflanze (Arabidopsis thaliana) stark für ER-Stress. Damit konnte das Team zeigen, dass sAIMs für die Regulation der C53-vermittelten ER-Phagie und damit für die ER-Stresstoleranz essentiell sind.

UFMylation ist in Eukaryoten stark konserviert

Das Team analysierte den evolutionären Weg von C53, sAIMs und UFMylationskomponenten in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Thomas A. Richards an der Universität Oxford in England. Sie wiesen nach, dass die C53-vermittelte Autophagie bei Eukaryoten konserviert ist und dass C53 sich zusammen mit dem UFMylationsweg entwickelt hat. Molekulare Überreste oder das Vorhandensein verwandter Proteine deuteten darauf hin, dass Pilze, einige Algen und einige eukaryotische Parasiten UFMylation und/oder C53 sekundär verloren haben.

Mit Hilfe des Labors von Silvia Ramundo am GMI gingen die ForscherInnen noch einen Schritt weiter und wiesen nach, dass die einzellige Alge Chlamydomonas reinhardtii über einen funktionellen UFMylationsweg verfügt. Diese Entdeckung widerlegt frühere Behauptungen, dass die UFMylation mit der Evolution der Vielzelligkeit zusammenhängt.

Molekularer Schalter steuert leistungsfähigen Mechanismus

„Zusammenfassend deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass sich die nicht-kanonischen ATG8-Interaktionsmotive so entwickelt haben, dass sie es einem anderen Ubiquitin-ähnlichen Protein, UFM1, ermöglichen, an C53 zu binden und es unter homöostatischen Bedingungen inaktiv zu halten“, sagt Dagdas. Die ‚Homöostase‘ bezeichnet den zellulären Normalzustand. Dieser Inaktivierungsmechanismus ist wichtig, um zu verhindern, dass Zellen gesunde Zellbestandteile ‚auffressen‘ und über die Müllabfuhr entsorgen.     

Da Pilze und einige eukaryotische Parasiten den UFMylationsweg zu einem späteren evolutionären Zeitpunkt verloren haben, denkt Dagdas, dass diese Organismen analoge Mechanismen entwickelt haben müssen, um die ER-Homöostase aufrechtzuerhalten. „Die Identifizierung solcher Mechanismen in Pilzen, aber auch in Parasiten, welche Pflanzen, Tiere und sogar den Menschen befallen, würde potenzielle Wege für die Entwicklung neuer Medikamente eröffnen“, schließt Dagdas.

 

Auf einen Blick:

Publikation:

Picchianti, Sánchez de Medina Hernández, Zhan, et al., "Shuffled ATG8 interacting motifs form an ancestral bridge between UFMylation and autophagy". EMBO Journal, 2023. DOI: https://doi.org/10.15252/embj.2022112053