17.01.2024 | Grüne Gentechnik

Woher die Gentechnikskepsis kommt

Aktuell wird auf europäischer Ebene an einer neuen Regelung zu grüner Gentechnik gearbeitet. Doch Österreich ist Europameister in Sachen Gentechnikskepsis. Woher kommt die ablehnende Haltung der Österreicher:innen? Die Wissenschaftler:innen Ortrun Mittelsten-Scheid, Matthias Karmasin und Helmut Denk haben Antworten.

Grüne Gentechnik wird in Österreich skeptisch gesehen. Die Wissenschaft aber gibt nicht zuletzt dank neuer Methoden wie der „Genschere“ CRISPR längst Entwarnung und betont die Chancen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. © Adobe Stock

Österreich ist ein traditionell gentechnikskeptisches Land. Das bestätigte einmal mehr die 2021 veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage. Denn: Nicht nur die allgemeine Wissenschaftsskepsis ist im Europavergleich besonders ausgeprägt, Österreich rangiert auch beim Vertrauen in die Biotechnologie und Gentechnik auf dem letzten Platz. So waren rund 40 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Gentechnik in den nächsten 20 Jahren negative Effekte bringen würde.

Die ablehnende Haltung von Herr und Frau Österreicher gegenüber den wissenschaftlichen Durchbrüchen auf dem Gebiet der Gentechnik richtet sich dabei hauptsächlich auf die Anwendung in Pflanzen. Durch neue Verfahren, bei denen die sogenannte Genschere CRISPR zum Einsatz kommt, wird die grüne Gentechnik jetzt wieder verstärkt zum Thema. Innerhalb der EU wird auf Lockerungen gedrängt. Neue gesetzliche Rahmenbedingungen sollen künftig den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen EU-weit regeln. Für Österreich könnten diese in Form einer EU-Verordnung noch heuer bindend werden. Höchste Zeit also, sich der verbreiteten Gentechnikskepsis zu widmen: Woher kommt sie? Was begünstigt sie? Und gibt es aus wissenschaftlicher Sicht Gründe dafür? Forscher:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben Erklärungsansätze.

Bohren dicker Bretter in der Politik

Kaum ein anderes Thema vereint das gesamte politische Parteienspektrum so sehr wie die Ablehnung der neuen gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Das beobachtet seit Jahren Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vom GMI – Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der ÖAW. Dabei steckt Gentechnik in vielen Alltagsprodukten. Als „rote“ Gentechnik hat sie in der Medizin, zum Beispiel bei der Herstellung von Insulin, und als „weiße“ Gentechnik in der Chemie, etwa im Waschmittel, längst Einzug gehalten. Für Mittelsten Scheid steht fest: „Es gibt keine wissenschaftlichen Gründe dafür, der grünen Gentechnik gegenüber prinzipiell besonders skeptisch, vorsichtig oder furchtsam zu sein. Jedes neue Züchtungsprodukt muss unabhängig von der Herstellungsmethode individuell geprüft werden.“

Das negative Image ist ihrer Einschätzung nach dem „unglücklichen Start der Gentechnik“ geschuldet, der in den 1990er-Jahren viel Medienaufmerksamkeit auslöste. Mittelsten Scheid verweist auf eine der ersten gentechnisch erzielten Eigenschaften: der Herbizidresistenz zur Bekämpfung von Unkraut. Statt wissenschaftlicher Fortschritte dominierten in der öffentlichen Wahrnehmung bald die kommerziellen Interessen von global agierenden Chemiekonzernen und die dagegen gerichteten Aktionen von Umweltaktivist:innen.

Mediale Anti-Gentechnikkampagnen lanciert

Eine der erfolgreichsten Kampagnen gegen Gentechnik hierzulande war das Gentechnikvolksbegehren 1997 mit rund 1,2 Millionen Unterschriften. Ermöglicht wurde die  emotionalisierende Kampagne durch einen einschlägigen medialen Schulterschluss, so Matthias Karmasin, Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW. „Ein historischer Beleg für die Kampagnenmacht des Boulevards in Österreich“, sagt er. Denn eine Zunahme an Berichterstattung hat nicht zu einem Abbau von Vorbehalten geführt. Eher im Gegenteil und auch im Unterschied zu internationalen Entwicklungen.

Karmasin stellt klar: Die Debatte um Gentechnik wird nicht nur medial geführt, sondern ist auch eine politische. „Schließlich handelt es sich um politisierte Fragestellungen, die in Österreich nicht auf Basis von wissenschaftlicher Evidenz verhandelt werden, sondern auf der Ebene ideologischer Positionierung“, sagt der Kommunikationsforscher. Die Stimmen von Wissenschaftler:innen werden in diesem Diskurs jedenfalls viel zu wenig gehört. Und das trägt dazu bei, dass die Risikoeinschätzung so unterschiedlich ist: gentechnisch veränderte Produkte werden als extrem riskant angesehen, während die dramatischen Risiken der Klimakrise immer noch nicht von allen akzeptiert werden, so Karmasin. Die Frage „How safe is safe enough?“ wird jedenfalls sehr unterschiedlich beantwortet.

Religiös motivierte Skepsis vermutet

Dass die grassierende Gentechnikskepsis viel mit der generellen Wissenschaftsskepsis zu tun hat, davon geht auch Helmut Denk aus, Mediziner und ehemaliger Präsident der ÖAW. Denk zieht Parallelen zwischen der Ablehnung der Gentechnik und der Beliebtheit von wissenschaftlich nicht fundierten Methoden in der Medizin. Ein Beispiel: die Homöopathie – eine über 200 Jahre alten sogenannten Heilmethode, die aber auf keinerlei wissenschaftlicher Basis beruht.

Was dabei auffällt: „Der Einsatz homöopathischer Behandlungsmethoden nimmt von Norden nach Süden deutlich zu“, berichtet Denk. So vertraut in Skandinavien und Großbritannien nur ein Prozent der Bevölkerung in Homöopathie, während es in Österreich, Frankreich und Deutschland zwischen 11 und 13 Prozent sind. Eine Vermutung liegt nahe: Dass es im protestantischen Norden eine größere Aufgeschlossenheit für wissenschaftliche Erkenntnisse gibt als im konservativen Süden, so der Mediziner. Ähnliches gilt möglicherweise auch für die Gentechnikskepsis, Stichwort: Eingriff in die Schöpfung. Dass der Wissenschaftsskepsis entgegengewirkt werden muss, darin sind sich die drei befragten Wissenschaftler:innen einig.

 

Auf einen Blick

Österreichische Wissenschaftsinstitutionen appellieren in einem Offenen Brief: "Grüne Gentechnik vorurteilsfrei, aufgeschlossen und auf Basis wissenschaftlicher Evidenz bewerten“.

Offener Brief im Wortlaut