Wo Journalismus aufhört und Propaganda anfängt
30.10.2025
Wie lässt sich die Blattlinie eines Mediums definieren – und ab wann wird Kommunikation zur Propaganda? Für Matthias Karmasin, Kommunikationswissenschaftler und Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt, ist die Antwort auf diese Fragen differenziert. „Eigentlich bedeutet Blattlinie nichts anderes als eine selbst deklaratorische Absichtserklärung, für welche redaktionellen und publizistischen Inhalte eine Publikation steht“, erklärt er.
Dabei reiche die Bandbreite von Corporate Publishing – also internen oder Kundenmagazinen – über politische Publikationen bis hin zu digitalen Pseudo- oder Alternativmedien. Mit letzteren Begriffen sei er allerdings nicht glücklich: „Sie bieten eher eine Alternative zur Wahrheit an.“ Am anderen Ende des Spektrums stünden Medien mit journalistischem Anspruch, die ihre Rolle als vierte Gewalt in der Demokratie ernst nähmen.
Die bloße Blattlinie sei dabei jedoch nur ein Hinweis auf die Selbstverortung eines Mediums. Sie reiche nicht aus, um klar zu unterscheiden, ob es sich etwa um Corporate Publishing, also strategische Unternehmenskommunikation, oder echten Journalismus handelt.
Wenn PR und Journalismus verschwimmen
Heikel wird es, wenn Öffentlichkeitsarbeit von Parteien oder Unternehmen nicht klar von Journalismus getrennt oder mit diesem gleichgesetzt wird. „Was PR tut, ist nicht Journalismus. Und auch wenn Public Relations gerne Journalismus nachahmt, zum Beispiel in Form von Interviews, ist das kein schlechter Journalismus – das ist gar kein Journalismus“, sagt Karmasin. Das werde aber auch im Ehrenkodex der österreichischen Presse und im Ethikkodex der PR-Branche deutlich so gesagt. Karmasin betont: PR ist legitim, solange sie die ethischen Standards der Branche einhält – trotzdem handelt es sich dabei nicht um Journalismus.
„Aktuell sinkt die Zahl journalistischer Arbeitsplätze, während Jobangebote in der Öffentlichkeitsarbeit wachsen“, so der Kommunikationswissenschaftler. Dadurch entstehe ein Ungleichgewicht zwischen investigativem Journalismus und PR-Maßnahmen von Parteien oder Unternehmen. Eine problematische Entwicklung, weil sie das Recht der Bürger:innen gefährde, sich frei über alle relevanten politischen Themen zu informieren – eine Grundlage für eine funktionierende Demokratie. Besonders investigativen Journalismus sieht Karmasin als essenziell für die Demokratie, da er Informationen öffentlich mache, die Mächtige lieber geheim halten würden.
Kriterien für integren Journalismus
Doch wie lassen sich integrer Journalismus und PR unterscheiden, wenn die Strukturen eines Mediums nicht klar sind? Karmasin nennt Kriterien wie die Verpflichtung auf den Ehrenkodex, die Teilnahme an Selbstkontrolle, Mitgliedschaft in professionellen Organisationen, Redaktionsstatuten, klare Darlegung der Eigentumsstrukturen, redaktionelle Autonomie und Fehler-Management – alles Aspekte, die unter den Begriff „Media Accountability“ fallen. Dabei betont er: „Der Staat soll sich nicht in den Inhalt einmischen, sondern sicherstellen, dass alle Marktakteure an Regeln gebunden sind und Selbstregulierungsorgane genügend Durchsetzungskraft haben.“ Es sollen nachvollziehbare Kriterien gelten – nicht Selbstdeklaration, aber auch keine ideologischen oder ästhetischen Präferenzen.
Auch die staatliche Qualitätsjournalismus-Förderung in Österreich kritisiert Karmasin als ausbaufähig. „Die Medienförderung insgesamt ist sowohl in puncto Transparenz als auch Treffsicherheit deutlich verbesserungswürdig“, sagt er. Eine Kritik, die von vielen Kolleg:innen aus dem Fach geäußert wurde. Der ÖAW-Forscher vermisst klare Indikatoren und wünscht sich, eine Stärkung der Beiräte und Expert:innen bei der Vergabe.
Ethische Standards auch für parteinahe Medien
Für Karmasin ist klar: Ethische Regeln müssen auch für parteinahe Kommunikation gelten. „Viele durch Parteien direkt beeinflusste oder betriebene Medienkanäle werden auch oder fast ausschließlich von Steuergeld finanziert“, betont er. Richtlinien dafür finden sich im Kodex des Österreichischen Ethik-Rats für Public Relations oder dem Werbe-Ethikkodex, einem Regelwerk der Werbebranche, das ethische Standards für Kommunikation festlegt, um Diskriminierung, Täuschung und die Verletzung der Menschenwürde zu verhindern. Im Vordergrund sollen nicht ideologische Präferenzen stehen, sondern transparente Kriterien, die aus dem Feld selbst kommen.
Karmasin fordert, wie in der Wissenschaft seit Jahren diskutiert, eine Reform der Medienförderung, die Vergabe von Werbung nach klaren Kriterien und dem Bestbieterprinzip, mehr Selbstkontrolle und größere Transparenz – vor allem bei steuerfinanzierter Parteikommunikation. Letztlich gehe es um Verantwortung: „Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut, aber wie jede Freiheit muss auch diese verantwortungsvoll ausgeübt werden.“
Auf einen Blick
Matthias Karmasin ist Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt. Er ist zudem Mitglied der ÖAW.