06.12.2021 | Einkommensentwicklung

Wirtschaftskrisen: Junge Europäer/innen zahlen die Zeche

Die Einkommen junger Menschen sind in mehreren europäischen Ländern seit dem Krisenjahr 2008 gesunken oder stagnieren, wie im Falle Österreichs. Das zeigen neue Auswertungen von Forschenden der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und TU Wien.

© Towfiqu Barbhuiya/Unsplash

Forschende der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie der TU Wien haben die altersspezifische Einkommensentwicklung von 2008 bis 2017 in neun europäischen Ländern analysiert. In einer aktuellen Publikation im Fachjournal „Social Indikators Research“ zeigen die Ökonom/innen, dass die Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen überproportional von den Effekten der Wirtschaftskrise 2008 betroffen war. Während die Einkommen der jungen Bevölkerung stagnierten oder sanken, profitierte die ältere Bevölkerung von gestiegener Erwerbsbeteiligung und höheren Pensionen.
 
„Wirtschaftskrisen werden meist anhand des Bruttoinlandsproduktes untersucht. Doch dieses Maß sagt wenig über die mittelfristige Entwicklung der Haushaltseinkommen aus und vor allem nichts über Unterschiede zwischen Altersgruppen“ erklärt Bernhard Binder-Hammer vom Institut für Demographie der ÖAW, einer der Autoren der Studie. „Unsere Arbeit schließt diese Lücke und analysiert auch die Gründe für die Unterschiede in der Einkommensentwicklung zwischen Altersgruppen.“

Ältere ziehen davon

Basierend auf Daten der EU-Statistik für Einkommen und Lebensbedingungen haben die Forscher/innen für neun europäische Länder die altersspezifische Einkommensentwicklung nachgezeichnet, darunter auch für Österreich. Dabei lassen sich länderübergreifende Trends beobachten: In sieben der analysierten Länder haben sich die Einkommen der 20- bis 39-Jährigen ungünstiger entwickelt als jene der 40- bis 59-Jährigen und der Gruppe 60+. Nur in Estland und Polen sind die Einkommen der jungen Bevölkerung relativ zur älteren Bevölkerung gestiegen.
 
Die altersspezifischen Unterschiede in der Einkommensentwicklung sind beachtlich. So sind in Italien die durchschnittlichen Einkommen der 20- bis 39-Jährigen um 17 Prozent gesunken, jene der 40- bis 59-Jährigen um neun Prozent, aber die durchschnittlichen Einkommen der Über-60-Jährigen sind um 4 Prozent gestiegen. Ähnlich groß sind die Unterschiede in Spanien und Griechenland. In Österreich, Frankreich und Slowenien sind die Einkommen der 20- bis 39-Jährigen im Untersuchungszeitraum stagniert, während vor allem die Über-60-Jährigen sich über einen Anstieg der Durchschnittseinkommen freuen konnten, in Österreich um 11 Prozent.  
 
Die Gruppe der 20- bis 39-Jährigen leidet darunter, dass für Neuankömmlinge auf dem Arbeitsmarkt Einstiegsgehälter und Lohnsteigerungen weniger großzügig sind. Ältere Arbeitnehmer/innen sind davon weniger stark betroffen und Transfereinkommen sind von der kurz- und mittelfristigen Einkommensentwicklung unabhängig. In den südeuropäischen Ländern Griechenland, Italien und Spanien belasten hohe Arbeitslosenzahlen unter der jüngeren Bevölkerung das Durchschnittseinkommen zusätzlich. Hauptgründe für den Einkommenszugewinn bei der Gruppe 60+ sind steigende Erwerbsquoten und steigende Pensionen. „Beide Effekte sind für Frauen stärker als für Männer”, sagt Binder-Hammer von der ÖAW.

Vermögensaufbau für Junge immer schwieriger

Die zunehmend schwierige Situation für die junge Bevölkerung hat langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft. Trotz Stagnation der Einkommen kam es im gleichen Zeitraum zu einem starken Anstieg der Immobilienpreise. Der Erwerb eines Eigenheims und Aufbau von Vermögen wurde dadurch für junge Menschen immer schwieriger. Stagnierende oder sinkenden Einkommen gehen auch mit hohen Armutsrisiko von jungen Erwachsenen und Familien einher.
 
Die ökonomische Situation beeinflusst in weiterer Folge auch die demographische Entwicklung. “Wir haben die Gruppe so definiert, dass sie die Lebensphase repräsentiert, in der üblicherweise Haushalte und Familien gegründet werden. Wenn es die ökonomische Situation nicht zulässt, werden das Ausziehen aus dem Elternhaus und die Gründung einer Familie aufgeschoben. Das dürfte ein maßgeblicher Grund für die niedrige Fertilität in südeuropäischen Ländern sein“, sagt Binder-Hammer.

Zukunft ungewiss

Mehrere Entwicklungen dürften die Einkommen der jungen Bevölkerung auch in Zukunft belasten. Der Pensionsantritt der Baby-Boomer erfordert hohe und möglicherweise steigenden Beiträge zum Sozialsystem. Auch die Corona-Pandemie dürfte überproportionale Belastungen für junge Menschen bringen. “Wie Corona sich auswirken wird, können wir wohl erst in einigen Jahren analysieren. Es ist wichtig die altersspezifische Einkommensentwicklung genau zu beobachten, um bessere und ausgewogene Antworten auf Krisen zu finden”, sagt Binder-Hammer. 

 

Auf einen Blick

Publikation:
Age‑Specific Income Trends in Europe: The Role of Employment, Wages, and Social Transfers", Bernhard Hammer, Sonja Spitzer, Alexia Prskawetz, Social Indicators Research, 2021
DOI: https://doi.org/10.1007/s11205-021-02838-w

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Bildnachweis: Towfiqu Barbhuiya/Unsplash

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