21.09.2022 | Nachhaltigkeit

Wie Österreich bis 2040 klimaneutral werden kann

Österreich muss massiv CO2 einsparen, wenn sich die selbst gesetzten Klimaziele ausgehen sollen. Wie das technisch aber auch sozial und wirtschaftlich möglich ist, erklärt Nachhaltigkeitsexperte Johannes Schmidt im Interview. Er spricht beim diesjährigen „Science Day“ der Jungen Akademie der ÖAW, der sich dem Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft widmet.

Erneuerbare Energien sind ein wesentlicher Baustein für das Erreichen der Klimaziele. Ihr Ausbau stößt aber inzwischen durch die schiere Geschwindigkeit an Grenzen – seien es die Genehmigungsverfahren der Behörden oder die Materialbeschaffung. © Sander Weeteling/Unsplash

Bis zum Jahr 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Das hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt. Dazu ist Dekarbonisierung in allen Bereichen notwendig – im Verkehr, in der Industrie, aber auch in den privaten Haushalten und der Strom- und Fernwärmeversorgung. Der Trend sieht derzeit noch anders aus.

Wie wir es dennoch schaffen können, dass unser Energieverbrauch in Zukunft keine Treibhausgasemissionen mehr verursacht, versucht Johannes Schmidt zu analysieren. Er ist Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und forscht an der Universität für Bodenkultur Wien.

Im Interview verdeutlicht er die Herausforderung: Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, müsste der Verbrauch von fossilen Energien ab heute und für die nächsten zwei Jahrzehnte jedes Jahr ähnlich stark zurückgehen wie im Lockdown-Jahr 2020.

Wie wir dieses notwendige und zugleich ambitionierte Ziel erreichen können, legt Johannes Schmidt auch beim interdisziplinären „Science Day“ der Jungen Akademie der ÖAW am 23. September 2022 dar, der dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet ist.

ÖSTERREICH HAT IM EU-VERGLEICH NACHHOLBEDARF

Die Bundesregierung hat sich das Ziel Klimaneutralität bis 2040 ins Regierungsprogramm geschrieben. Sie entwerfen Szenarien, wie Österreich bis dahin alle CO2-Emissionen vermeiden kann. Wie errechnet man so etwas?

Johannes Schmidt: Es gibt sogenannte CO2-Budgets. Diese legen fest, wie viele Emissionen wir in Summe bis 2040 noch ausstoßen dürfen. Im Projekt setzen wir in Österreich basierte Computermodelle ein, um auszurechnen, wie die Energieversorgung unter Einhaltung dieses Budgets funktionieren kann. Zudem entwerfen wir Szenarien, die auf dem Wissen und der Einschätzung von externen Expert:innen und Stakeholdern basieren.

Jedes Jahr müssen die Emissionen um mindestens sieben Prozent nach unten gehen. Davon sind wir im Trend aber noch weit entfernt.

Wie viel CO2-Emissionen müssen jährlich eingespart werden, damit wir bis 2040 die Klimaneutralität schaffen können? 

Schmidt: Jedes Jahr müssen die Emissionen um mindestens sieben Prozent nach unten gehen. Davon sind wir im Trend aber noch weit entfernt. 2005 hatten wir in Österreich die Maximalemission erreicht. Seitdem fallen die Emissionen etwas. 2021 hatten wir aber erst wieder das Emissionsniveau von 1990 erlangt. Das ist eine sehr, sehr schlechte Performance im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn und zur gesamten EU, wo die meisten Staaten es doch geschafft haben, die Emissionen um mehr als 20 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das bedeutet: Wir müssen jetzt alle Hebel, die uns zur Verfügung stehen, sofort auf Anschlag drücken damit sich das tatsächlich ausgehen kann.

KLIMAPROBLEM VERKEHR

Wo liegen die größten Probleme?

Schmidt: Ein Riesenproblembereich ist der Verkehr, der seit 1990 massiv gewachsen ist. So gab es in den vergangenen Jahrzehnten keine Verkehrspolitik, die darauf geachtet hat, dass der Individualverkehr reduziert wird. Dazu gehört natürlich auch die Raumplanung und Fragen wie: Wo wird gebaut? Welche Straßen werden benötigt und wo muss der Schienenverkehr ausgebaut werden? Was wir dringend brauchen, ist eine Verkehrswende: die motorisierte Individualmobilität muss zurückgehen und der öffentliche Verkehr massiv gefördert werden, ebenso wie das zu Fuß Gehen und das Radfahren.

Was wir dringend brauchen, ist eine Verkehrswende: die motorisierte Individualmobilität muss zurückgehen.

Welche Hebel gibt es noch?

Schmidt: Wir müssen im Wärmebereich die Gebäudedämmung massiv ausbauen. Dazu müssen die Sanierungsraten auf drei bis fünf Prozent im Jahr steigen. Wir benötigen eine massive Investitionsinitiative in die thermische Sanierung von Gebäuden. Denn: Jede Wärme, die wir nicht erzeugen müssen, hilft uns weiter. Das sehen wir gegenwärtig in der Gaskrise, wie sehr wir im Wärmebereich in einem Problemfeld sind, das nicht so einfach zu lösen ist.

POTENTIALE UND GRENZEN ERNEUERBARER ENERGIEN

Wie sieht es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energie aus?

Schmidt: Beim Ausbau von erneuerbarer Stromproduktion, also Windkraft und Photovoltaik, passiert aktuell sehr viel – und ich bin zuversichtlich, dass zumindest bis 2030 die Ziele erreicht werden. Auch bedingt durch die Energiekrise investieren derzeit viele private Haushalte in Photovoltaik. Diese Technologien, darunter auch die Speichertechnologien, sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich billiger geworden, und kosten heute weniger als fossile Energien. Aber: Der Ausbau ist mittlerweile weniger ein technologisches oder ökonomisches Problem, vielmehr stoßen wir durch die schiere Geschwindigkeit an die Grenzen – seien es die Genehmigungsverfahren der Behörden oder die Materialbeschaffung.

Auch bedingt durch die Energiekrise investieren derzeit viele private Haushalte in Photovoltaik.

Und abseits vom privaten Bereich?

Schmidt: Ein ganz großes Thema ist der Energieverbrauch der Industrie. Hier stehen wir vor dem Problem, dass allein die Voest in Linz etwa die Hälfte des österreichischen Stromverbrauchs zusätzlich benötigen würde, um CO2 neutral zu werden. Oder anders gesagt: Die Voest alleine würde mehr Strom benötigen, als wir durch den jetzt bis 2030 geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien gewinnen.

ENERGIEPREISE ALS GERECHTIGKEITSFRAGE

Was muss auf der Nachfrageseite passieren?

Schmidt: Es ist ganz klar: Jeder Kilometer, den wir weniger fahren und weniger mobil sind oder auch jeden Quadratmeter, den wir weniger heizen, hilft massiv. Und jede Expansion in Richtung mehr Mobilität und mehr Wohnraum, macht es schwieriger unser Ziel zu erreichen. Fest steht: Damit wir das Temperaturniveau nicht weit über 1,5 Grad ansteigen lassen, müssen wir bis 2050 global klimaneutral sein.

Jeder Kilometer, den wir weniger fahren und weniger mobil sind oder auch jeden Quadratmeter, den wir weniger heizen, hilft massiv.

Erdgas und Erdöl sind so teuer wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Ist das gut fürs Klima?

Schmidt: Klar macht es Sinn, wenn fossile Energie jetzt teurer wird. Europa hat so bereits über 10 Prozent des Gasverbrauchs eingespart. Aber es ist natürlich ein zweischneidiges Schwert: In der gegenwärtigen Gaskrise sehen wir, dass die Frage, wie man diese Transition sozial gerecht gestalten kann, eine sehr wichtige ist – und enorme politische Sprengkraft besitzt. Die Politik hat sich lange davor gescheut hat, die Preise zu erhöhen. Diese Gerechtigkeitsfragen sind fast noch heikler und schwieriger zu beantworten als die technischen Fragen, die im Zentrum unseres Projekts stehen.

 

AUF EINEN BLICK

Johannes Schmidt ist assoziierter Professor am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). 2017 hat er einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) für das Projekt reFUEL gewonnen, das sich mit einer globalen, integrierten Analyse des Handels mit erneuerbaren Energieträgern und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Landnutzung beschäftigt. Er leitet zudem das Projekt NetZero2040, welches Szenarien zur vollständigen Dekarbonisierung Österreichs berechnet. Johannes Schmidt ist seit 2019 Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Science Day der Jungen Akademie