Im Rahmen des Convergence-Symposium an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tauschten sich internationale Expert:innen kürzlich zu neuen Anwendungen und Fragestellungen an der Schnittstelle von Mensch und Maschine aus. Astrid Weiss, Informatikerin an der TU Wien und Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), spricht im Interview über die Rolle von Körperlichkeit in einer Welt der körperlosen Chatbots.
Was ist Körperlichkeit?
Was heißt Körperlichkeit für Maschinen?
Astrid Weiss: Für die Körperlichkeit von intelligenten Maschinen ist traditionell die Robotik zuständig. Hier bauen Elektrotechniker:innen die Hardware, mit der Maschinen in Verbindung mit künstlicher Intelligenz in der realen Welt etwas bewirken können, also etwa autonom zu navigieren oder Objekte zu manipulieren.
Körperlichkeit kann einen positiven Einfluss auf die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen haben.
Warum ist Körperlichkeit bei Robotern relevant?
Weiss: Studien zeigen klar, dass sogenannte soziale Roboter
mehr Wirkung haben als reine Bildschirm-Avatare. Für einsame Menschen macht es einen großen Unterschied, ob sie mit einem verkörperten System kommunizieren oder nicht, die Akzeptanz ist dann deutlich höher und verkörperte Roboter werden als hilfreicher wahrgenommen. Körperlichkeit kann also einen positiven Einfluss auf die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen haben.
Soziale Aspekte der Robotik
Welche Rolle spielt das Design der Roboter?
Weiss: Das sogenannte “Appearance Design”, also die äußere Gestalt des Roboters, ist enorm wichtig. Mit der Roboterrobbe “Paro“ hat Takanori Shibata vorgezeigt, was machbar ist. Paro ist für den Einsatz in der Pflege gedacht, erfüllt das Kindchenschema, hat das Gewicht eines menschlichen Babys und ahmt die Intonation freundlicher Menschen nach. Dass Shibata eine Robbe und nicht eine Katze oder einen Hund als Vorbild gewählt hat, ist auch kein Zufall. Die meisten Menschen haben keine Erwartungen an das Verhalten einer Robbe. Dass Paro einen Kopf hat, erlaubt die Nutzung von Blicken als zusätzlichen Kommunikationskanal. Das System kann also zumindest so tun, als würde es nonverbal kommunizieren. Da steckt am Ende viel Psychologie dahinter.
Studien zeigen jedenfalls klar, dass soziale Gehirnareale anspringen, wenn Menschen mit Robotern interagieren.
Ist das nicht auch immer ein bisschen gruselig?
Weiss: Viele Stimmen aus der Forschung sagen, die Nutzung von sozialen Schlüsselreizen sei ethisch bedenklich, weil Nutzende, die technisch nicht versiert sind, gar nicht abschätzen können, was solche Systeme können und was nicht. So kann potenziell eine Bindung vorgetäuscht werden, die objektiv nicht existiert. Auf der anderen Seite wissen die wenigsten Leute, wie ein Fernsehgerät funktioniert. Studien zeigen jedenfalls klar, dass soziale Gehirnareale anspringen, wenn Menschen mit Robotern interagieren. Aber der Mensch kann das auch reflektieren, er weiß, dass das so ist.
Das heißt, Menschen spielen bewusst mit?
Weiss: Nach 15 Jahren Forschung glaube ich, dass Menschen in der Interaktion mit sozialen Robotern einfach gerne so tun, als ob. Sie springen gerne auf die sozialen Signale von Robotern an und sprechen bewusst mit den Systemen, als ob sie lebendig wären. Selbst wenn am Design nichts vermenschlicht wird und die Kommunikation nicht nach sozialen Schlüsselreizen gestaltet wird, werden zum Beispiel Lieferroboter soziopomorphisiert.
Bindung und Beziehung
Woher kommt diese Bindung an Objekte?
Weiss: Wir tendieren wohl grundsätzlich dazu, solche parasozialen Beziehungen zu nichtmenschlichen Akteuren aufzubauen. Leute verlieben sich zum Beispiel in die Darsteller:innen von Seifenopern. Das ist im Prinzip dasselbe, es werden Emotionen auf eine Figur oder ein Objekt projiziert, als Ersatz für reale Beziehungen. Die Gründe dafür verstehen wir noch zu wenig, aber einige Menschen tendieren mehr zu solchem Verhalten und andere weniger.
Wir tendieren wohl grundsätzlich dazu, solche parasozialen Beziehungen zu nicht menschlichen Akteuren aufzubauen.
Was beeinflusst, ob wir eine Bindung zu Maschinen aufbauen?
Weiss: Da gibt es viele Faktoren. Eines der größten Probleme des Forschungsfeldes ist, dass es so viele verschiedene Arten von Robotern gibt, vom Industriearm bis zu Paro. Die Kontexte und die Verkörperung sind komplett unterschiedlich. Vor 15 Jahren dachten die Forschenden noch, dass es bestimmte universale Parameter aus der menschlichen Kommunikation gebe, die man einfach für alle Roboter übernehmen könnte, zum Beispiel bestimmte Höflichkeitsregeln oder die optimale Distanz zum/r Gesprächspartner:in. Dem war aber leider nicht so.
Privatsphäre vs. Bequemlichkeit
Roboter sind tief in den Alltag der Nutzer:innen integriert. Was heißt das für Privatsphäre?
Weiss: Das Privacy Paradoxon sagt, dass alle Menschen absolute Privatsphäre wollen, das aber schnell vergessen, wenn sie dafür mehr Bequemlichkeit bekommen. Aber die Nutzung von Robotern hat natürlich eine ethische Dimension. Intelligente Systeme sind schon heute tief im Alltag integriert. Wir wissen zum Beispiel, dass einige Saugroboter exakte Karten unserer Wohnungen anfertigen. Es gibt auch bereits Chatbots, die die sozialen Medien von Verstorbenen analysieren und diese dann nach ihrem Tod imitieren. Wenn solche Bots auch noch realistisch verkörpert werden, nimmt das ganz neue Dimensionen an, vor allem wenn die dahinter liegende künstliche Intelligenz auch noch vom echten Opa gelernt hat. Da tun sich einige neue ethische und philosophische Fragen auf.
Maschinen haben beim Schachspielen mehr Probleme mit dem Manipulieren der Schachfiguren als bei der Identifikation der bestmöglichen Züge.
Hat KI die Robotik vorerst abgehängt?
Weiss: Eine Disziplin kann nach einem Durchbruch manchmal kurzfristig vorauseilen. Bei Large Language Models wie ChatGPT ist das wohl gerade der Fall, sie haben einen enormen Beitrag zur besseren Kommunikation mit Maschinen geleistet. Aber am Ende muss man auch sehen, dass die Robotik die schwierigere Aufgabe hat, nämlich die Interaktion von Maschinen mit der realen Welt. Deshalb haben Maschinen beim Schachspielen mehr Probleme mit dem Manipulieren der Schachfiguren als bei der Identifikation der bestmöglichen Züge.