22.02.2024 | Krieg in der Ukraine

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn: Ukraine stemmt sich gegen das Imperium

Der Angriffskrieg Russlands geht in das dritte Jahr. Osteuropa-Historiker und ÖAW-Mitglied Wolfgang Mueller schildert, wieso der Westen Verantwortung für die Souveränität der Ukraine trägt, wie vielschichtig Russland global agiert und worin die Hoffnung für die Ukraine liegt.

Tod, Leid und Zerstörung gehören seit Russlands Überfall im Jahr 2022 zum Alltag der Ukrainer:innen. © AdobeStock

In den Morgenstunden des 24. Februars begannen die Panzer zu rollen. Aus drei Himmelsrichtungen stieß Russland mit seiner Armee auf das Territorium der Ukraine vor. Das Ziel dieser nach russischer Darstellung "speziellen Militäroperation": der Sturz der Regierung in Kiew und die Unterordnung des Landes - also die Aufgabe der ukrainischen Souveränität.

Was Moskau binnen weniger Tage bewerkstelligen wollte, ging für Russland zunächst gründlich schief. Soviel steht heute, nach zwei Jahren des blutigen Krieges, fest. Weniger klar fällt die Beurteilung des weiteren Kriegsverlaufes aus. Der Osteuropa-Historiker Wolfgang Mueller, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und stellvertretender Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, wirft dazu einen Blick auf die gegenwärtige Situation der Ukraine, die Rolle des Westens - und auf den Aggressor selbst.

Zögern im Westen

Sind die Aussichten auf eine souveräne Ukraine heute besser als zu Beginn des Krieges vor zwei Jahren?

Wolfgang Mueller: Die Ukraine hat ihre Souveränität seit Kriegsbeginn mutig und auch erfolgreich verteidigt. Infolge westlichen Zögerns bei der Unterstützung der Ukraine hat sich deren Lage seit Anfang 2023 allerdings wieder verschlechtert und sie konnte die Befreiung besetzter Gebiete nicht fortsetzen. Das heißt nicht, dass die westliche Unterstützung nicht wertvoll für die Ukraine ist. Aber sie kommt üblicherweise zu spät und in zu geringem Umfang.

Die westliche Unterstützung ist für die Ukraine überlebenswichtig.

Die Ukraine kämpft entschlossen um ihr Überleben. Aber muss ein Krieg gegen einen derartigen Gegner das Land nicht irgendwann überfordern?

Mueller: Die westliche Unterstützung ist für die Ukraine überlebenswichtig, ansonsten hätte sie keine Aussicht, sich langfristig gegen den Angriffskrieg Russlands zu verteidigen. Obwohl Russland deutlich mehr an Menschen und Waffen verloren hat, ist sein militärisches Potenzial weiterhin wesentlich größer. Hinzu kommt die rasche Umstellung Russlands auf Kriegswirtschaft. Hingegen scheiterte die EU, die versprochene Menge an Munition zu liefern, und westliche Staaten zögern oft bei der Lieferung verfügbarer Waffensysteme an die Ukraine oder bei der Einführung mancher wirklich einschneidender Sanktionen im Wirtschaftsbereich so lange, bis Russland sich darauf vorbereitet hat. Das hat dazu beigetragen, dass die ukrainische Gegenoffensive 2023 scheitern musste und Russlands Öl- und Gasexport weiterhin relativ ungehindert funktioniert. Rechnet man das Wirtschaftspotenzial jener Staaten, welche die Ukraine unterstützen, zusammen, das ein Vielfaches von jenem Russlands beträgt, sollte es ihnen theoretisch ein Leichtes sein, die Ukraine mit dem zur Verteidigung Nötigen zu versorgen.

Russland auf der Weltbühne

Russland versucht seinen Einfluss auf Staaten und politische Akteure im Nahen Osten, in Afrika, aber auch im Westen auszuweiten. Ist Russland zurück auf der politischen Weltbühne?

Mueller: Genau genommen hat Russland die Weltbühne nie verlassen. Was zugenommen hat, ist der Konflikt Russlands gegen den Westen und damit die Sichtbarkeit Russlands. Heute sieht der Kreml Russland in einem Krieg gegen den Westen, wie Präsident Putin mehrfach erklärt hat. Es mobilisiert daher potenzielle Verbündete und kann dabei vielerorts im globalen Süden auf gemeinsame Antipathie gegenüber dem Westen zurückgreifen.  Zudem betreibt Russland ein sehr umfangreiches Propagandanetzwerk und setzt darauf, lokale Machthaber speziell in Afrika militärisch zu unterstützen. Die gesteigerten Aktivitäten betreffen darüber hinaus auch den hybriden Kampf gegen westliche Infrastruktur, wie etwa die „Vulkan“-Files (E-Mails über russische Einflussnahmen auf Wahlen im Westen, Anm.) zeigen, und Versuche, westliche Gesellschaften zu spalten.

 Aufstände und Revolutionen zeichnet ja aus, dass man sie nicht vorhersieht.

Im autoritären Russland wird Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine im Keim erstickt. Ist Wladimir Putin zwei Jahre nach Kriegsbeginn so fest im Sattel, wie es in den Medien inzwischen den Anschein hat?

Mueller:  Das ist von außen schwer abzuschätzen, aber es hat den Anschein. Anders gesagt: Die großen Proteste bei Kriegsbeginn und anlässlich der Teilmobilisierung wurden gewaltsam unterdrückt, in den Eliten gibt es nach einigen Todesfällen keine äußeren Anzeichen für Aufbegehren.  Aber das heißt nicht, dass die Lage im Fall einer schweren Wirtschaftskrise nicht anders aussieht. Aufstände und Revolutionen zeichnet ja aus, dass man sie nicht vorhersieht. Im Falle Russlands gibt es aber – mit Ausnahme einzelner Krisensymptome wie etwa der genannten Demonstrationswellen, der Massenflucht von hunderttausenden Menschen aus Russland und der Meuterei Prigožins – heute keine Anzeichen für einen solchen Umsturz oder eine Absetzbewegung der Eliten.

Könnten die Präsidentschaftswahlen in Russland den Krieg in irgendeiner Weise beeinflussen?

Mueller:  Es wird schon lange darüber spekuliert, dass Vladimir Putin vor der Wahl im März einen spektakulären russischen Erfolg, etwa die Eroberung neuer ukrainischer Gebiete, präsentieren möchte. Das ist durchaus noch möglich, obschon nicht absehbar.

Der Faktor Donald Trump

Historisch betrachtet sind die meisten Imperien zerfallen.

Es wird befürchtet, dass bei einem Wahlsieg Donald Trumps die US-amerikanischen Unterstützung der Ukraine endgültig eingestellt wird. Teilen Sie diese Sorge?

Mueller:  Donald Trump bringt in die US-amerikanische Politik ein großes Maß der Unberechenbarkeit; allerdings argumentieren zahlreiche Politiker:innen beider Parteien, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine nicht nur deren Interessen entspricht, sondern auch den Regeln der kollektiven Sicherheit und den Interessen des Westens, einem Opfer von Aggression zu Hilfe zu kommen und der Untergrabung des internationalen Rechts Einhalt zu gebieten.

Worin sehen sie derzeit die größte Hoffnung für die Ukraine?

Mueller: Im festen Entschluss der Menschen, ihr Land, ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen, und in der Solidarität anderer, sie darin zu unterstützen. Historisch betrachtet sind die meisten Imperien zerfallen.

 

Auf einen Blick

Wolfgang Mueller ist Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und stellvertretender Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien. Er forscht unter anderem zur Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion, zum Kalten Krieg sowie zur Wahrnehmungsgeschichte und zur Geschichte des Politischen Denkens.