Trump hilft Putin bei Stalins altem Traum
04.03.2025
Vor drei Jahren hat Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. Was ursprünglich vom russischen Präsident Wladimir Putin als schneller Sieg geplant war, hat sich jedoch zu einem erbitterten Abnutzungskampf entwickelt. Doch nun gerät die westliche Unterstützung ins Wanken. Seit Donald Trump wieder als US-Präsident zurück auf der weltpolitischen Bühne ist, hat er den ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht nur als „Diktator“ bezeichnet und öffentlich gedemütigt, sondern ihn auch für den verheerenden Krieg verantwortlich gemacht, der nun in das vierte Jahr geht. Der Kremlchef hingegen gilt für Trump als ebenbürtiger Verhandlungspartner, obwohl dessen Ziel, die Ukraine als Staat auszulöschen, unverändert bleibt.
Was bedeutet es, wenn die USA als stärkster Verbündeter der Ukraine ausfallen? Wie steht es mittlerweile um Wladimir Putins Kriegsziele und die Resilienz der Ukraine? Und welche Rolle hat Europa? Darüber spricht Osteuropa-Historiker Wolfgang Mueller, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und stellvertretender Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, im Interview.
Alter Traum von Josef Stalin
Konnte Präsident Wladimir Putin in den vergangenen drei Jahren eines seiner ursprünglichen Kriegsziele erreichen – und wie verändert das frühlingshafte Tauwetter zwischen Washington und Moskau die Lage?
Wolfgang Mueller: Die Kriegsziele Präsident Putins waren und sind es, die eigene Herrschaft in Russland zu festigen, die Ukraine zu hindern, einen freiheitlichen und prowestlichen Pfad zu verfolgen und den Westen zu demütigen. Das ist ihm zum Teil gelungen. Heute hat die Repression in Russland ein Ausmaß angenommen, die sie seit dem Tod Stalins nicht mehr besaß. Gleichzeitig erreicht Putin zumindest laut Meinungsumfragen hohe Beliebtheitswerte. Durch die Annahme einer kremlfreundlichen Position durch US-Präsident Trump könnte Putin bald vor der Verwirklichung seiner Ziele stehen. Sollte es zur sich abzeichnenden Aktionsgemeinschaft von Putin und Trump und der Spaltung zwischen Europa und den USA kommen, wäre das ein Ziel, von dem Stalin geträumt hat.
Folter, Zwangsrussifizierung und Kinderverschleppung – welche Auswirkungen haben die von Russland eingesetzten Methoden auf die ukrainische Bevölkerung?
Mueller: Die Lage in den von Russland besetzten Gebieten ist von Gewalt, Einschüchterungs- und Umerziehungsmaßnahmen gekennzeichnet. Menschen werden verschleppt, gefoltert und ermordet. Kulturgüter wurden zerstört, Bücher verbrannt, der Ukrainisch-Unterricht verboten. Familien wurden zerrissen, Kinder zur Adoption in Russland freigegeben und dort umerzogen. Das alles ist in Berichten des UNO-Menschenrechtskommissariats nachzulesen. Junge Burschen werden gezwungen, gegen ihr eigenes Land, die Ukraine, zu kämpfen. Doch auch in den nicht besetzten Gebieten der Ukraine sind tausende Zivilistinnen und Zivilisten, darunter auch Kinder, den russischen Angriffen zum Opfer gefallen. In vielen Ortschaften sind die Friedhöfe durch dutzende frische Gräber angewachsen. Über 40.000 Soldaten wurden getötet, ferner gibt es tausende teils schwer Kriegsversehrte. Tausende Kinder wurden traumatisiert, etwa weil sie mitansehen mussten, wie ihre Eltern von russischen Soldaten getötet wurden. In den Städten kommt es praktisch täglich zu russischen Raketenangriffen, denen immer wieder Menschen zum Opfer fallen. Durch die völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die zivile Infrastruktur ist auch der Alltag sehr erschwert.
Ukraine will sich weiter verteidigen
Und wie ist die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung?
Mueller: Die ist inzwischen stärker getrübt als noch vor einem halben Jahr. Das hängt auch mit der Jahreszeit zusammen, da die Energieversorgung durch die Angriffe Russlands im Winter immer schwieriger ist. Zweitens hat Donald Trump die Lage stark verunsichert. Das sieht man auch an den Versuchen, der Einberufung zur Armee zu entgehen. Aber die Mehrheit der Bevölkerung möchte weiter das Land verteidigen und die besetzten Gebiete befreien. Über 50 Prozent unterstützen Präsidenten Selenskyj.
Die Resilienz der ukrainischen Gesellschaft ist nach wie vor hoch.
Was sagt das über die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft aus?
Mueller: Die Resilienz der ukrainischen Gesellschaft ist nach wie vor hoch. Ein ukrainischer Kollege hat mir das einmal mit den Worten erklärt: Wir wissen, was uns erwarten würde. Gemeint ist – unter russischer Herrschaft. Tatsächlich lassen die genozidale russische Propaganda und teils auch Politik keinen Zweifel daran, dass es Russland um die Auslöschung der ukrainischen Selbstständigkeit und Identität geht. Die ukrainische Gesellschaft hat diese in zwei Revolutionen erkämpft und will sie nicht wieder verlieren.
Täter-Opfer-Umkehr
US-Präsident Donald Trump macht Stimmung gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Wie lassen sich diese Aussagen deuten?
Mueller: Die jüngsten öffentlichen Anwürfe von Trump und Vizepräsident Vance gegen Selenskyj sind in ihrer zynischen Täter-Opfer-Umkehr heute im Westen so gut wie einzigartig und klar zurückzuweisen. Trumps Aussage, Selenskyj sei ein Diktator und werde nur von wenigen Prozent der ukrainischen Bevölkerung unterstützt, mag auf eine bewusste Taktik zur Erreichung ukrainischer Zugeständnisse zurückzuführen sein. Inhaltlich ist die Aussage jedenfalls falsch. Selenskyj handelt im Rahmen der Verfassung; er hat wiederholt hingewiesen, nur einen Friedensvertrag abzuschließen, der auch von der Bevölkerungsmehrheit befürwortet werde; und er wird von über 50% der Bevölkerung unterstützt. Das ist deutlich weniger als nach Kriegsbeginn, als seine Zustimmungswerte bei 90% lagen. Aber es liegt klar über jenen Trumps.
Diktaktfrieden für die Ukraine
Ein Treffen zwischen Putin und Trump könnte bald stattfinden, dabei soll u.a. über die Ukraine verhandelt werden.Was ist von einem Diktatfrieden zu halten und könnte ein solches Vorgehen tatsächlich Frieden bringen?
Mueller: Ein Diktatfrieden wäre ein schwerer Schlag, nicht „nur“ gegen die Ukraine und ihre Menschen, die dabei im Stich gelassen würden, sondern auch gegen Europa und das Völkerrecht generell. Mehrere Militärexpert:innen meinen, dass er Russland nur eine Atempause verschaffen würde, um binnen kurzer Zeit einen weiteren Krieg in Europa zu beginnen. Diese Gefahr erscheint mir sehr real. Ferner würde die Gefahr der Nachahmung weltweit wachsen, etwa in Fernost. Ein Zeitalter von Eroberungskriegen, atomarer Proliferation, steigender Bedrohung und explodierender Sicherheitsausgaben wäre die Folge.
Ohne die USA wäre eine Verteidigung Europas derzeit nicht vorstellbar. Auf Europa kommen harte Zeiten zu.
Wie gravierend wären die Folgen für die Ukraine, wenn die USA als starker Verbündeter wegfielen? Und: Kann sich Europa ohne die USA verteidigen?
Mueller: Die Folgen für die Ukraine wären sehr gravierend. Europa ist zwar ebenfalls ein potenter Unterstützer, aber für Rüstung, Geheimdienstinformation und vor allem die atomare Rückendeckung sind die USA essenziell. Personell würden die europäischen Armeen rasch an ihr derzeitiges Limit stoßen. Die ukrainische Armee ist derzeit größer als jene Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens zusammen. Jene Russlands ist noch größer. Auch die atomare Abschreckung Frankreichs und Großbritanniens beträgt nur etwa 10 Prozent jener Russlands oder der USA. Ohne die USA wäre eine Verteidigung Europas derzeit nicht vorstellbar. Auf Europa kommen harte Zeiten zu.
Wie haben drei Jahre Krieg die geopolitische Lage in Europa, insbesondere in Bezug auf die NATO, verändert?
Mueller: Anders als möglicherweise von Präsident Putin erwartet, hat sich die transatlantische Gemeinschaft als fähig erwiesen, koordiniert zu handeln – wenn auch die Militärhilfen zu spät und zu zaghaft gekommen sind, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, sich von der Besetzung zu befreien. Rüstungstechnisch hat das dennoch besser funktioniert als politisch, wo sich die NATO in über zehn Jahren russischer Aggression gegen die Ukraine noch immer nicht dazu durchringen konnte, die Ukraine aufzunehmen, was den großen Krieg möglicherweise verhindert oder beendet hätte. Durch Präsident Trump ist die Handlungsfähigkeit des Westens als Gemeinschaft wieder in Frage gestellt und massiv erschüttert.
Auf einen Blick
Wolfgang Mueller ist Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und stellvertretender Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien. Er forscht unter anderem zur Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion, zum Kalten Krieg sowie zur Wahrnehmungsgeschichte und zur Geschichte des Politischen Denkens.
