15.03.2022 | Vertriebene Exzellenz

Trauer um Herbert C. Kelman

Die ÖAW nimmt Abschied vom Sozialpsychologen und Konfliktforscher Herbert C. Kelman, der im Alter von 94 Jahren verstorben ist. Einblick in seine bewegende Lebensgeschichte gab er im Film „The Class of `38. Exile and Excellence”, den die ÖAW sechzehn im Nationalsozialismus vertriebenen Forscher/innen widmete.

Herbert C. Kelman
„Österreich ist ein Teil von mir – warum soll ich das weggeben? Das gehört mir“, erzählt Herbert C. Kelman im Film „The Class of `38. Exile and Excellence”, für den die ÖAW den aus Österreich von den Nazis vertriebenen Sozialpsychologen interviewt hat. © ÖAW

Er gilt als einer der großen Begründer der modernen Friedensforschung und hat Generationen von Wissenschaftler/innen inspiriert und geprägt: der Sozialpsychologe und Konfliktforscher Herbert C. Kelman. Der gebürtige Österreicher und Holocaust-Überlebende ist Anfang März im Alter von 94 Jahren in Cambridge, Massachusetts, gestorben.

Nachhaltiger Einfluss

Herbert Chanoch Kelman, am 18. März 1927 in Wien geboren, musste als Kind mit seiner Familie vor der antisemitischen Verfolgung durch die Nazis fliehen. Kurz nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich emigrierte er 1939 über Belgien in die USA. Der Holocaust hatte einen nachhaltigen Einfluss auf seine Berufswahl und sein politisches wie wissenschaftliches Engagement, heißt es im Nachruf des 2005 gegründeten und 2011 nach ihm benannten Herbert C. Kelman Institute for Interactive Conflict Transformation mit Sitz in Wien.

Kelman, der Ausgrenzung und Verfolgung in frühen Jahren erfahren hatte, studierte Psychologie mit Schwerpunkt Sozialpsychologie an der Yale University sowie an der University of Michigan, schloss 1951 mit der Promotion zum Ph.D. ab, und absolvierte Ausbildungen in Psychotherapie und Psychoanalyse. In den 1950er und 1960er-Jahren engagierte er sich in der US-amerikanischen Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung.

Als Forschungsassistent war er von 1947 bis 1951 am Psychology Department der Yale University, anschließend an der Johns Hopkins University tätig. 1962 wurde er als Professor für Psychologie an die University of Michigan berufen, 1968 an das Department of Psychology der Harvard University, wo er bis zu seiner Emeritierung 2004 einen Lehrstuhl für Sozialethik innehatte. Als Gastprofessor war er an Universitäten in den USA, in Europa, darunter 1994 an der Wirtschaftsuniversität Wien und wiederholt an dem Austrian Institute for International Affairs, und im Nahen Osten tätig. Heute gilt er als Pionier in der Entwicklung informeller Ansätze zur Lösung internationaler Konflikte.

Vielfache Auszeichnungen

„Österreich ist ein Teil von mir – warum soll ich das weggeben? Das gehört mir“, erzählt er im Film „The Class of `38. Exile and Excellence” – ein Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das nach einer Idee von ÖAW-Präsident Anton Zeilinger vom Filmemacher Frederick Baker gestaltet wurde. Darin kam er als einer von sechzehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Wort, die über ihre Verfolgung durch die Nazis und die Vertreibung aus Österreich in persönlichen Interviews berichten.

Herbert C. Kelman erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1973 den Kurt Lewin Memorial Award und 1981 den American Psychological Association's Award for Distinguished Contributions to Psychology in the Public Interest. Das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse wurde ihm 1998 verliehen, die Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold 2012 und das Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich 2016. Er ist Träger mehrerer Ehrendoktorate, darunter von Universitäten in den USA und Spanien.

 

Den Film "The Class of '38. Exile & Excellence" kann man hier ansehen:

Exile and Excellence