Rumänien am Scheideweg zwischen Europa und Russland
30.04.2025
Die politische Landschaft in Rumänien ist stark polarisiert: proeuropäische Kandidat:innen treten gegen populistische und teils prorussische Kräfte an. Im Interview ordnet Oliver Jens Schmitt, Historiker und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die Lage ein, erklärt die Hintergründe der Wahlannullierung 2024 und erläutert, welche Bedeutung Rumänien für die Stabilität in der Region hat.
Lehren aus der Präsidentschaftswahl 2024
Herr Schmitt, welche Lehren wurden Ihrer Einschätzung nach aus dem Wahldebakel des vergangenen Jahres gezogen?
Oliver Jens Schmitt: Ob tatsächlich Lehren aus dem vergangenen Wahldebakel gezogen wurden, muss man stark bezweifeln. In Rumänien stehen sich derzeit drei politische Lager gegenüber: Das erste ist klar anti-europäisch und tendiert in Richtung Russland. Das zweite gibt sich zwar pro-europäisch und spricht sich oberflächlich für EU und NATO aus, wird jedoch von korrupten Altparteien getragen. Das dritte Lager schließlich bekennt sich ernsthaft zu EU, NATO, Rechtsstaat und Demokratie.
Victor Ponta inszeniert sich als eine Art rumänischer Donald Trump.
Die Tatsache, dass das proeuropäische Lager gespalten ist, zeigt bereits, dass kaum Lehren gezogen wurden. Zwei Kandidaten konkurrieren dort um dieselben Wählerstimmen. Auch das zweite Lager ist zersplittert, hier stehen zwei Kandidaten zur Wahl. Einer von ihnen, Victor Ponta, vertritt offen antiwestliche Positionen, bekundet Sympathien für China und inszeniert sich als eine Art rumänischer Donald Trump. Der sogenannte „Trump-Faktor“ spielt auch bei seinem innerparteilichen Rivalen, Crin Antonescu, eine nicht unerhebliche Rolle.
Welche Auswirkungen hatte die Annullierung der Präsidentschaftswahl 2024?
Schmitt: Viele sind sich einig: Die Annullierung der Wahl im vergangenen Jahr hat die Demokratie in Rumänien vor einem sehr wahrscheinlichen Sieg von Călin Georgescu bewahrt. Dessen angeblich kostenloser Wahlkampf war, wie sich inzwischen herausgestellt hat, über dubiose Kanäle organisiert und finanziert worden.
Călin Georgescu ist weitgehend von der politischen Bildfläche verschwunden.
Die Annullierung hat für erhebliche Unruhe gesorgt. Es kam sogar zu einem Putschversuch der extremen Rechten – unterstützt von früheren rumänischen Angehörigen der französischen Fremdenlegion , die in Zentralafrika als Söldner tätig sind. Gleichzeitig ist das Vertrauen in staatliche Institutionen weiter gesunken. Insbesondere der Verfassungsgerichtshof, der die Wahl für ungültig erklärte, war Ziel zahlreicher Proteste.
Inwieweit prägt die Figur Călin Georgescu den aktuellen Wahlkampf, obwohl er nicht kandidieren darf?
Schmitt: Călin Georgescu ist weitgehend von der politischen Bildfläche verschwunden. Er wurde – so könnte man es formulieren – von Moskau „abgeschaltet“. Die Nachfolge dieses Lagers tritt nun George Simion an – ein rechtsextremer Kandidat, der auch in Wien unter Auslandsrumän:innen massiv beworben wird.
Der Einfluss Russlands
Gibt es auch in der aktuellen Wahlrunde Hinweise auf russische Einflussnahme?
Schmitt: Das lässt sich schwer sagen. Fest steht: George Simion, der Kandidat mit der deutlichsten antiwestlichen Linie, hat sowohl in der Republik Moldau als auch in der Ukraine Einreiseverbot und gilt dort als russischer Agent. Er hat versucht, gegen moldauische Politiker zu klagen, die ihn so bezeichneten – und hat diesen Prozess verloren.
George Simion gilt als russischer Agent.
Der Wahlkampf findet zunehmend online statt. Welche Bedeutung haben Plattformen wie Tiktok bei der Mobilisierung, insbesondere junger Wähler:innen?
Schmitt: Die extreme Rechte nutzt Tiktok ganz gezielt und mit enormer Emotionalisierung. Und hier zeigt sich ein zentrales Problem für gemäßigtere politische Kräfte in Europa: Sie schaffen es nicht, ein starkes, glaubwürdiges Gegennarrativ zu entwickeln – und dieses effektiv über jene Kanäle zu verbreiten, die vor allem von jungen Menschen genutzt werden.
Wie lässt sich die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung beschreiben?
Schmitt: Die Stimmung im Land ist angespannt – geprägt von Misstrauen, Desorientierung und je nach Lager auch von Angst. Proeuropäische Bürger:innen und Bürger befürchten eine neofaschistische, prorussische Regierung, manche denken sogar an Auswanderung. Auf der anderen Seite schürt die extreme Rechte rund um George Simion gezielt Wut – ein Gefühl, das angesichts der tiefen Korruption im dritten Lager, bestehend aus Sozialdemokraten und Nationalliberalen, zum Teil nachvollziehbar ist.
Diese Wahl stellt eine Richtungsentscheidung für Rumänien dar.
Diese Wahl stellt eine Richtungsentscheidung für Rumänien dar. Es geht darum, ob das Land den prowestlichen Kurs, den es seit 1996 mit dem EU- und NATO-Beitritt eingeschlagen hat, weiterverfolgt – oder ob es in eine Art geopolitische Grauzone zurückfällt, in der es sich stärker an Russland orientiert. Das Paradoxe daran: Rund 90 Prozent der Bevölkerung befürworten EU und NATO, viele jedoch erkennen nicht, dass es sich bei einigen Kandidat:innen der letzten Monate um mutmaßliche Einflussagenten Russlands handelt. Sollten sie an die Macht gelangen, wäre das böse Erwachen in Rumänien enorm – nur dann wäre es wohl zu spät.
Rumäniens Rolle in Europa
Inwiefern ist die politische Entwicklung Rumäniens bedeutsam für die Stabilität Europas?
Schmitt: Rumänien ist zwar ein eher leiser, aber dennoch zentraler Unterstützer der Ukraine – mit einer langen gemeinsamen Grenze, strategischer Bedeutung für militärische Transporte, und als wichtiger Ausfuhrkanal für Getreide. Zudem ist Rumänien, gerade weil die Türkei als NATO-Mitglied zunehmend als unsicherer Partner gilt, das wichtigste NATO-Land in Südosteuropa.
Rumänien liegt in einer Region, in der viele Staaten – wie Ungarn und die Slowakei – klar prorussische Tendenzen zeigen. Auch in Serbien, wo die Demonstrationen andauern, ist nicht klar, wie sich das Land entwickeln wird. Vor diesem Hintergrund braucht die EU dringend einen stabilen Pfeiler in Südosteuropa – und das sollte insbesondere auch ein strategisches Anliegen Österreichs sein.
Österreich sollte seine Verbindungen nutzen und eine aktivere, konstruktivere Rolle in der Region übernehmen.
Welche Rolle spielt denn Österreich hier?
Schmitt: Österreich hat zuletzt außenpolitisch verstärkt Akzente in Osteuropa gesetzt. So war der Außenminister Nordmazedoniens der erste Amtskollege, den Außenministerin Beate Meinl-Reisinger offiziell empfing. Vor wenigen Tagen folgte ein Treffen mit ihrem rumänischen Amtskollegen – beides wichtige symbolische Signale.
Die Beziehungen zu Rumänien sind eng: wirtschaftlich durch zahlreiche österreichische Investitionen, menschlich durch eine große rumänische Community im Land. Angesichts seiner Südosteuropa-Expertise sollte Österreich diese Verbindungen nutzen und eine aktivere, konstruktivere Rolle in der Region übernehmen.
Auf einen Blick
Oliver Jens Schmitt ist Professor für Geschichte Südosteuropas an der Universität Wien und wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Balkanforschung am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er ist Mitglied der ÖAW und war bis 2022 Präsident der philosophisch-historischen Klasse der Akademie. Aktuell ist Schmitt einer der Leiter des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Exzellenzclusters „Eurasian Transformations“.