29.05.2020

Quantenuhren zwischen halb zwei und halb drei

In der Quantenwelt ist der Zeitpunkt eines Ereignisses nicht immer eindeutig feststellbar. Das zeigen Gedankenexperimente von Quantenphysiker/innen der ÖAW und der Universität Wien.

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In der klassischen Physik wirkt sich die Krümmung der Raumzeit auf den Verlauf der Zeit aus: Uhren in einem starken Gravitationsfeld laufen demnach langsamer. Physiker/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien versuchen herauszufinden, wie solche Effekte auch in einer quantenmechanischen Beschreibung der Welt auftreten. Die ersten Antworten, die die Forscher/innen in der Fachzeitschrift nun in der „Nature Communications“ publizierten, sind nicht leicht mit der menschlichen Alltagserfahrung in Einklang zu bringen. “Es zeigt sich, dass unter dem Einfluss von gravitativ wechselwirkenden Quantensystemen die zeitliche Abfolge von physikalischen Prozessen nicht immer exakt definiert ist und vom Bezugssystem abhängen kann. Das gilt nicht für den Einfluss klassischer Gravitationsfelder”, sagt Studien-Autor Caslav Brukner.

Bei ihrer Untersuchung stellten die Forscher/innen gedankliche Experimente an, um Zusammenhänge und Konzepte auszuloten, die in weiterer Folge beobachtet werden können. “Wir stellen uns Quantenuhren vor, die gravitativ wechselwirken”, sagt Brukner. Das besondere an Quantenuhren ist, dass ihr ‚Zeiger‘ keinen wohldefinierten Ort haben muss. Es existieren auch Überlagerungszustände aus mehreren Uhrzeiten. “Das darf man sich nicht so vorstellen, dass die Uhr mehrere Zeiten gleichzeitig anzeigt. Die Uhrzeit ist fundamental nicht eindeutig bestimmt”, sagt Brukner.

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Zeitbestimmung hängt von der Uhr ab

Die Forscher/innen stellten in ihrem gedanklichen Experiment zwei Quantenuhren nebeneinander, um dann zu vergleichen, wie sich der Einfluss der eigenen Gravitation auf diese auswirken würde. Es zeigt sich, dass die Uhren schnell nicht mehr darin übereinstimmen, zu welchem Zeitpunkt ein Ereignis passiert: Im zeitlichen Bezugssystem von Uhr A kann ein Ereignis 1 etwa zu einem exakten Zeitpunkt passieren. Für Uhr B ist der Zeitpunkt des Ereignis 1 nicht exakt bestimmt. Wechselt man aber in das Bezugssystem von Uhr B, dann findet man ein anderes Ereignis 2, das zu einer exakten Uhrzeit passiert. Im Bezugsystem von Uhr A verhält sich das Ereignis 2 genau umgekehrt und wird unscharf. “In diesem Experiment gibt es also keine Zeit unabhängig von den Uhren”, sagt der Forscher.

Die Physiker/innen zeigen in Ihrer Publikation auch, dass Ereignisse so viel in der Zeit „verschwommen“ werden können, dass sogar Ihre zeitliche Abfolge nicht mehr exakt definiert ist. Zudem lassen sich die Bezugssysteme der einzelnen Uhren durch Transformationen ineinander überführen. Das heißt, dass sich auch die Träger von Quantenuhren darauf einigen könnten, dass sie das gleiche Phänomen betrachten, auch wenn sie sich nicht auf die Uhrzeit einigen könnten. Auf einer Uhr könnte es also halb zwei sei, während es auf der anderen zwischen halb zwei und halb drei ist.

 

Publikation

"Time reference frames and gravitating quantum clocks", Esteban Castro-Ruiz, Flaminia Giacomini, Alessio Belenchia, Časlav Brukner, Nature Communications, 2020

DOI: dx.doi.org/10.1038/s41467-020-16013-1

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