06.02.2023 | Wissenschaftskommunikation

Portugal: „Wissenschaftstourismus wird immer attraktiver“

Während in Österreich rund ein Drittel der Bevölkerung Wissenschaft skeptisch sieht, wie aktuelle Zahlen der ÖAW zeigen, ist in Portugal, dem Land mit der höchsten Impfquote in der EU, das Vertrauen in die Wissenschaft hoch. Warum das so ist, erklärt Rosalia Vargas, Präsidentin der nationalen Wissenschaftskommunikation des Landes „Ciência Viva“, die kürzlich an der ÖAW in Wien zu Gast war.

Portugal gilt als äußerst wissenschaftsfreundliches Land. Einen großen Anteil daran haben die über das ganze Land verteilten Wissenschaftszentren „Ciência Viva“, in denen seit 1996 Forschung bürgernah vermittelt wird. © Shutterstock

Es war nicht immer so. Noch 2005 war in Portugal laut Eurobarometer-Umfrage das Interesse an Wissenschaft und Technologie im EU-Vergleich ähnlich wie in Österreich relativ gering. Und während hierzulande die Wissenschaftsskepsis noch immer weit verbreitet ist, wie auch aktuelle Erhebungen des Wissenschaftsbarometers der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigen, schnitt Portugal in der jüngsten Eurobaromter-Umfrage von 2021 erstaunlich gut ab.

Wie kam es zu diesem hohen Anstieg? Und was macht die Wissenschaftskommunikation in Portugal so besonders? Darüber spricht Rosalia Vargas, die seit 1996 das Programm "Ciência Viva", übersetzt "lebendige Wissenschaft", in Portugal leitet. Sie war kürzlich für einen Austausch zum Thema an der ÖAW in Wien zu Gast.

„Wir müssen bei den Kindern anfangen“

Frau Vargas, Sie haben in Portugal ein einzigartiges Programm für innovative Wissenschaftskommunikation namens Ciência Viva ins Leben gerufen. Können Sie kurz erklären, worum es sich dabei handelt?

Rosalia Vargas: Ich kann Ihnen eine kurze Geschichte dazu erzählen. Es war vor 26 Jahren, 1996, als unser Minister für Wissenschaft und Technologie, José Mariano Gago, Ciência Viva ins Leben rief und mich einlud, dieses Programm zu leiten. Die Idee war, eng mit der Scientific Community und den Schulen zusammenzuarbeiten, um die Wissenschaft in der Gesellschaft zu verankern. Die wichtigste Frage war: Wie kann man die Wissenschaft den Menschen näherbringen? Eine unserer Antworten: Wir müssen bei den Kindern anfangen. Die Schule ist der beste Ort, um mit der jungen Generation zu arbeiten, um ihre Neugier zu wecken – vor allem in Bezug auf die Wissenschaft. Für viele ist es die einzige Möglichkeit vor dem Verlassen der Schule in direkten Kontakt mit der Wissenschaft zu treten.

Unsere Wissenschaftszentren sind erfolgreich, weil sie bürgernah sind."

Wie ging es weiter?

Vargas: Schulen konnten Projekte einreichen – einziger Zusatz: Bei den Projekten sollten Lehrer:innen mit Forscher:innen zusammenarbeiten. Das Ziel war es, Partnerschaften zwischen Schulen und der Wissenschaft aufzubauen. Partnerschaften sind sehr wichtig, denn niemand weiß genug, um alles allein zu machen. Das gilt auch auf internationaler Ebene.

Sie hatten also von Anfang an die Unterstützung der Politik?

Vargas: Ja. Diese Projekte wurden vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie initiiert und unterstützt. Für die Zusammenarbeit mit den Schulen sind wir eine Partnerschaft mit dem Bildungsministerium eingegangen, aber auf sehr offene Weise. Die finanzielle Unterstützung durch die Europäische Kommission über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung war ebenfalls sehr wichtig.

JEDES WISSENSCHAFTSZENTRUM IST ANDERS

Das Herzstück von Ciência Viva sind wissenschaftliche Zentren im ganzen Land. Ist die Niederschwelligkeit das Erfolgsrezept?

Vargas: Unsere Wissenschaftszentren sind Museen mit einem modernen Ansatz. Sie sind interaktiv konzipiert und beschäftigen sich mit der Forschung von morgen. Sie wurden in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen, Universitäten, Fachhochschulen und lokalen Behörden geschaffen. Sie sind erfolgreich, weil sie bürgernah sind. Sie sind außerdem in Gebäuden untergebracht, die für die lokalen Communities von Bedeutung sind, zum Beispiel in einer ehemaligen Bergbauanlage, einer Kirche, einem Kloster, einer Fabrik und sogar in einem alten Gefängnis.

Wir haben eine Form von Wissenschaftstourismus entwickelt und fördern damit Besuche in allen Wissenschaftszentren."

 

Sind alle Wissenschaftszentren ähnlich konzipiert?

Vargas: Nein, die Wissenschaftszentren unterscheiden sich voneinander – ein guter Grund, jedes einzelne von ihnen zu besuchen. Wir haben eine Form von Wissenschaftstourismus entwickelt und fördern damit Besuche in allen Wissenschaftszentren. Das Programm umfasst eine gemeinsame Eintrittskarte, unterstützt durch eine App. Dank mehr als 100 Partnerschaften mit anderen Wissenschaftseinrichtungen sowie Sonderkonditionen in mehr als 100 Restaurants und Hotels, wird Wissenschaftstourismus immer attraktiver.

FACHWISSEN ZU THEMEN, DIE BÜRGER:INNEN INTERESSIEREN

In der vergangenen Eurobarometer-Umfrage, in der unter anderem nach der Einstellung zu Forschung und wissenschaftlichen Erkenntnissen gefragt wurde, lag Portugal im Spitzenbereich. In Österreich waren die Werte weitaus schlechter. Hat Ciência Viva auch die Art und Weise verändert, wie man über Wissenschaft spricht?

Vargas: Viele Jahre lang war Portugal bei den Eurobarometer-Ergebnissen das Schlusslicht in Europa. Dann zeigte das Eurobarometer von 2021 eine bemerkenswerte Veränderung. Und warum? Weil wir vor 26 Jahren angefangen haben und nicht aufgehört haben. Es braucht Zeit, aber jetzt haben die Portugies:innen Vertrauen in die Wissenschaft und in die Wissenschaftler:innen. Laut Umfrage wollen sie mehr über Wissenschaft und Technologie wissen – und sie wollen mehr von den Wissenschaftler:innen wissen.

Es braucht Zeit, aber jetzt haben die Portugies:innen Vertrauen in die Wissenschaft und in die Wissenschaftler:innen."

Die Wahrscheinlichkeit, eine:n Wissenschaftler:in im Wissenschaftszentrum zu treffen, ist übrigens sehr hoch. Wissenschaftler:innen arbeiten eng mit den Ciência Viva-Teams zusammen und halten dort regelmäßig Vorträge. Die Wissenschaftszentren sind sehr lebendige Orte, an denen die Bürger:innen Fachwissen zu relevanten Themen wie Pandemie, Gesundheit, Klima oder Wirtschaft finden können.

Portugal war während der Pandemie auch ein Vorreiter bei der Impfung. Sehen Sie da eine Verbindung zu Ihrer Arbeit?

Vargas: Ja. Natürlich ist das nicht als einzige Ursache, aber wir sind überzeugt, dass es einen Zusammenhang gibt. Die Menschen in Portugal vertrauen der Wissenschaft und ihren Wissenschaftler:innen. Und Vertrauen ist ein entscheidendes Element, um Wissenschaft und Gesellschaft einander näher zu bringen.

 

AUF EINEN BLICK

Rosalia Vargas ist Präsidentin von Ciência Viva, der nationalen Agentur für wissenschaftliche und technologische Kultur in Portugal, und Direktorin von Pavilion of Knowledge, dem Wissenschaftszentrum in Lissabon. Davor war sie Stadträtin für Bildung, Jugend und Kultur im Rathaus von Lissabon (2007-2009), Präsidentin von Ecsite - European Network of Museums and Science Centers, Brüssel (2013-2015) und Vorstandsmitglied von ASTC - Association of Science Technology Centers, mit Sitz in Washington DC.