Sie sind die allerschnellsten Teilchen, die in der Natur außerhalb des Atomkerns vorkommen: Elektronen. Wenn Elektronen um den Atomkern kreisen, spielt sich das auf einer Zeitskala von Attosekunden ab. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel vom Milliardstel einer Sekunde oder ein Tausendstel einer Femtosekunde. In Zahlen: 0,000000000000000001 Sekunden.
Diese winzigen und unfassbar schnellen Teilchen zu messen und zu erforschen, ist Teil der Attosekundenphysik. Für ihre wissenschaftlichen Durchbrüche in diesem faszinierenden Forschungsbereich wurden der österreichisch-ungarische Physiker Ferenc Krausz und die französische Physikerin Anne L’Huillier, beide Mitglieder der ÖAW, 2023 gemeinsam mit ihrem Kollegen Pierre Agostini mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
Herzschlag im Universum
Eine Attosekunde ist unvorstellbar kurz. Das Nobelpreiskomitee hat es so beschrieben: Eine Attosekunde steht zu einem Herzschlag so, wie ein Herzschlag zum Alter des Universums.
Den ausgezeichneten Forscher:innen ist es sozusagen gelungen, Lichtblitze zu erzeugen, die so kurz sind, wie das Universum alt ist. Mit diesen ultrakurzen Lichtblitzen werden die Bewegungen von Elektronen „fotografiert“, um auf diese Weise tiefere Einblicke in dynamische Prozesse unserer Materie zu gewinnen.
Die Attosekunden-Physik nutzt ultrakurze Laserpulse für Experimente. Um die Bedeutung dieser Pionierleistung zu verstehen, kann man sich vorstellen, eine Stubenfliege in Zeitlupe zu filmen.
Ähnlich wie eine Handykamera, die 200 Bilder pro Sekunde aufnimmt, können diese Laserpulse Bewegungen in einer Zeitspanne von einer Attosekunde erfassen. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Dynamik von Elektronen innerhalb von Atomen und Molekülen aufzulösen.
Augenblick als Ewigkeit
Wenn man eine Attosekundenkamera verwenden würde, um eine Sekunde lang eine Fliege zu filmen und die Aufnahme mit 25 Bildern pro Sekunde abzuspielen, würde es fast 1,3 Milliarden Jahre dauern, das gesamte Video zu betrachten. Diese unglaublich kurzen Laserpulse ermöglichen es, ebenso unglaublich schnelle Vorgänge im Detail zu erfassen und Augenblicke auf eine scheinbare Ewigkeit auszudehnen. Selbst bei lebenslangem Betrachten eines Attosekundenvideos wäre keine Bewegung erkennbar, es sei denn, man könnte auf die Ebene einzelner Elektronen zoomen, die so schnell sind, dass sie in wenigen hundert Attosekunden von einem Atom zum anderen springen können.
In ihren Experimenten hat Anne L’Huillier gemeinsam mit ihren Kollegen Krausz und Agostoni die Grenzen der zeitlichen Auflösung von Elektronenbewegungen überschritten und den Tanz der Elektronen in Atomen und Molekülen sichtbar gemacht.
Tanz der Elektronen
Der Weg zu dieser bahnbrechenden Entdeckung begann 1987: Die französische Physikerin Anne L’Huillier von der Lund University in Schweden hat damals den Grundstein gelegt, indem sie einen Ansatz gefunden hat, der Laserpulse, die kürzer als eine Femtosekunde (also eine Billiardstelsekunde) sind, überhaupt erst plausibel erscheinen ließ: Durch den Beschuss eines Edelgases mit einem Infrarotlaser gelang es ihr, ultrakurze Laserpulse zu erzeugen.
Es hat dann noch einmal bis zum Jahr 2001 gedauert, bis tatsächlich die ersten Attosekunden-Laserpulse im Labor hergestellt werden konnten. In einem Interview in der Wochenzeitung Die Zeit spricht Ferenc Krausz über die Pionierarbeit von Anne L’Huillier: „Die Theorie war schon da. Und die Laser haben sich über die Zeit verbessert. In den Neunzigerjahren konnten wir an der Universität Wien dann diese ultraschnellen Laser bauen, die nur eine Oszillationsperiode beinhalten. Was da aber immer noch gefehlt hat, war eine Messtechnik, um diese Attosekundenblitze überhaupt nachzuweisen. Deswegen war die Forschung über lange Jahre nichts mehr als Spekulation.“
Der Durchbruch gelang dann 2001. Ferenc Krausz, der heute am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Deutschland forscht und demnächst auf der Bühne des Festsaals in der ÖAW steht, gelangen an der Technischen Universität Wien die ersten Attosekunden-Experimente. Entscheidend zur Weiterentwicklung der Technologie und entsprechend sensibler Messtechnik trug auch L’Huilliers Landsmann Pierre Agostini von der Ohio State University bei.
Das Rennen geht weiter
Obwohl derzeit der Rekord bei 80 Attosekunden liegt, zeigt sich, dass das Rennen um den kürzesten Puls noch lange nicht beendet ist. Die Forschungsgruppen von Ferenc Krausz und Anne L’Huillier setzen sich weiterhin dafür ein, die Grenzen der Physik zu erkunden.
Die Anwendungsmöglichkeiten dieser ultrakurzen Laserpulse sind vielfältig, von ultraschnellen, lasergesteuerten elektronischen Schaltungen bis hin zu präzisen Analysen chemischer Vorgänge und innovativen Diagnoseverfahren in der Medizin.
Was Attosekundenlaser in der Medizin leisten können, erklärt Krausz im Interview: „Unsere Arbeit an den Attosekundenlasern hat letztendlich die Idee dafür geliefert, dass es möglich ist, mithilfe von ultrakurzen Laserpulsen auch Blut zu untersuchen und so womöglich schon sehr früh Krankheiten zu erkennen.“ Die Zukunft verspricht also weiterhin aufregende Entwicklungen auf dem Gebiet der Attosekunden-Physik.