28.11.2023 | Adulte Stammzellenforschung

Menschliches Herzorganoid ähnelt fötalem Herzen

Einem Team an der ÖAW gelang es erstmals, ein menschliches Herzorganoid zu entwickeln, das Vorhof und Herzkammern ausbildet und – wie das frühe menschliche Herz – koordiniert schlägt. Die aktuelle Studie wurde in der Fachzeitschrift Cell publiziert.

Querschnitt zeigt die Hohlräume eines Mehrkammer-Kardioids: Vorhoforganoid (cyan), linkes Kammerorganoid (weiß) und rechtes Kammerorganoid (magenta) ©Tobias Illmer/IMBA

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache. Bei Erwachsenen betreffen die meisten  Erkrankungen die linke Herzkammer, die sauerstoffreiches Blut durch den Körper pumpt. Bei angeborenen Defekten sind meist andere Herzregionen betroffen, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Kreislaufs wichtig sind. Was das Verständnis von Herzerkrankungen und von angeborenen Herzfehlbildungen vertiefen könnte, ist ein Modell des menschlichen Herzens, das die wichtigsten Regionen nachbildet. Genau das ist nun einem Team um Sasha Mendjan am IMBA ‒ Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gelungen. Die Molekularbiolog:innen stellten das erste physiologische Organoidmodell vor, das alle wichtigen sich entwickelnden Herzstrukturen umfasst. Es bildet die charakteristischen Herzkammern aus und schlägt wie ein fötales Herz. Diese Studie wurde nun in Cell publiziert.

Kardioide der linken Herzkammer

Im Jahr 2021 präsentierte das Mendjan-Labor das erste kammerartige Herzorganoid, das aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen gebildet wurde. Diese selbstorganisierenden Herzorganoide, auch Kardioide genannt, rekapitulierten die Entwicklung der linken Herzkammer in den allerersten Tagen der Embryogenese. „Diese Kardioide waren ein Grundsatzbeweis und ein wichtiger Schritt nach vorn“, sagt Mendjan.

Wir fragten uns: Wenn wir alle Organoide gemeinsam entwickeln lassen, erhalten wir dann ein Herzmodell, das koordiniert schlägt wie das frühe menschliche Herz?“

Neu: Mehr-Kammer-Organoid

In der neuen Studie baute das Team am IMBA seine früheren Arbeiten aus. Die Forscher:innen erstellten zunächst Kardioidmodelle der einzelnen Herzstrukturen, die Auskunft über Form und die Gewebeorganisation der Kammern ermöglichten. Ziel aber war es, die einzelnen Kammerorganoide gemeinsam wachsen zu lassen – und die für das schlagende Herz typische Ausbreitung des elektrischen Signals zu erreichen.

In der aktuellen Studie wurde dieses Ziel erstmals erreicht: Bei den gemeinsam gezüchteten Kammerorganoiden entwickelte sich tatsächlich ein Herzschlag, wie er für die frühe fötale Entwicklung typisch ist: "Das Signal breitete sich vom Vorhof in die linke und dann in die rechte Herzkammer aus – genau wie in der frühen fötalen Herzentwicklung bei Tieren“, erinnert sich Sasha Mendjan. „Diesen grundlegenden Prozess haben wir nun erstmals in einem menschlichen Herzmodell mit all seinen Kammern beobachtet“, so der IMBA-Forscher.

Die Entwicklung des Herzschlags

Die Mehrkammer-Kardioiden ermöglichen es zu untersuchen, wie regionale Unterschiede in der Genexpression zu spezifischen Kontraktionsmustern der Kammern führen, und wie sich die Kommunikation zwischen den Kammern aufbaut. Die Forscher:innen können allmählich nachvollziehen, wie das menschliche Herz zu schlagen beginnt.

Wir haben gesehen, dass die Organoidkammern im Laufe ihrer Entwicklung einen komplizierten Tanz des Führens und Folgens durchlaufen.

„Wir haben gesehen, dass die Organoidkammern im Laufe ihrer Entwicklung einen komplizierten Tanz des Führens und Folgens durchlaufen. Zunächst führt die linke Herzkammer die entstehenden rechten Herzkammern und den Vorhof in ihrem Rhythmus. Wenn sich dann – zwei Tage später – der Vorhof entwickelt, folgen die Herzkammern der Führung des Vorhofs, bevor die Schrittmacher den Herzrhythmus endgültig kontrollieren“, erklärt Alison Deyett, Doktorandin in der Mendjan-Gruppe und eine der Erstautor:innen der Studie.

Screening-Plattform für Herzfehler und Therapie

In einem Proof-of-Principle hat das Mendjan-Team eine Screening-Plattform für kammerspekzifische Defekte der Mehrkammer-Kardioide eingerichtet. Dabei wird in großem Umfang analysiert, welche Veränderungen bekannte Teratogene und Mutationen auslösen. „Unsere Tests zeigen, dass Mehrkammer-Kardioide die embryonale Herzentwicklung rekapitulieren und mit hoher Spezifität störende Auswirkungen auf das gesamte Herz aufdecken können. Wir tun dies mit einem ganzheitlichen Ansatz, indem wir mehrere Messwerte gleichzeitig betrachten“, fasst Mendjan zusammen. Damit wurde eine Grundlage geschaffen, um Wachstum und Regenerationspotenzial des Herzens besser verstehen zu lernen.

In Zukunft können Mehrkammer-Herzorganoide für toxikologische Studien und zur Entwicklung neuer Medikamente mit herzkammerspezifischen Wirkungen eingesetzt werden. Und aus Stammzellen von Patient:innen entwickelte Herzorganoide könnten Aufschluss über Entwicklungsfehler geben und darüber, wie sie behandelt und verhindert werden können.

Die Arbeit am IMBA erfolgte auch in Zusammenarbeit mit HeartBeat.bio AG, einem von Sasha Mendjan mitgegründeten Spin-Off Unternehmen des IMBA. HeartBeat.bio verwendet bereits die linksventrikuläre Kardioid-Technologie von IMBA in einer vollautomatischen und integrierten 3D-Plattform zur Entdeckung von Medikamenten für verschiedene Formen der Herzinsuffizienz. Nun hat IMBA dem Unternehmen auch eine exklusive Lizenz für die Mehrkammer-Herzorganoid-Technologie erteilt.

 

 

Auf einen Blick

Publikation:

Schmidt C, Deyett A, Saha Menjan et al., Multi chamber cardioids unravel human heartdevelopemt and cardiac defect. Cell, 2023. DOI: https://dx.doi.org/10.1016/j.cell.2023.10.030