Unerklärliche Erschöpfung, Brain Fog, Atemnot: Long Covid lässt viele Patient:innen mit schwer greifbaren, oft belastenden Symptomen zurück, die ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Obwohl die Symptome vielfältig und individuell ausgeprägt sind, zeigt sich ein gemeinsames Muster: Auch nach einer scheinbar überstandenen Infektion mit dem Coronavirus können anhaltende Beschwerden auftreten. Warum das so ist und wie den Betroffenen am besten geholfen werden kann, ist noch weitgehend ungeklärt.
Die Erforschung dieser Fragen hat sich Eva Untersmayr-Elsenhuber zur Aufgabe gemacht. Sie leitet gemeinsam mit Kathryn Hoffmann das neu gegründete Nationale Referenzzentrum für postvirale Syndrome an der Medizinischen Universität Wien. In einem wachsenden Wissensnetzwerk soll das Zentrum nicht nur die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung bündeln, sondern auch die behandelnden Ärzt:innen mit den besten verfügbaren Informationen versorgen. Im Interview spricht Untersmayr über die Herausforderungen der Long Covid-Forschung und wie das neue Zentrum einen entscheidenden Beitrag leisten soll.
Schwierige Diagnose von Long Covid
Frau Untersmayr-Elsenhuber: Sie leiten gemeinsam mit Kathryn Hoffmann das Referenzzentrum für postvirale Syndrome. Welche Rolle spielt Long Covid dabei?
Eva Untersmayr-Elsenhuber: Natürlich eine ganz entscheidende. Ohne die Pandemie und ohne die Erkrankung von so vielen Patient:innen an Long Covid wäre die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicher nicht so gewachsen. Wir haben schon lange versucht, Aufmerksamkeit für postinfektiöse Erkrankungen, also postakute Infektionssyndrome, zu generieren, aber das war schwer. Ein Grund dafür ist, dass wir mit der Pandemie etwas gemacht haben, was vorher nicht üblich war: systematisches Testen. Dadurch weiß man, welcher Erreger eine Infektion ausgelöst hat, und hat nachweisen können, dass sich nach einer akuten Infektion, die gar nicht schwerwiegend sein muss, weiterbestehende Symptome entwickeln können.
Viele Patient:innen leiden unter Fatigue. Das ist das häufigste Symptom.
Long Covid wird oft falsch diagnostiziert und behandelt. Warum?
Untersmayr-Elsenhuber: Es ist schwierig, denn die Definition von Long Covid ist sehr breit: Wenn jemand Symptome entwickelt, die vier bis zwölf Wochen nach der akuten Infektion neu auftreten oder nach der akuten Erkrankung weiterbestehen, spricht man von Long Covid. Bei Patient:innen mit Organschäden ist das greifbarer, bei anderen, deren Beschwerden in Bildgebung oder in Laboruntersuchungen nicht nachweisbar sind, ist es schwieriger. Besonders junge Patient:innen, die vorher gesund waren, haben oft keine offensichtlichen organischen Schäden, leiden aber dennoch an Long Covid.
Viele Symptome: Fatigue, Schlafstörungen, Brain Fog
Wie würden Sie die Symptome beschreiben? Was sind die häufigsten Beschwerden bei Long Covid?
Untersmayr-Elsenhuber: Das variiert stark, je nachdem, welche Patientenkohorte man betrachtet. Eine spannende Studie aus Stanford, die interdisziplinär durchgeführt wurde, zeigt, dass viele Patient:innen unter Fatigue leiden. Das war das häufigste Symptom. Auch Schlafstörungen, kognitive Einschränkungen wie „Brain Fog“ und Kreislaufprobleme treten oft auf. Dazu kommen Atembeschwerden, neu auftretende Allergien oder Unverträglichkeiten, die viele Patient:innen erst nach der Infektion entwickeln. Einige berichten auch von Durchblutungsstörungen, wie kalte Hände oder Füße oder Verfärbungen der Finger und/oder Zehen.
Wir wissen, dass Frauen häufiger betroffen von Long Covid sind
Wie steht es um die Fortschritte in der Erforschung von Long Covid? Weiß man, wer besonders gefährdet ist?
Untersmayr-Elsenhuber: Wir wissen, dass Frauen häufiger betroffen sind, mit bis zu 80 Prozent in einigen Studien. Das haben wir schon bei anderen postviralen Syndromen gesehen. Fortschritte in der Forschung gibt es, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir einen klaren Mechanismus, der für alle Patient:innen gültig ist, identifizieren konnten. Es gibt verschiedene Hypothesen für die Krankheitsentstehung: Eine Überaktivierung des Immunsystems wie Autoimmunreaktion, eine verminderte Immunantwort, eine veränderte Blutgerinnung vor allem in den kleinen Gefäßen können eine Rolle spielen. Auch Veränderungen im Mikrobiom, also der Mikroorganismen in unserem Körper, scheinen eine Rolle zu spielen. Sehr wahrscheinlich sind es auch verschiedene Mechanismen bei verschiedenen Patient:innen-Untergruppen. Dies macht die Erkrankung auch so komplex. All diese Faktoren sind Gegenstand aktueller Forschung.
Kann Long Covid auch wieder verschwinden? Gibt es Hoffnung auf vollständige Heilung?
Untersmayr-Elsenhuber: Zum Glück zeigen Studien, dass Long Covid nach einiger Zeit wieder abklingen kann. Vor allem bei den früheren Virusvarianten war das Risiko für Long Covid höher. Bei der Omikron-Variante ist es geringer, aber nicht null. Auch die Impfungen haben das Risiko gesenkt, aber sie bieten keinen vollständigen Schutz vor der Entwicklung von postviralen Syndromen. Es gibt leider noch keine klaren Vorhersagen, wer besonders gefährdet ist. Jede neue Infektion birgt ein gewisses Risiko, Long Covid zu entwickeln.
Wenig Daten zu Long Covid in Österreich
Warum sind vor allem Frauen betroffen? Und: Wird in der Gendermedizin jetzt mehr geforscht?
Untersmayr-Elsenhuber: Es gibt einige Hypothesen, aber keine endgültigen Antworten. Frauen sind häufiger betroffen, besonders jüngere, bei denen das Hormonsystem noch aktiver ist. Auch hormonelle Schwankungen im Verlauf des Zyklus könnten eine Rolle spielen. Aber da gibt es noch viel Forschungsbedarf. Es wäre wichtig, in der Gendermedizin hier genauer hinzuschauen.
Zum Glück zeigen Studien, dass Long Covid nach einiger Zeit wieder abklingen kann.
Gibt es Daten, wie viele Menschen in Österreich von Long Covid betroffen sind?
Untersmayr-Elsenhuber: Leider haben wir in Österreich noch keine genauen Daten. Unser Gesundheitssystem kodiert solche Erkrankungen oft nicht, wodurch valide Diagnosen fehlen. Wir müssen uns bisher auf Schätzungen aus anderen Ländern wie den USA oder Deutschland stützen.
Was erhoffen Sie sich vom Referenzzentrum für postvirale Syndrome?
Untersmayr-Elsenhuber: Das Referenzzentrum wird als Wissensmultiplikator fungieren. Es geht darum, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse den behandelnden Ärzten und Ärztinnen zur Verfügung zu stellen. In einem schnell wachsenden Forschungsfeld wie diesem ist es schwierig, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Unser Ziel ist es, das Wissen zu bündeln und damit Synergien zu schaffen, insbesondere in der klinischen Forschung. Es ist wichtig, dass Österreich als Forschungsstandort eine Rolle spielt und Patient:innen im Rahmen von Studien schnell den Zugang zu innovativen Therapien haben.