10.05.2022 | Globalisierte Wirtschaft

Lieferketten­gesetz: Anspruch auf Schaden­ersatz schützt Menschen­rechte

Brennende Fabriken, Kinderarbeit, Abholzung von Regenwäldern: Wie Lieferkettengesetze dafür sorgen können, dass Zulieferer europäischer Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte einstehen müssen, erklärt ÖAW-Schadenersatzjuristin Barbara Steininger.

Der Anspruch auf Schadenersatz spielt bei Lieferkettengesetzen eine gewichtige Rolle. © Unsplash.com
Der Anspruch auf Schadenersatz spielt bei Lieferkettengesetzen eine gewichtige Rolle. © Unsplash.com

In der globalisierten Welt lassen international agierende Konzerne oftmals in Billiglohnländern produzieren. Die Gewinnung von Rohstoffen und die Produktion von Konsumgütern erfolgen häufig in Ländern des globalen Südens. Immer wieder kommt es dabei zu schwerwiegenden Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltstandards ­– von brennenden Fabriken über Kinderarbeit bis zu zerstörten Regenwäldern.

Das soll sich jetzt ändern. In verschiedenen europäischen Ländern wird diskutiert, wie man Umweltschutz und Menschenrechten auch in globalen Lieferketten einen gesetzlichen Rahmen geben kann. Es geht darum, Unternehmen an der Spitze der Lieferkette für die Schäden der Betroffenen verantwortlich und haftbar zu machen. Barbara Steininger vom Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Graz erklärt, inwieweit das Haftungsrecht in diesem Zusammenhang Lösungsansätze bieten kann.

Anspruch auf Schadenersatz

Was ist Sinn und Zweck eines Schadenersatzanspruchs?

Barbara Steininger: Das Schadenersatzrecht regelt, unter welchen Umständen ein Schaden von dem, der diesen Schaden erlitten hat, auf einen anderen überwälzt werden kann. Etwa weil dieser den Schaden rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführt hat. Das Schadenersatzrecht ermöglicht somit den Ausgleich bereits erlittener Schäden, wirkt aber zugleich auch präventiv. Wer weiß, dass er für Schäden einzustehen hat, wird sich bemühen den Schadenseintritt zu verhindern.

Zumeist sind es tragische Unfälle, die Aufmerksamkeit auf die strukturellen Probleme lenken."

Welche Rolle kann das Schadenersatzrecht in globalen Lieferketten spielen?

Steininger: Zumeist sind es tragische Unfälle, die Aufmerksamkeit auf die strukturellen Probleme globalisierter Lieferketten für Menschenrechte und Umwelt lenken. Grundsätzlich können Geschädigte in ihrer Heimat gegen Schädiger vorgehen, um Ersatz zu erhalten. Dem stehen aber häufig beachtliche rechtliche und praktische Hindernisse entgegen, weshalb das nationale Schadenersatzrecht seine Präventions- und Ausgleichsfunktion nur eingeschränkt erfüllen kann.

Können Opfer demgegenüber vor europäischen Gerichten gegen die Unternehmen an der Spitze der Lieferkette vorgehen, denen – ebenso wie den Konsument/innen in Europa – die wesentlichen Vorteile einer global organisierten Wirtschaft zugutekommen, so kann dies dazu beitragen, dass die Opfer angemessenen Ersatz erhalten. Zudem führt dies zu erhöhter Aufmerksamkeit für die Problematik und kann zur Prävention beitragen.

Pakistan: Brand in Fabrik

Ein Beispiel, bitte.

Steininger: Beispielhaft möchte ich den sogenannten KiK-Fall nennen. Bei einem verheerenden Brand in einer pakistanischen Textilfabrik, die hauptsächlich für den deutschen Textil-Discounter KiK produzierte, wurden 258 Personen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Opfer der Katastrophe versuchten nun, vor einem deutschen Gericht Ersatz für die erlittenen Schäden zu erlangen.

Welche Hürden sind für eine solchen Ersatzanspruch vor einem europäischen Gericht zu überwinden?

Steininger: Zunächst muss das Gericht international zuständig sein. Dies ist typischerweise der Fall, da Unternehmen an der Spitze der Lieferkette an ihrem Sitz geklagt werden können. Schwieriger ist es, zur Anwendung des jeweiligen nationalen europäischen Rechts zu kommen, da es für das anwendbare Recht auf den Ort des Schadenseintritts ankommt.

Nach geltendem österreichischem Recht käme man nur ausnahmsweise zu einer Haftung."

Was bedeutet das für den konkreten Fall?

Steininger: Im KiK-Fall war daher pakistanisches Recht anwendbar und die Kläger scheiterten in der Folge, da die zweijährige Verjährungsfrist des pakistanischen Rechts bereits abgelaufen war. Selbst wenn man zur Anwendung etwa des österreichischen Rechts käme, ist aber äußerst fraglich, ob eine Haftung bejaht werden kann. Dies liegt insbesondere daran, dass die Schädigung im Regelfall auf dem rechtswidrigen Verhalten selbständiger Dritter wie Zulieferer oder Tochterunternehmen beruht, für das das Unternehmen an der Spitze der Lieferkette nur ausnahmsweise einzustehen hat.
Auch eine eigene Verpflichtung der Unternehmen an der Spitze der Lieferkette aktiv tätig zu werden, um Schädigungen durch andere zu verhindern, ist nur selten anzunehmen. Nach geltendem österreichischem Recht käme man daher nur ausnahmsweise zu einer Haftung, nämlich insbesondere dann, wenn das Unternehmen an der Spitze der Lieferkette den unmittelbaren Schädiger faktisch beherrscht oder wenn es selbst eine sehr präzise Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Standards eingegangen ist.

Regelungen in Europa

Wie könnten sogenannte Lieferkettengesetze hier helfen?

Steininger: Der Gesetzgeber kann Unternehmen verpflichten, aktiv zur Hintanhaltung von Menschenrechtsverletzung oder Umweltschäden in ihren Lieferketten vorzugehen, etwa durch Risikoanalyse, Präventions- und Kontrollmaßnahmen, die Beseitigung festgestellter Verletzungen und die Offenlegung der getroffenen Maßnahmen. Verstößt ein Unternehmen gegen diese Sorgfaltspflichten, kommt auch eine Haftung für dadurch herbeigeführte Schäden in Betracht. Damit derlei Regelungen auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Schaden in der Heimat der Geschädigten eingetreten und damit deren Heimatrechtsordnung maßgeblich ist, wird vielfach argumentiert, diese müssten sogenannte Eingriffsnormen sein. Das sind Regelungen, die so wichtig sind, dass sie vom Gericht unabhängig davon angewendet werden, welches Recht sonst für den Fall maßgeblich ist.

Auf Ebene der Europäischen Union ist eine eigene Regelung geplant."

Gibt es in Europa bereits solche Regelungen?

Steininger: Während in Österreich noch kein solches Lieferkettengesetz besteht, ist in anderen Staaten als auch auf europäischer Ebene eine starke Dynamik in diesem Bereich erkennbar. In Frankreich wurde als Folge der sogenannten Rana Plaza Katastrophe, einem Einsturz eines Fabriksgebäudes in Bangladesch 2013 mit über 1.100 Todesopfern, ein Gesetz beschlossen, das Sorgfaltspflichten vorsieht und auf das allgemeine Haftungsrecht verweist. In der Schweiz ist eine ähnliche Regelung 2020 knapp gescheitert, was insbesondere mit der Furcht zusammenhing, durch einen Alleingang den Wirtschaftsstandort zu schwächen. Demgegenüber wurde im Juni 2021 in Deutschland das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erlassen. Allerdings wurde dabei nicht nur auf die ursprünglich geplante Haftungsregelung verzichtet, sondern – was sehr ungewöhnlich ist – sogar angeordnet, dass eine Verletzung der vorgesehenen Sorgfaltspflichten keine Haftung nach sich zieht.

Und auf EU-Ebene?

Steininger: Auch auf Ebene der Europäischen Union ist eine eigene Regelung geplant. Im Frühjahr 2021 hat das Europäische Parlament der Kommission die Anordnung von Sorgfaltspflichten in Kombination mit einer Haftungsregelung empfohlen. Ein Vorschlag der Kommission wurde verschoben. Der Vorteil einer europäischen Lösung bestünde darin, dass hier – zumindest für die EU – gleiche Wettbewerbsbedingungen, man spricht von einem level playing field, geschaffen werden könnten.

 

AUF EINEN BLICK

Barbara Steininger studierte Rechtswissenschaften und Niederländisch in Wien und Leiden. Sie ist Mitarbeiterin am Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der ÖAW und Universität Graz sowie assoziierte Professorin an der Universität Graz. Zudem ist sie Vizedirektorin des Europäischen Zentrums für Schadenersatz- und Versicherungsrecht (ECTIL) und Fellow des European Law Institute.