01.03.2023

Klimawandel: Gentechnik macht Hoffnung

Grüne Gentechnik ist nach wie vor umstritten. Woher die Skepsis kommt und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen es braucht, um das Potential der Gentechnologie in Zeiten des Klimawandels nutzbar zu machen, erklärt ÖAW-Forscherin Ortrun Mittelsten Scheid.

Die öffentliche Debatte um Gentechnik ist seit Jahrzehnten von Unsicherheiten geprägt. Auch gegenüber neuen Verfahren der grünen Gentechnik ist die Skepsis groß. Wie sich das Misstrauen gegenüber Lebensmitteln erklären lässt, die mithilfe von Gentechnik produziert werden, welche Chancen mit modernen Verfahren geneditierte Pflanzen in Zeiten begrenzter Ressourcen bieten und warum die derzeitige Gesetzeslage die Macht der großen Saatgutkonzerne stärkt, darüber spricht Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vom GMI – Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

„In Europa sind wir sehr nostalgisch, was die ‚Natürlichkeit‘ betrifft – ohne uns darüber Gedanken zu machen, dass wir seit 10.000 Jahren Züchtungen betreiben“, sagt die ÖAW-Forscherin im Interview. Denn: „Kein einziges Obst und Gemüse, wie wir es heute kennen, entspricht der Urform.“ Gemeinsam mit dem Pflanzenforscher Herrmann Bürstmayr von der Universität für Bodenkultur Wien und ÖAW-Präsident Heinz Faßmann informierte sie bei der ÖAW-Gesprächsreihe Science Update Journalist:innen über grüne Gentechnik.

GRÜNE GENTECHNIK ALS ÖKOLOGISCHE CHANCE

Frau Mittelsten Scheid, welche Chancen bietet die grüne Gentechnik in Zeiten des Klimawandels?

Ortrun Mittelsten Scheid: Grüne Gentechnik kann nicht den Klimawandel als solchen bekämpfen. Dafür müssen wir viele andere Maßnahmen treffen. Aber die Anwendung der Gentechnik in Pflanzen ist ein mögliches Werkzeug, um unsere Kulturpflanzen an die veränderten Bedingungen anzupassen. In Zeiten begrenzter Ressourcen an Boden und Arbeitskraft kann man damit die Ernährungssicherheit verbessern.

Aber: Trockenresistenz, Hitzeresistenz, Salzresistenz, die jetzt im Zuge des Klimawandels als Züchtungsziele besonders attraktiv sind, sind komplexe Eigenschaften, an denen in der Regel mehrere Gene, epigenetische Regulierungen und andere Faktoren beteiligt sind. Sie entscheiden zusammen darüber, ob Pflanzen mit bestimmten Bedingungen zurechtkommen.

Die industrielle Landwirtschaft laugt Böden aus und beschleunigt das Artensterben. Widerspricht der Einsatz der grünen Gentechnik einer notwendigen Ökologisierung der Landwirtschaft?

Mittelsten Scheid: Ganz im Gegenteil. Ich sehe ein Potenzial darin, dass mit der Gentechnik der kleine Pool der heute weltweit verwendeten Kulturpflanzen erweitert wird und neue Kulturpflanzen überhaupt denkbar sind. Ein Beispiel dafür sind Ansätze, existierende Wildpflanzen mithilfe gezielter gentechnischer Veränderungen in für die Menschen vorteilhafte Kulturpflanzen umzuwandeln. Die Gentechnik ist aber natürlich kein Allheilmittel, um die Landwirtschaft ökologisch verträglicher zu machen.

 

GENTECHNIK IST LÄNGST ALLTAG

 

Gentechnik ist in der Öffentlichkeit noch immer sehr umstritten. Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht Gründe dafür?

 

Mittelsten Scheid: Es gibt keine wissenschaftlichen Gründe dafür, der grünen Gentechnik gegenüber besonders skeptisch, vorsichtig oder furchtsam zu sein. Die Skepsis resultiert aus anderen Gründen. Was vielen Menschen nicht bewusst ist: Andere Arten von Gentechnik, also das, was man als „rote“ oder „weiße“ Gentechnik in Medizin und Chemie bezeichnet, haben längst in unserem Alltag Einzug gehalten. In jedem Waschmittel steckt Gentechnik in vielfältiger Weise. Auch bei der Lebensmittelherstellung werden Enzyme eingesetzt, die gentechnisch hergestellt werden. Und viele Medikamente, wie Insulin, beruhen auf gentechnischen Verfahren.

 

 

Worauf beruht denn die Skepsis gegenüber der grünen Gentechnik?

 

Mittelsten Scheid: Das ist meiner Meinung nach dem unglücklichen Start der Gentechnik geschuldet. Eine der ersten Eigenschaften, die gentechnisch erzielt wurden, war die Herbizidresistenz zur Bekämpfung von Unkräutern. Damals kamen schnell die Konzerne Monsanto und Pioneer ins Spiel, denen man Profitinteressen vorwarf. Aktivist:innen haben aus angeblich ökologischen Gründen die Versuchsfelder für „Genmais“ verwüstet, mit der Behauptung, die Schöpfung zu verteidigen. Das wiederum hat eine große Medienaufmerksamkeit bewirkt – und diese Skepsis wurde sehr stark in die Öffentlichkeit getragen und verankert.

 

Gentechnisch hergestellte Pflanzen gelten als unnatürlich. Worin liegt hier der Unterschied zwischen Pflanzenzucht und Gentechnik?

 

Mittelsten Scheid: In Europa sind wir sehr nostalgisch, was die „Natürlichkeit“ betrifft – ohne uns darüber Gedanken zu machen, dass wir seit 10.000 Jahren Züchtungen betreiben. Kein einziges Obst und Gemüse, wie wir es heute kennen, entspricht der Urform. All unsere Bioprodukte sind in ganz starker Weise aus menschlichen Eingriffen in die Natur entstanden.

 

 

LIBERALERE GESETZGEBUNG KANN KLEINE UNTERNEHMEN STÄRKEN

 

Für wie zweckmäßig halten Sie die strenge Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU?

 

Mittelsten Scheid: Zweckmäßig ist das aus wissenschaftlicher Sicht nicht. Und es ist auch unlogisch, denn im Endeffekt kann man mit den modernen Methoden der Gen-Editierung die gleiche Art von Mutationen herstellen, die auch aus der klassischen Züchtung hervorgehen. Mit dem Unterschied: Die Gen-Editierung kann sehr viel gezielter, schneller und kostengünstiger als die klassische Züchtung sein. Das gentechnisch veränderte Endprodukt ist molekularbiologisch nicht von einer auf herkömmlichen Weg erzeugten Mutation zu unterscheiden.

 

In der öffentlichen Debatte dominiert die Sorge, dass mit dem Einsatz der grünen Gentechnik die Kennzeichnung von Produkten als "gentechnikfrei" nicht mehr kontrollierbar sei. Wie sehen Sie das?

 

Mittelsten Scheid: Das Label „gentechnikfrei“ ist aktuell ein Verkaufsargument, kein Sicherheitszertifikat und auch nicht immer ein Qualitätsmerkmal. Langfristig denke ich, wird die Kennzeichnung überflüssig, sobald Konsument:innen die Möglichkeit haben, sich für qualitativ hochwertigere Produkte unabhängig von deren Herstellungsmethode durch klassische oder moderne Gentechnik zu entscheiden.

 

 

Neue Gentechnik-Verfahren versprechen ein lukratives Geschäft, vor allem für Saatgutkonzerne, sagen Kritiker:innen. Stimmt das?

 

Mittelsten Scheid: Die jetzige Gesetzgebung zementiert die Macht der ganz großen Spieler im Feld. Denn: Die Genehmigungsverfahren sind dermaßen aufwendig und kostenintensiv, dass es sich nur große Konzerne leisten können, darüber nachzudenken, ob sie diese Prozesse durchschreiten wollen. Und sie durchlaufen sie daher auch nur für Produkte, von denen sie sich weltweite Profite erhoffen. Würde die gesetzliche Regelung angepasst werden auf das, was für Zulassungen neuer Sorten in der klassischen Züchtung bereits existiert, dann könnten sich auch kleinere Betriebe überlegen, ob sie für ihre lokal interessanten Kulturpflanzen solche Verfahren in Betracht ziehen. Das würde die lokale Diversität von Kulturpflanzen fördern.

 

 

 

AUF EINEN BLICK

Am 2. März 2023 fand am GMI – Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Science Update zum Thema grüne Gentechnik mit der Molekularbiologin Ortun Mittelsten Scheid (ÖAW) und dem Pflanzenforscher Hermann Bürstmayr (BOKU) statt. Die im Vorjahr vom neuen Präsidium der Akademie gestartete Gesprächsreihe will den Austausch zwischen Journalist:innen mit Expert:innen zu gesellschaftlich relevanten Fragen stärken.

 

Ortrun Mittelsten Scheid ist Forschungsgruppenleiterin am GMI – Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der ÖAW. Zuvor forschte die Biologin u.a. am Max-Planck-Institut für Zellbiologie in Deutschland, sowie in der Schweiz an der ETH Zürich und am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel. Sie ist Preisträgerin des Erwin Schrödinger-Preises der ÖAW.