05.12.2023 | Geothermie

Keine Energiewende ohne Wärmewende

Nachhaltige Wärme ist ein zentraler Lösungsansatz der weltweiten Energiekrise. Doch wie schaffen wir den Ausstieg aus fossilen Energien wie Erdgas? Welche nachhaltigen Alternativen gibt es? Rolf Bracke, Direktor bei Fraunhofer Research Institution for Energy, Infrastructure and Geothermal Systems IEG, erklärt bei einem ÖAW-Symposium sowie im Interview, warum Geothermie unverzichtbar für die Abkehr von Erdgas ist.

Unter Geothermie oder Erdwärme versteht man die in der Erde gespeicherte Wärmeenergie. © Adobe Stock

Das Symposium "Geoenergie" der Kommission für Geowissenschaften beleuchtet die geowissenschaftlichen Aspekte der Energiewende. Denn vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung und der Endlichkeit fossiler Energierohstoffe richten sich die Hoffnungen auf die Erschließung und Entwicklung erneuerbarer Energiequellen. Am 5. Dezember 2023 sprechen Expert:innen, unter ihnen Rolf Bracke, im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über das Potential von Geothermie.

Nachhaltige Energie ist in aller Munde. Warum hört man vergleichsweise wenig über nachhaltige Wärme?

Rolf Bracke: Die Energiewende wurde lange Zeit fast ausschließlich als Stromwende diskutiert und die Schlagzeilen galten vor allem Photovoltaik, Windkraft, Biogas und Wasserkraft. An Wärme hat niemand einen Gedanken verschwendet, weil wir vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ja günstiges Gas aus Russland beziehen konnten, um den Bedarf zu decken. Aber die Welt hat sich geändert und Erdgas ist jetzt Mangelware.

Wir haben uns alle an billiges Gas gewöhnt und konsumieren deshalb wie Junkies.

Die Situation in Palästina hat die Preise zuletzt erneut steigen lassen. Dazu kommt, dass wir uns bis 2045 komplett von Erdgas lösen müssen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Wärme ist die wichtigste Energieform und repräsentiert etwa 50 bis 60 Prozent des Endenergiebedarfs in Europa. Mechanische und elektrische Energie kommen zusammen auf 40 bis 55 Prozent. 

Nachhaltige Wärme aus der Erde

Wie viel Wärme brauchen wir?

Bracke: In Deutschland entfallen von 2600 Terawattstunden Gesamtenergiebedarf pro Jahr rund 1400 Terawattstunden auf Wärme, davon wiederum 800 auf Haushalte und 600 auf die Industrie. Wir haben uns alle an billiges Gas gewöhnt und konsumieren deshalb wie Junkies. Das muss nicht so sein, wie Island und die skandinavischen Staaten zeigen. Während Deutschland und Österreich sich ab den 1960ern für Erdgas entschieden haben, setzen diese Länder schon lange auf Geothermie und andere Alternativen. 

Das ist für Island aber auch naheliegend, oder?

Bracke: Island hat natürlich einen Vorteil, weil die Voraussetzungen für Geothermie sehr gut sind. Trotzdem war es eine aktive Entscheidung, die geothermische Infrastruktur und die Wärmenetze zu bauen. Andere Länder produzieren Wärme zum Beispiel mit Strom aus Wasserkraft. Wo die Bedingungen weniger günstig sind, wurde aber meistens auf Gas gesetzt. Das rächt sich jetzt.

Die richtige Alternative

Wie können wir Erdgas ersetzen?

Bracke: Wir müssen alle Alternativen nutzen, der Mix wird von Kommune zu Kommune unterschiedlich sein, denn nicht jede Technologie ist für jeden Ort geeignet. Bei der Geothermie unterscheiden wir zum Beispiel zwischen tiefer und oberflächlicher Nutzung. Bei tiefen Bohrungen kommt das Wasser aus vielen hundert Metern Tiefe und ist heiß genug, um direkt als Wärmequelle zu dienen.

In Österreich wird Grundwasser schon lange als Wärmequelle genutzt.

Dafür brauche ich dann aber ein Leitungsnetz, wie etwa das Fernwärmenetz in Wien, das für Wasser mit 90 bis 110 Grad Celsius ausgelegt ist. Für solche Temperaturen müssen die Bohrungen etwa 3000 Meter tief sein. Zwischen 1000 und 2000 Metern Tiefe hat das Wasser nur noch 30 bis 60 Grad. Da braucht man schon eine Wärmepumpe, um ausreichende Temperaturen zu erreichen. Neuere Fernwärmenetze machen es genau so. Oberflächensysteme, die die Wärme von Gewässern, Grundwasser oder Abwassernetzen nutzen, brauchen für jedes Haus eine eigene Wärmepumpe. In Österreich wird das bei einzelnen Gebäuden ja schon lange gemacht, indem das Grundwasser als Wärmequelle genutzt wird.

Effiziente Energienutzung

Wie wichtig ist die effiziente Nutzung der vorhandenen Wärmequellen?

Bracke: Effizienz hat die absolut höchste Priorität. Industrieabwasser hat zum Teil sehr hohe Temperaturen. Wir reden hier von einer Menge Wärme, die über Luftkühler ungenutzt in die Atmosphäre geblasen wird. Auch niedrigere Temperaturen bieten interessante Möglichkeiten. Das Kanalsystem zum Beispiel kann über Wärmetauscher angezapft werden und Haushalte mit Wärme fürs Heizen versorgen. Diese Quellen sind da, wir müssen sie nur nutzen.

Diese Quellen sind da, wir müssen sie nur nutzen.

Umweltwärme kann durch Luftwärmepumpen ebenfalls genutzt werden und Flüsse und Seen haben ebenfalls Potenzial als Wärmequellen. Das kann zudem einer durch den Klimawandel bedingten Erwärmung, die zu einer Belastung der Ökosysteme führt, entgegengewirken. Es ist also genug Wärme vorhanden, um unsere Gasabhängigkeit zu beenden. In Deutschland könnten Tiefen- und Oberflächengeothermie gemeinsam bis zu zwei Drittel des Wärmebedarfs decken. Wenn wir zudem Umweltwärme und Abwärme effizient nutzen, haben wir mehr Wärmeenergie, als wir brauchen.

Ein Weg aus der Krise?

Was muss passieren, damit die Wärmewende gelingt?

Bracke: Die wichtigste Maßnahme für Österreich und Deutschland wäre eine Absicherung des Fündigkeitsrisikos. Geothermieprojekte werden nur dann vorangetrieben, wenn das Risiko überschaubar ist. In vielen Gegenden ohne frühere Kohlenwasserstoff-Exploration wissen wir aber zu wenig über die Beschaffenheit des Untergrunds und Testbohrungen sind entsprechend teuer.

Die Akzeptanz bei den Bürger:innen muss ebenfalls verbessert werden.

Der Staat muss Unternehmen bei den Bohrungen unterstützen und das Risiko abfedern, falls keine geeigneten Wärmequellen gefunden werden. Falls Testbohrungen positive Ergebnisse liefern, sollen die Unternehmen sie selbst finanzieren. Dass derzeit viel zu wenig Exploration stattfindet, ist ein Marktversagen, das behoben werden muss. Wir brauchen außerdem dringend Fachkräfte. Eine nachhaltige Wärmeversorgung für Europa verlangt hunderttausende Menschen, die das System am Laufen halten. Die Akzeptanz bei den Bürger:innen muss ebenfalls verbessert werden, das wird ein hartes Stück Arbeit.

Rolf Bracke. © Dieter Hüsten

 

AUF EINEN BLICK

Rolf Bracke ist Direktor am Fraunhofer IEG (Research Institution for Energy, Infrastructure and Geothermal Systems). Er spricht unter anderem am 5. Dezember an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beim Symposium Geoenergie, das die Rolle von Erdwärme bei der Energiewende näher beleuchtet.