Kann KI antike Tempel digital rekonstruieren?
23.06.2025
Archäologische Ausstellungen sind für Laien oft sehr abstrakt. Ein paar Steine erzählen für Außenstehende wenig vom Alltag der Menschen damals. Deshalb helfen animierte Kurzfilme und Ausstellungsgrafiken dabei, einen anschaulicheren Einblick in das Leben vergangener Epochen zu bekommen. Gefragt dafür sind Grafiker:innen und 3D-Modellerierer:innen, die ihr technisches Know-how mit archäologischem Fachwissen kombinieren.
Ferenc Zámolyi ist einer davon. Seit 2017 arbeitet er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Seine Spezialgebiete sind die Auswertung von Laserscandaten, 3D-Rekonstruktionen, Anfertigung von 2D-Architekturplänen aus Punktewolken/Scandaten als Grundlage zur Rekonstruktion und Bauforschung. Im Rahmen der ÖAW-Konferenz AI Meets Humanities & Social Sciences wird er einen Vortrag mit dem Titel „Archaeological Reconstruction of Built Environment: Workflows and Generative AI – Applications and Problems“ halten.
Im Gespräch erzählt er, welchen Stellenwert KI in seiner Arbeit hat, aber auch, welche Herausforderungen es nach wie vor zu bewältigen gibt bei der digitalen Rekonstruktion von zerstörten antiken Gebäuden. „Um mit Hilfe von KI genauer arbeiten zu können, müsste man einen entsprechenden wissenschaftlichen Datenpool anlegen. Gerade, wenn Menschen im Bild sein sollen, aber auch bei Gebäuden, kommen leider noch oft AI-Klischees heraus”, so Zámolyi.
Chancen und Grenzen von KI
Wie gut eignet sich KI für Ihren Bereich?
Ferenc Zámolyi: Das ist ein sehr gehyptes Thema momentan. Man erwartet sich sehr viel davon, aber es gibt auch Limitationen. Wir sind keine Entwickler:innen von Software, sondern nur Anwender:innen von Tools, die es bereits gibt. Wir versuchen diese in unseren Prozess der Rekonstruktion einzubinden. Wobei ein Haus ein kompliziertes, dreidimensionales System ist, bei dem verschiedene Bauteile und Materialien zum Einsatz kommen. Wir beobachten, dass KI noch nicht so weit ist, von einem historischen Grundriss ausgehend ein bis ins Detail fertiges Haus zu entwerfen. Kann sein, dass sich das in Zukunft verändert.
KI ist noch nicht so weit, von einem historischen Grundriss ausgehend ein bis ins Detail fertiges Haus zu entwerfen.
Wobei hilft KI jetzt schon?
Zámolyi: Bei Architekturelementen wie Zierleisten, Reliefs oder Mosaiken ist KI sehr effizient. Sie erkennt oft sogar besser als das menschliche Auge zugrundeliegende Strukturen. Das Programm ist viel schneller, wenn es um Mustererkennung oder Musterergänzung geht. Aber um historische Gebäude zeichnerisch zu rekonstruieren, braucht man detailliertes Wissen über die Baukultur einer Epoche. Aus der römischen Zeit zum Beispiel gibt es viel an Bausubstanz, die bis heute gut erhalten ist. Meist gab es beim Bauen gängige Typologien, es wurde viel nach System errichtet. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Wir wissen oft nicht, wo die Fenster waren (diese sind wegen der höheren Situierung oft nicht mehr erhalten). Wie war die Raumnutzung? Wie hoch war das Gebäude? Wie war das Dach? Es kommen viele Details dazu, die man abwägen muss. KI ist gerade darin noch sehr ungenau. Ein Kollege von unserem Team hat als Test einen Tempel mit KI rekonstruieren lassen. Das Resultat war, dass dieses Modell nur aus der Entfernung funktioniert, je näher man heranzoomt, desto mehr ist sichtbar, dass viele Details nicht stimmen. Es wirkt, wie wenn ein ungeübter Maler ein Gemälde nicht perfekt hinbekommen hätte.
KI ist viel schneller als der Mensch, wenn es um Mustererkennung oder Musterergänzung geht.
Mit KI in die Steinzeit reisen
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Archäolog:innen aus?
Zámolyi: Die Kollegen:innen stellen mir Unterlagen der Grabungen zur Verfügung, die 3D-Rekonstruktion wird dann ausgehend von diesen Daten gemeinsam erarbeitet. In der Regel werden mehrere Varianten der Gebäude gezeichnet, von denen die wahrscheinlichste(n) ausgesucht werden. Oft sind anhand der Befunde mehrere Versionen möglich, keine Rekonstruktion ist absolut. Mit der Zeit, mit dem Auftauchen neuer Ergebnisse kann und muss sie dann überarbeitet werden. Oft werden in einer Grabung nur Teilaspekte von Siedlungen oder Gebäuden ergraben – vielleicht sind Teile schon zerstört, vielleicht kann die Grabung nicht auf die gesamte Siedlung ausgedehnt werden. Fehlende Information kann von historischen Abbildungen, antiken Texten oder Modellen ergänzt werden oder auch ähnliche, erhaltene Gebäude (Analogien) können als Vorbild dienen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Zámolyi: Bei dem neolithischen Dorf Svinjarička Čuka in Serbien wurden mehrere Häuser partiell ergraben. Anhand von Voruntersuchungen – also Sondagen, Geophysik, Bohrungen – war eine größere Ausdehnung der Siedlung feststellbar, jedoch war die Situierung der einzelnen Häuser zu Projektanfang noch nicht definiert. Aus dem Grabungsbefund war ersichtlich, dass die Konstruktionsweise der Häuser aus Holzpfosten bestand, die auf Steinen gelagert waren, dazwischen aus Ruten geflochtene Wände mit Lehmbewurf. Die Platzierung der Eingänge der Häuser war jedoch nicht eindeutig – mehrere Varianten wurden in Erwägung gezogen, bis man sich schließlich auf eine definitive Version an der Längsseite der Häuser einigte. Anhand der Funde konnte man feststellen, dass in der Siedlung Getreideanbau (Vorratsgefäße, Getreidereste) und Tierhaltung betrieben wurde. Die Darstellung von Feldern und Nutztieren, wie Rindern, Schafen, Ziegen sowie die Einbettung der Siedlung in die damals stark bewaldete Landschaft war ebenfalls eine wichtige Aufgabe.
Als Teil der Arbeitsgeräte wurden Mahlsteine gefunden, und um zu veranschaulichen, wie früher gearbeitet wurde, brauchte man in der Abbildung Menschen. Bei römisch-griechischer Architektur sind Menschen in den Schaubildern oft mehr zur Darstellung der Größe und Proportionen der Gebäude wichtig, weil die Architektur selbst sehr substanziell ist. Aber bei steinzeitlichen Funden sind sie zentral, da es oft darum geht, welche Aktivitäten mit den gefundenen Werkzeugen ausgeführt wurden, und diese Werkzeuge auch oft zentraler Teil der Forschung sind.
Wie kann AI da helfen?
Zámolyi: Nehmen wir den Mahlstein, den wir digital rekonstruiert haben: Wir hatten keinen gesamten Scan, sondern einige Fotos. Den Rest hat die KI sehr gut ergänzt. Es gibt gängige Methoden (Photogrammetrie), bei der man sehr viele Fotos aus verschiedensten Perspektiven braucht, damit man ein genaues digitales Abbild eines Objektes herstellen kann. Wenn man nur wenige Bilder hat, funktionieren diese Vermessungs- und Auswertungsprogramme leider mangelhaft. KI kann mit wenigen Aufnahmen trotzdem gut ergänzen. Ein praktischer Einsatzbereich dafür ist im musealen Bereich, wenn schlecht dokumentierte Objekte zerstört wurden oder verloren gegangen sind. KI kann diese Objekte sehr genau rekonstruieren. Das hat enormes Potential.
Hollywood-Filme als KI-Datenbank
Aus welchen Daten schöpft die KI?
Zámolyi: Das ist ein grundlegendes Problem. Eigentlich sogar aus Hollywood-Filmen, wenn es darum geht, wie etwa Römer:innen ausgesehen haben könnten. Die Programme werden trainiert aus generellem Material, das im Internet zu finden ist. Wobei archäologische Fundstellen spezielles Wissen erfordern. Ich muss sehr individuell arbeiten, auch, weil ich auf neueste Forschungsergebnisse eingehe. Vieles in der Archäologie wird heute anders bewertet als noch vor zehn Jahren. Der Wissensstand ändert sich ständig. Deswegen wäre bei Einsatz von KI-Tools sehr gut, diese spezifischer trainieren zu können. Entwicklungen in diese Richtung gibt es, und wir hoffen diese dann auch entsprechend in den Rekonstruktionsprozess integrieren zu können.
Gerade, wenn Menschen im Bild sein sollen, aber auch bei Gebäuden, kommen leider noch oft KI-Klischees heraus.
KI müsste mit Fachwissen trainiert werden?
Zámolyi: Um mit Hilfe von KI genauer arbeiten zu können, müsste man einen entsprechenden wissenschaftlichen Datenpool anlegen. Gerade, wenn Menschen im Bild sein sollen, aber auch bei Gebäuden, kommen leider noch oft KI-Klischees heraus, was unsere Wahrnehmung der dargestellten Epoche verfälscht. Neben sehr guten Beispielen der KI-Anwendung ist es in der letzten Zeit leider einige Male auch vorgekommen, dass Museen unreflektiert KI-generierte Filme oder Bilder verwendet haben. Momentan kann die KI noch keine fundierte Rekonstruktion ersetzen. Ich hoffe, dass ich in Zukunft komplexere Aufgaben an die KI übergeben kann. Wie in einem Filmset, sodass man eher der Regisseur ist und nicht der Bühnenbildner. Dann würde man nicht mehr jede Szene, jedes Detail selbst vorher zeichnen, sondern eher die kreative Gesamtleitung übernehmen.
AUF EINEN BLICK
Ferenc Zámolyi ist am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig und externer Lehrbeauftragter der TU Wien.
Die Konferenz „AI Meets Humanities & Social Sciences“, findet von 23. bis 25. Juni an der ÖAW in Wien statt. Expert:innen aus dem In- und Ausland tauschen sich zu der Frage aus, wie der Einsatz von KI die Sozial- und Geisteswissenschaften verändert.