09.06.2022 | Lingua franca

Ist perfektes Englisch überbewertet?

Sind Grammatik, flotte Redewendungen und eine natürliche Aussprache gar nicht entscheidend für die Kommunikationsfähigkeit in einer Sprache? Dem geht die Anglistin und Sprachwissenschaftlerin Barbara Seidlhofer nach. Für ihre innovativen Forschungen wurde sie nun mit dem Wilhelm Hartel-Preis der ÖAW ausgezeichnet.

Eine Gruppe von jungen Menschen betreibt Konversation.
Sprache als globales Werkzeug der Verständigung. © Unsplash.com

Englisch als "Lingua Franca", als eine global verwendete Sprache, begleitet Barbara Seidlhofer schon seit vielen Jahren. Die Anglistin von der Universität Wien verfolgt in ihren Sprachforschungen dabei einen unkonventionellen Ansatz: Statt nur auf perfekte Grammatik, Aussprache oder eine Vielfalt an Redewendungen zu achten, untersucht sie, inwieweit es nicht ganz andere Aspekte  sind, die unsere Sprachkompetenz maßgeblich beeinflussen. Für ihre Studien, die bereits durchaus überraschende Ergebnisse zutage fördern konnten, wurde sie nun mit Wilhelm Hartel-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ausgezeichnet.

"Perfektion kann auch störend sein. Ich habe Bekannte, die so stolz auf ihr idiomatisches Englisch sind, dass sie es auf Biegen und Brechen überall einsetzen. Egal, ob es für andere verständlich ist. In unserer globalisierten Welt geht es aber mehr darum, wie ich mit anderen kommunizieren kann", betont die Forscherin. Im Interview erklärt Seidlhofer, warum konkrete Kommunikation und Offenheit oft wichtiger als perfekte, aber starre Sprachkenntnisse sein können. 

Native Speaker

Wurden Sie im Englischunterricht auch noch getrimmt, das „th“ richtig auszusprechen?

Barbara Seidlhofer: Auch beim Studium wurden wir darauf trainiert wie ein Native Speaker zu klingen. Wir mussten uns entscheiden, ob wir britisches oder amerikanisches Englisch sprechen. Ich habe von einer irischen Studentin gehört, dass sie bei der Prüfung durchgefallen ist, weil ihre Aussprache nicht ins Schema gepasst hat. Damals war es aber auch für mich das schönste Kompliment, wenn mich jemand zumindest kurz für einen Native Speaker gehalten hat.

Wem ‚gehört‘ die Sprache wirklich?"

Wann hat sich Ihre Haltung dazu verändert?

Seidlhofer: Ab den späten 1980er-Jahren gab es die Technologie, um riesige Sprach-Korpora aufzubauen. Wenn man als Linguistin ernst genommen werden wollte, musste man ein Computerkorpus haben. Ich dachte, wie wäre es, wenn man sich anschaut, wie tatsächlich mehrheitlich auf der Welt Englisch gesprochen wird? Die Realität ist doch oft so, dass zum Beispiel eine Finnin mit einem Chinesen spricht und weit und breit kein Native Speaker dabei ist. Wie handeln die das dann aus? Wem ‚gehört‘ die Sprache wirklich? Mich hat der vorauseilende Gehorsam gestört, dass sie nur den Native Speakers gehören soll. Ich habe also beschlossen, ein elektronisches Korpus von Gesprächen zu erstellen, die mittels Englisch als "Lingua Franca" geführt werden.

"th" für Verständigung meist egal

Hat sich durch die Globalisierung viel verändert?

Seidlhofer: Ja, obwohl sich das leider noch immer viel zu wenig in der Sprachwissenschaft und im Sprachunterricht niederschlägt. Die Leute sind sehr eingefahren in ihren Denkweisen. Doch diese Pädagogik trägt ein Rezept des Scheiterns in sich. Weil sie ein Ziel vorgibt, das ohnehin die wenigsten erreichen werden. Warum fragt man nicht einfach, was gut funktioniert? Es gibt Studien, die zeigen, dass für 80 Prozent der Verständigungsprobleme im internationalen Kontext die Aussprache verantwortlich ist, aber nicht alle Elemente sind gleich wichtig. Das „th“, oder auch das 3.-Person-„s“ sind für die internationale Verständigung meist völlig egal, und manch flotte Redewendung sogar kontraproduktiv.

Englisch als Lingua Franca spielt sich auf sehr vielen Ebenen ab."

Was ist wichtig?

Seidlhofer: Kommunikationsfähigkeit, speziell Kommunikationsstrategien und Einfühlungsvermögen: Wie höre ich richtig zu? Wie signalisiere ich, ob ich glaube, etwas verstanden zu haben? Wie paraphrasiere ich, wenn ich merke, dass ich nicht gut verstanden werde? Wie verändere ich meine Sprache, um mein Gegenüber zu erreichen? Englisch als Lingua Franca spielt sich auf sehr vielen Ebenen ab.

Die Bedeutung der Grammatik

Ihnen geht es mehr um die Kommunikation als um die perfekte Grammatik?

Seidlhofer: In unserer globalisierten Welt geht es vor allem darum, wie ich mit anderen kommunizieren kann, da ist Grammatik nur wichtig, solange sie eine kommunikative Funktion hat. Oft sind Native Speaker da gar nicht so streng wie Sprach-Profis, die viel Zeit und Mühe investiert haben, möglichst perfekt zu klingen. Meist geht es im Gespräch einfach darum, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, wenn Menschen mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Englischkenntnissen zusammenkommen.

Jede Vorstellung von einer perfekten, unitären Sprachkompetenz ist Humbug."

Idealisieren und pauschalieren wir Native Speaker? Selbst als Muttersprachler/in ist man nicht an jedem Tag gleich eloquent. Zudem redet man mit Freundinnen anders als im Job.

Seidlhofer: Absolut. Deshalb ist ja auch jede Vorstellung von einer perfekten, unitären Sprachkompetenz Humbug. Spannend an der Globalisierung ist ja, dass wir Annahmen, mit denen wir aufgewachsen sind, hinterfragen müssen. Was ist sprachliche Kompetenz? Was ist eine Sprachgemeinschaft? Wie kann ein neues, sinnvolles Modell für Lernende aussehen, das diese Dynamik berücksichtigt? Als ich diesen Ansatz vor 20 Jahren thematisiert habe, wurde ich ausgelacht. Viele Kolleg/innen haben den Kopf geschüttelt.

Sprache als Frage des Vertrauens

Wie wirkt sich diese Arroganz konkret aus?

Seidlhofer: Menschen werden noch immer dadurch diskriminiert, dass auf einer bestimmten Form von Englisch beharrt wird. Für Geflüchtete aus zum Beispiel Nigeria kann das eine bedrohliche Situation sein, wenn sie auf Lampedusa landen. Manche italienischen Grenzpolizisten finden, dass die Nigerianer im Vergleich zu ihrem Schulenglisch schlechtes Englisch sprechen, das führt dazu, dass sie ihnen auch weniger vertrauen. Es braucht Bildung, und auch Schulungen, um diese tiefliegenden sprachlichen Vorurteile aufzubrechen.