15.09.2021 | Dreißigjähriger Krieg

Gott des Gemetzels: die Schlacht am Weißen Berg

Die erste große Schlacht des Dreißigjährigen Krieges war ebenso grausam wie folgenreich. Anlässlich einer Tagung zu dieser historischen Zäsur, mitveranstaltet von Habsburgerforscher/innen der ÖAW, schildert der Gastvortragende Robert J. W. Evans, warum diese Auseinandersetzung so entscheidend für die weitere Geschichte Mitteleuropas war.

Die Schlacht am Weißen Berg auf einem Ölgemälde von Peter Snayers. © Wikipedia/Public Domain
Die Schlacht am Weißen Berg auf einem Ölgemälde von Peter Snayers. © Wikipedia/Public Domain

Es war eine kurze, aber grausame Schlacht. Am 8. November 1620 trafen am Weißen Berg in der Nähe von Prag die Truppen der Habsburger auf den böhmischen Adel. Nach nur zwei Stunden waren auf beiden Seiten rund 2.000 Mann gefallen. Der protestantische Theologe Johann Amos Comenius schrieb über das Gemetzel: „Nun sehe ich, wie sie nicht wenige mit abgehauenen Händen, Füßen, Köpfen, Nasen, durchbohrten Körpern, abgefranster Haut, alle von Blut entstellt, vom Schlachtfeld führen oder tragen, auf die ich aus Leid kaum sehen konnte.“

Die Schlacht am Weißen Berg war die erste große militärische Auseinandersetzung im Dreißigjährigen Krieg, sie entschied, dass Böhmen wieder katholisch werden musste, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung evangelisch war. Das Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veranstaltet vom 20. bis zum 22. September gemeinsam mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien eine Tagung, die sich mit den Ereignissen am Weißen Berg und den weitreichenden geschichtlichen Folgen beschäftigt. Einer der Vortragenden ist Robert J. W. Evans, Historiker aus Oxford. Im Gespräch erklärt Evans, warum diese Schlacht zentral für die Weichenstellung in Zentraleuropa war. Aber auch, warum viele Fragen nach wie vor offen sind.

Am Rande von Prag

Was passierte bei der Schlacht am Weißen Berg?

Robert Evans: Die zwei Gegenparteien waren einerseits eine katholische Allianz zwischen Habsburgern und Bayern, mit Unterstützung aus Spanien; andererseits die bunt zusammengewürfelte Armee der böhmischen Stände, die sich vornehmlich als Verteidiger des Protestantismus erhoben hatten. Die Katholiken errangen einen totalen Sieg, der um so vernichtender wirkte, weil der Feind sofort die Flucht ergriff und sowohl seine Hauptstadt – der Weiße Berg liegt bekanntlich am Rande von Prag – als das ganze Land räumte. Infolgedessen verlor nicht nur die protestantische Sache, sondern auch die Adeligen ihre bisherige Machtstellung im gesamten Böhmen.

Die Rädelsführer wurden enthauptet, Abertausende enteignet und exiliert."

Sie nennen ihren Vortrag: „1620 als Zäsur?“ Warum das Fragezeichen am Ende?

Evans: Es fand offensichtlich eine große Veränderung statt: Die Rädelsführer wurden enthauptet, Abertausende enteignet und exiliert; eine politische Wende trat ein. Allerdings lässt sich über die Tragweite des Bruchs nachsinnen. Weil es auch mildernde Umstände gab: Der neue Herrscher beließ der Aristokratie ihre Privilegien; die alte Verfassung blieb zumeist bestehen; die Volkskultur konnte aufblühen, trotz oder wegen der Gegenreformation, die sowieso vor dem Krieg eingesetzt hatte. Über die langfristigen Wirkungen kann man verschiedener Meinung sein. Die spätere tschechische Nationalbewegung etwa klammerte sich an Aspekte sowohl der vorweißenbergischen als auch der nachweißenbergischen Kultur und Gesellschaft.

Die Schlacht am Weißen Berg als Symbol

Welche Weichen wurden damals für Zentraleuropa gestellt?

Evans: Auch hier kann man unterschiedliche Akzente setzen. Die Folgen für Böhmen sind deutlicher auszumachen. Am auffälligsten ist die Stärkung der Machtposition der Habsburger. Ähnlich wie beim böhmischen Aufstand 1618-20, den man auch nicht mit dem gesamten Dreißigjährigen Krieg gleichsetzen sollte, geht es um gegenseitige Wechselbeziehungen. Das Scheitern dieser ersten großen Oppositionsbewegung hat die kaiserlichen und katholischen Sieger so zu neuen Angriffsplänen motiviert, dass weitere Gegner ins Feld rücken mussten, und so den Streit um einen Fenstersturz in Prag zu einer europaweiten Angelegenheit werden ließen.

Tschechisch verschwand langsam aus dem öffentlichen Leben sowie aus der höheren Gesellschaft."

Gab es auch sprachliche Auswirkungen?

Evans: Vor 1620 war das Königreich Böhmen ein Staat mit tschechischsprachiger Mehrheit und weitgehend tschechischer Amtssprache gewesen - die Nebenländer Schlesien und Lausitz ausgenommen. Unter der neuen Regierung wurde die deutsche Sprache der tschechischen gleichgestellt. Es gab keine Verbote, keine Diskriminierung. Immerhin verschwand Tschechisch langsam aus dem öffentlichen Leben sowie aus der höheren Gesellschaft. Zur Entrüstung einer späteren Generation tschechischen Sprachpatrioten, die den Weißen Berg ungerechterweise zum Symbol dieser nationalen Schmach hochstilisierten.

Was wäre, wenn diese Schlacht anders ausgegangen wäre? Wie würde Europa dann heute aussehen?

Evans: Kein Historiker würde sich dermaßen weit aus dem Fenster lehnen! Ich stelle einfach die damalige Alternative vor. Vor der Niederlage am Weißen Berge hatte die Ständeopposition eine Konföderation auf die Beine gebracht, in der alle Länder der böhmischen Krone mit Vertretern aus Österreich und Ungarn zusammenarbeiteten. Man kann sich eine Art mitteleuropäischer Union vorstellen, ohne Habsburger und wohl mit protestantischem Ethos. Ob ein solches Gebilde auf die Dauer lebensfähig gewesen wäre, ist unmöglich zu beurteilen. Jedenfalls wäre ein Ineinanderwachsen der verschiedenen Volksgruppen vielleicht fruchtbarer gewesen als das steife Befehlsmodell des dynastischen Absolutismus.

 

Auf einen Blick

Robert J. Evans ist Historiker an der University of Oxford. Im Rahmen der Tagung "Die Schlacht am Weißen Berg 1620 als Weichenstellung für Zentraleuropa. Akteure – Ereignisse – Entscheidungen – Folgen" beleuchtet er die Frage „1620 als Zäsur? Der Weiße Berg in der Historiographie".

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