Giraffen haben einen Vogel – und zwar als Alarmanlage
06.11.2025
Giraffen sind auf einem Kontinent zu Hause, auf dem Gefahr allgegenwärtig ist. Zwei neue Studien von Forschenden vom Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben nun herausgefunden, wie die Tiere Bedrohungen erkennen. In Südafrika untersuchten sie, wie Giraffen auf Raubtierlaute und auf die Warnrufe anderer Tiere reagieren – und zeigen, dass ihre Wachsamkeit zwar auf angeborenem Instinkt aber auch auf gelernter Erfahrung beruht. Eine besondere Rolle dabei spielt ein ungewöhnlicher Partner der Giraffen: die in Südafrika weitverbreitete Vogelart der Rotschnabel-Madenhacker.
Singvogel mit Warnlauten
Giraffen und Rotschnabel-Madenhacker führen eine für beide Seiten nützliche Beziehung: Der Singvogel ernährt sich von lästigen Parasiten auf der Giraffe – und alarmiert dafür seine Wirte mit harschen Rufen vor sich nähernden Raubtieren. Dass Giraffen auf diese akustischen Warnungen auch reagieren, hängt allerdings maßgeblich von einem Faktor ab: Sie müssen erst lernen, die Alarmsignale der Singvögel richtig zu deuten. Wie sie das lernen, zeigen der Bioakustiker Anton Baotic von der ÖAW und Georgine Szipl im Fachjournal „BMC Biology“.
In Südafrika testeten die Forschenden mittels Tonaufnahmen des Singvogels die Reaktion von Giraffen – und zwar von Tieren, die einerseits in Gebieten mit und andererseits in Gebieten ohne Löwen lebten. Das Ergebnis: „Unsere Studie hat gezeigt, dass Giraffen in Gebieten mit Raubtieren stärker auf die Alarmrufe reagieren. Sie verharren länger in einer aufmerksamen Haltung“, so Baotic. Tiere im löwenfreien Reservat hingegen zeigten deutlich schwächere Reaktionen auf dieselben Rufe der Vögel.
Gut gebrüllt, Löwe
Das bestätigt auch die zweite Studie, die im Fachjournal „Frontiers in Ecology and Evolution“ erschienen ist. Baotic und Szipl untersuchten darin, wie Giraffen auf direkte Raubtierlaute reagieren: Alle Giraffen zeigten eine sofortige Reaktion auf das Gebrüll von Löwen – selbst jene, die in löwenfreien Gebieten lebten. Aber: Giraffen, die regelmäßig mit Löwen konfrontiert waren, blieben deutlich länger wachsam. „Das unterstreicht, dass Giraffen nicht nur über eine angeborene Sensibilität für gefährlich klingende Laute verfügen, sondern dass Erfahrung ihr Verhalten zusätzlich verstärkt“, erklärt Baotic.
Erfahrung schärft die Wahrnehmung
Offenbar, so die Forschenden, schärft die Nähe zu Raubtieren bei Giraffen also die Sinne. Dadurch können sie auch die Warnsignale des Singvogels besser wahrnehmen und interpretieren. Denn dass es sich um ein gelerntes Verhalten handelt, darauf weist auch der Umstand hin, dass es zum Zeitpunkt der Tonaufnahmen in dem Gebiet mit Raubtieren erst seit fünf Jahren Löwen im Reservat gab.
Verlust von Verhaltenskompetenz
Die Erkenntnis, dass Giraffen die Warnrufe ihrer Vogelpartner deuten können, hat übrigens auch eine wichtige ökologische Konsequenz: Wenn Raubtiere aus einem Ökosystem verschwinden, verlieren die Giraffen die Fähigkeit, Gefahr zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. „Wir sprechen von einer ökologischen Amnesie, um diesen Verlust der Verhaltenskompetenz zu erklären“, so Baotic.
Wichtig ist das nicht zuletzt, wenn es darum geht, Giraffen in andere Reservate umzusiedeln. Giraffen, die nie mit Löwen konfrontiert waren, sind weniger wachsam, da sie nicht gelernt haben, die Warnrufe der Rotschnabel-Madenhacker mit Gefahr in Verbindung zu bringen.
Auf einen Blick
Publikation:
Anton Baotic, Georgine Szipl, Predator experience enhances giraffe vigilance to oxpecker alarm calls. BMC Biology volume 23 (2025).
DOI: 10.1186/s12915-025-02395-5
Anton Baotic, Georgine Szipl, Learning to fear: predator recognition in giraffes is shaped by evolved sensitivity and ecological experience. Frontiers in Ecology and Evolution 13:1634218 (2025).
DOI: 10.3389/fevo.2025.1634218
Rückfragehinweis
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