27.09.2023 | Kulturen des Gedenkens

Gewalt im Museum: Zwischen Schaden und Nutzen

Sind Darstellungen von Gewalt in zeithistorischen Ausstellungen als Belege für Gräueltaten notwendig? Oder erniedrigen sie vielmehr die Opfer? Diesen Fragen geht die ÖAW-Politologin Ljiljana Radonić in einer aktuellen Publikation nach.

In Gedenkstätten wie in Auschwitz werden Fotos bewusst eingesetzt, um die Verbrechen des NS-Regimes zu dokumentieren. Die Frage, ob die Darstellung von Gewalt in Museen notwendig ist oder nicht, ergibt zumeist keine eindeutigen Antworten. © AdobeStock

„Displaying Violence“ - unter diesem Buchtitel setzt sich Ljiljana Radonić, Politologin und stellvertretende Direktorin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), gemeinsam mit Kolleg:innen mit der Darstellung von Gewalt in Museen weltweit auseinander. In dem neu in der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften erschienenen Band werden verschiedene Herangehensweisen und kulturelle Unterschiede sowie die Perspektive von Austellungsmacher:innen dazu beleuchtet. Im Interview schildert Radonić, welche Erkenntnisse sie bei ihren Untersuchungen gewinnen konnte - und warum es keine einfache Formel für ein  "richtiges" Maß an Gewaltdarstellung in Museen gibt.

Wir weisen darauf hin, dass es in diesem Interview zu textlichen Darstellungen von verschiedenen Formen von gewaltsamen Handlungen kommt.

Massenmord und Erniedrigung

Was versteht man unter Gewaltdarstellungen in Museen – können Sie Beispiele nennen, die Anstoß der Kritik sind?

Ljiljana Radonić: Wir beschäftigen uns in dem Band vor allem mit Gewalttaten im 19. und 20. Jahrhundert, wie etwa dem Zweiten Weltkrieg oder kolonialer Gewalt. Dazu gehören Fotos aus dieser Zeit, welche etwa Massenerschießungen, sich zersetzende menschliche Überreste oder Kinderleichen zeigen. Auch Darstellungen von sexualisierter Gewalt, wie etwa Fotos von Jüdinnen, die von Nazis gezwungen wurden, sich auszuziehen und (fast) nackt durch die Straßen gejagt wurden, gehören dazu. Ebenso wie Fotos von Frauen in Unterwäsche kurz vor ihrer Erschießung. Dazu existieren Berichte von Überlebenden, die beschreiben, dass sie das Klicken der Kamera als zusätzliche Erniedrigung empfunden haben. All diese Fotos finden sich in Museen an vielen Orten der Welt.

Egal, wie man sich entscheidet, zahlt man auch einen Preis.

Ob man diese Fotos zeigen soll oder nicht ist durchaus eine zweischneidige Sache, oder? Einerseits könnten solche Darstellungen Verständnis und Empathie fördern, andererseits ist es natürlich ein erneutes Zurschaustellen oder Erniedrigen.

Radonić: Zweischneidigkeit ist ein gutes Wort. Damit beschäftige ich mich in meinem Beitrag, löse das aber nicht in eine Richtung auf, sondern sage: Egal, wie man sich entscheidet, zahlt man auch einen Preis. Entscheidet man sich, die Gewalt nicht zu zeigen, dann kann man das Grauen nicht durch das visuelle Material verdeutlichen. Und muss sich genau überlegen, wie man trotzdem die Ereignisse in all ihrer Grauenhaftigkeit vermitteln kann.

Entscheidet man sich jedoch, dass man dieses Material braucht, und nichts beschönigen will, dann reproduziert man, etwa mit dem Zeigen von Tätern gemachter Fotos, rassistische, antisemitische oder antiziganistische Klischees.

Entscheidender Kontext

Also gibt es nicht die eine richtige Lösung?

Radonić: Nein, aber wichtig ist, dass man - egal wie man sich entscheidet - das sehr bewusst und vor dem Hintergrund der heutigen Diskussionen darüber, was das Problematische daran ist, macht. Denn auch wenn man Gewaltdarstellungen zeigt, kommt es darauf an, wie. Man kann beispielsweise Hinweise darauf geben, dass es problematische Bilder sind, indem man sie völlig anders als andere Fotos ausstellt. Man muss diese auch nicht auf zwei Meter Größe aufblasen, sondern in der Größe des Originalabzugs zeigen. Oder man kann auch die Kamera als Waffe thematisieren.

Und generell gilt immer, dass man klar machen muss, ob es sich um ein von Täter:innen aufgenommenes Foto handelt, um eines von Beobachter:innen oder sogar um ein heimlich von den Verfolgten selbst gemachtes.

Man kann feststellen, dass es zum Beispiel in Österreich und Deutschland einen Trend gibt, sich von diesen überwältigenden Bildern abzuwenden.

Gibt es Unterschiede von Land zu Land, wie Gewalt dargestellt wird?

Radonić: Man kann feststellen, dass es zum Beispiel in Österreich und Deutschland einen Trend gibt, sich von diesen überwältigenden Bildern abzuwenden, vor allem in den neueren Ausstellungen.

Wir schauen uns aber zum Beispiel auch China an und hier gibt es keine Anzeichen, dass das Zeigen brachialer Gewalt als Problem gesehen wird. Da zeigt man etwa abgetrennte Köpfe, die auf einem Zaun hängen – das gilt dort als Abbildung des Authentischen. Das Gleiche gilt für Bilder sexualisierter Gewalt, etwa von der japanischen Armee zur Zwangsprostitution gezwungener Frauen, die nackt gezeigt werden. Auch was die Kriege aus den 1990er Jahren betrifft, wie den Genozid in Bosnien und in Ruanda, setzen Museen vielfach auf Gewaltdarstellungen. Umsichtig geht man hier aber mit sexueller Gewalt um. Es gibt also große kulturelle Unterschiede. Es geht uns nicht darum, Urteile zu sprechen, der Vergleich ist aber sehr interessant.

In wie vielen Ländern haben Sie sich Museen und Ausstellungen auf die Problematik hin angeschaut?

Radonić: Wir haben 50 Museen weltweit auf vier Kontinenten für unser Projekt untersucht. Etwa auch die USA und Israel. Letzteres ist auch sehr interessant in punkto Zweischneidigkeit. In israelischen Ausstellungen, zum Beispiel im Länderpavillon in Auschwitz, werden explizite Darstellungen von Leichen oder sexualisierter Gewalt gezeigt. Da zählt offenbar der Beweischarakter mehr, als hier zu überlegen, überwältigen diese Bilder oder erniedrigen sie die Opfer. Dass eine Ausstellung aus der Perspektive der Opfer so einen Zugang wählt, zeigt, dass es kein einfaches Richtig oder Falsch gibt.

Bilder der Vernichtung

Warum braucht man diese Darstellungen möglicherweise als Beweis?

Radonić: In Österreich und Deutschland sind wir darüber hinaus, dass man die Realität des Holocaust oder der Massenvernichtung im Museum beweisen müsste. Leugnung und Verzerrung gibt es natürlich massiv, aber dem kann man auch nicht durch Bilder der Vernichtung begegnen.

Gerade wenn der Krieg kürzer zurück liegt, wie in Ruanda und Bosnien, wird aber sehr wohl diskutiert, wie wichtig es ist, die Leichen zu zeigen, um den Genozid beweisen zu können, der von einigen Bevölkerungsgruppen in Frage gestellt wird.

Prinzipiell gibt es Warnungen vor einer Überwältigung der Besucher:innen durch eine „Pädagogik des Horrors“ schon länger.

In dem Band kommen auch Ausstellungsmacher:innen zu Wort – was berichten diese über ihre Erfahrungen mit den Herausforderungen?

Radonić: Deren Berichte sind ganz unterschiedlich und das zeigt die große Bandbreite der unterschiedlichen Zugänge auf. Sie machen sich auf völlig unterschiedlichen Ebenen Gedanken darüber. Ein paar auf einem fortgeschrittenen Level, der von der Kenntnis aller Diskussionen zeugt. Und andere, die ganz neu mit dieser Frage konfrontiert sind.

Da das Thema offensichtlich noch nicht überall angekommen ist, wie neu ist diese Kritik eigentlich?

Radonić: Prinzipiell gibt es Warnungen vor einer Überwältigung der Besucher:innen durch eine „Pädagogik des Horrors“ schon länger, seit etwa 20 Jahren. Nur hat das nicht dazu geführt, dass es Konsens geworden wäre.

Bei der Neugestaltung der Gedenkstätte Mauthausen etwa war es klar, dass man nicht mehr tote Opfer zeigt. Der einzig Tote, der zu sehen ist, ist der KZ-Kommandant, der tot im Zaun von Mauthausen hängt, also ein Täter.

Bei anderen ist diese Diskussion noch nicht angekommen. Deswegen schreiben wir auch dagegen an, weil wir wollen, dass zumindest alle, die eine Ausstellung machen, schon einmal von der Auseinandersetzung über das Zeigen von Gewalt und sexualisierter Gewalt gehört haben und darüber bewusst reflektieren.

 

Auf einen Blick

Der von Stefan Benedik, Zuzanna Dziuban und Ljiljana Radonić herausgegebene Band „Displaying Violence“ wird am 27. September im Haus der Geschichte Österreich präsentiert. Im Anschluss der Kooperationsveranstaltung des an der ÖAW angesiedelten ERC-Projekts "Globalized Memorial Museums" mit dem Haus der Geschichte Österreich (hdgö) gibt es eine Diskussion in deutscher und englischer Sprache.

Den neu erschienenen Band gibt es auch ab sofort als open access zu lesen:

Displaying Violence

Buchpräsentation und Diskussion