23.02.2023 | Winterourismus

„Für Skigebiete bis 1500 Meter wird es eng“

Hat der Wintersport in Zeiten des Klimawandels noch eine Zukunft? Diese Frage beantwortet anhand des aktuellen Forschungsstands ein neues Positionspapier von 14 Klima- und Sportforschungseinrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Einer der Autoren ist ÖAW-Gebirgsforscher Kay Helfricht. Er erklärt im Interview, worauf sich der Wintertourismus in den Alpen einstellen muss.

Skifahren im Grünen? Zukünftig könnte in niedrigeren Lagen weniger Schnee auf Wintersportler:innen warten. © Adobe Stock

Diesen Winter war für Skifahrer:innen schon mancherorts zu spüren, was in Zukunft noch öfters vorkommen könnte: wenig Schnee in niedrigeren Lagen. Expert:innen haben nun den aktuellen Stand der Klimawissenschaft zusammen getragen und kommen zu dem Schluss: „Über eine ganze Wintersaison gesehen, dominiert die Erwärmung, sodass in allen Höhenlagen die mittlere und maximale Schneemenge langfristig abnehmen dürfte“, heißt es im zweiten länderübergreifenden Positionspapier der Wissenschaftler:innen.

Aus Österreich beteiligt waren die GeoSphere Austria, das Institut für Geographie der Universität Innsbruck, das Schneezentrum Tirol am Management Center Innsbruck und das Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Kay Helfricht von der ÖAW weiß, auf welche Entwicklungen sich Wintersportler:innen und Touristiker:innen in den kommenden Jahren einstellen müssen, denn: „Klimamodelle werden ständig weiterentwickelt und wir können gewisse Aussagen jetzt mit größerer Sicherheit treffen als noch vor einigen Jahren.“

Schneefallgrenze steigt

Heuer gab es vor allem in Westösterreich einen milden Winter und kaum Schnee im Tal. Ist das die neue Normalität?

Helfricht: Der Winter heuer war in weiten Teilen des Landes zu warm und hat relativ wenig Niederschläge gebracht. Das ist noch nicht der neue Normalfall, aber in 30 bis 40 Jahren könnte der durchschnittliche Winter ungefähr so aussehen.

Die Schneefallgrenze wird sicher steigen und es wird je nach Höhenlage unter den Skigebieten Gewinner und Verlierer geben.

Was heißt das für den Wintersport?

Helfricht: Die Schneefallgrenze wird sicher steigen und es wird je nach Höhenlage unter den Skigebieten Gewinner und Verlierer geben. Einige hoch gelegene Skigebiete könnten durch die feuchtere Luft im Schnitt sogar mehr Schnee bekommen als heute. Die Auswirkungen können regional sehr unterschiedlich sein, weil hier auch Rückkopplungseffekte im Spiel sind. Neuschnee schmilzt zum Beispiel viel schneller, wenn er auf aperen Grund anstatt auf eine geschlossene Schneedecke fällt. Zudem gibt es im Klimasystem diverse Kipppunkte. Wenn die erreicht werden, ändern sich die Spielregeln mitunter in kurzer Zeit dramatisch.

ALPEN WERDEN 2 GRAD WÄRMER

In welchem Ausmaß wird es wärmer werden?

Helfricht: Wir gehen aktuell davon aus, dass die Jahresdurchschnittstemperatur in den Alpen Ende des Jahrhunderts um zwei Grad wärmer sein wird. Damit entspäche ein Durchschnittswinter in etwa den Verhältnissen im heurigen Februar, der mit Stand vom 22. Februar um 1,9 Grad wärmer ist als der Durchschnitt der Periode 1991 bis 2020. Dieses Szenario hält aber nur, wenn alle geplanten globalen Maßnahmen gegen den Klimawandel auch tatsächlich ergriffen werden. Andernfalls kann es noch deutlich wärmer werden. Unabhängig davon wird es Ausreißer nach oben und unten natürlich auch in Zukunft noch immer geben.

Wir gehen aktuell davon aus, dass die Jahresdurchschnittstemperatur in den Alpen Ende des Jahrhunderts um zwei Grad wärmer sein wird.

Werden Ausreißer und Extreme zunehmen?

Helfricht: Das ist schwer vorherzusagen. Derzeit ist das vermehrte Auftreten persistenter Wetterlagen, die für mehrere Wochen konstante Witterung bringen, Gegenstand der Forschung. Erst wenn wir solche Phänomene besser verstehen, können wir anfangen, deren Einfluss auf die zu erwartende Variabilität im Klima zu untersuchen. 

Wie sicher sind die Szenarien? Könnte ein unerwartetes Ereignis wie eine Abschwächung des Golfstroms den Temperatur-Trend für Europa umdrehen?

Helfricht: Große Systeme wie die Ozeane und die Atmosphäre reagieren träge. Aktuelle Trends werden sich also auf jeden Fall noch fortsetzen. Selbst wenn wir heute aufhören, CO2 in die Atmosphäre zu blasen, werden die Gletscher trotzdem noch jahrzehntelang weiter schmelzen. Plötzliche Veränderungen sind eher ausgeschlossen. Damit nichts passiert, das uns überrascht, ist ein gezieltes Monitoring der natürlichen Prozesse nötig.

LOKALE UNTERSCHIEDE BEI KLIMAWANDELFOLGEN

Welche lokalen Unterschiede sind für Österreich zu erwarten?

Helfricht: Es gibt lokale Mikroklimate, die sich stark von regionalen Trends unterscheiden können. An einem Schattenhang bleibt die Schneedecke länger geschlossen und Neuschnee hält sich dort deutlich länger. Aperer Boden auf einem Südhang heizt sich hingegen viel stärker auf. In Österreich sind die Unterschiede allein aufgrund der Höhenerstreckung mitunter besonders ausgeprägt. Wenn man solche regionalen Unterschiede genauer untersuchen will, muss man auch feinmaschiger modellieren und braucht entsprechende Messdaten. Das passiert derzeit eher in Einzelfällen, zum Beispiel im Zuge von Optimierungen im Schneemanagement. Pilotprojekte wie etwa in Seefeld zeigen Möglichkeiten für einen bewussteren Umgang mit den Ressourcen bei entsprechender Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, zum Beiepiel etwa Kälteseen, bei der Beschneiung.

Die CO2-Bilanz des Wintersports wird sich verbessern müssen.

Ist Wintersport unter solchen Voraussetzungen in Zukunft überhaupt noch vertretbar?

Helfricht: Man kann den Wintersport sicher nicht komplett wegdenken, aber die Frage, wie man das ökonomisch und ökologisch effizienter gestalten kann, wird immer wichtiger. Die CO2-Bilanz des Wintersports wird sich verbessern müssen. Das kann zum Beispiel heißen, dass man nicht gleich die gesamte Pistenfläche beschneit, sondern nur einen für den Betrieb notwendigen Teil, wenn der Schnee einmal ausbleibt.

Für einige Gebiete wird sich der Betrieb dann wohl nicht mehr rechnen.

Helfricht: Das ist für jedes Gebiet sehr unterschiedlich, ob und wie der Betrieb in Zukunft noch wirtschaftlich sinnvoll sein wird. Gebiete, die damit durchkommen können, wenn sie Anfang der Saison einmal eine Grundlage beschneien, werden das machen. Aber wenn nach jedem Tauwetter wieder aufwändig von neuem beschneit werden muss, ist das nicht mehr sinnvoll. Für viele Gebiete in mittleren und niedrigen Lagen – bis etwa 1500 Meter Seehöhe – wird es deshalb allein mit dem Skibetrieb sicher eng werden. Im Einzelfall können sich aber zum Beispiel Schattenhänge als Segen für niedriger gelegene Gebiete erweisen.

TOURISMUS GANZJÄHRIG BETRACHTEN

Welche Empfehlungen gibt es für den Wintertourismus?

Helfricht: Die Infrastruktur in den Bergen ist nun einmal vorhanden. Viele Skigebiete werden sich überlegen müssen, wie man das Angebot auch mit reduziertem oder gar ohne Skibetrieb attraktiv weiter nutzen kann. Auch sollte man Tourismusregionen als ganzjähriges Angebot denken, und somit eine Erweiterung in der Sommersaison in Betracht ziehen.

Man sollte Tourismusregionen als ganzjähriges Angebot denken.

Kann ich heute noch mit gutem Gewissen Skifahren?

Helfricht: Wenn die Anreise nicht zu weit ist, ja. Das sage ich mit einem Schmunzeln, aber oft sind die An- und Abreise für einen großen Teil des CO2-Ausstoßes beim Skifahren verantwortlich. Vielleicht sollte man sich generell wieder mehr den natürlichen Verhältnissen anpassen und nur dann Skifahren, wenn es die Witterung zulässt und der Winter auch wirklich begonnen hat. Ständig vorgezogene Skigebietsopenings müssen nicht unbedingt sein und hinterlassen einen großen CO2-Abdruck in der Jahresbilanz. Ein durchschnittlicher Skifahrer ist mit etwa zehn Skitagen im Jahr zufrieden. Da kann man auch mal etwas Geduld üben, bis die Saison beginnt. Oft sind die Verhältnisse im Kernwinter ohnehin besser. Nicht nur die Tourismusbranche muss sich in Zukunft die Frage stellen, was ökologisch und ökonomisch noch vertretbar und welches Angebot überhaupt nötig ist. Hier kann inter- und transdisziplinäre Forschung, wie sie zum Beispiel an unserem Institut an der ÖAW durchgeführt wird, sehr hilfreich sein, um neue Blickwinkel zu eröffnen.

 

Auf einen Blick

Kay Helfricht forscht am Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck.

2. Positionspapier „Wintersport und Klimawandel“