15.09.2022 | Staatsbegräbnisse

Ein letzter Besuch am Sarg

Die Welt nimmt Abschied von der verstorbenen Queen Elizabeth II. und verfolgt dabei genau choreografierte Abläufe einer staatlichen Trauer. Über Rituale von Begräbnissen der habsburgischen Monarch:innen spricht ÖAW-Historiker Markus Jeitler im Interview.

EIne Zeichnung zeigt den verstorbenen und auf einem Bett aufgebahrten Kaiser Ferdinand II.
Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) wurde nach seinem Ableben in ein Grazer Mausoleum überführt. © Wikimedia Commons/Public Domain/Bildarchiv Austria

Mit dem Tod von Queen Elizabeth II. am 8. September ist ein genaues Protokoll in Kraft getreten, das den Ablauf bis zum Staatsbegräbnis am 19. September regelt. Tod und staatlich organisiertes Gedenken haben in Monarchien schließlich eine besondere und lange Tradition. So war auch in der Habsburgermonarchie das Gedenken an verstorbene Habsburger:innen nicht auf geschlossene Räume begrenzt, sondern Teil des öffentlichen Lebens. Wie diese Begräbnisriten aussahen, darüber spricht Markus Jeitler, Forscher am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), im Interview.

Queen und Kaiser:innen

In London stehen die Menschen in der Warteschlange, um sich von der Queen Elizabeth II., deren Leichnam in der Westminster Hall aufgebahrt ist, zu verabschieden. Wohin gingen die Menschen in Wien damals, um sich von den habsburgischen Kaisern und Kaiserinnen zu verabschieden?

Markus Jeitler: Erfolgte das Ableben in Wien, so fand die Aufbahrung drei Tage lang in der Wiener Hofburg statt. Der verstorbene Kaiser wurde in der Ritterstube und die verstorbene Kaiserin im Spiegelzimmer aufgebahrt. Eine Ausnahme war Kaiser Franz Joseph I., der in der Hofburgkapelle aufgebahrt wurde. Die Verstorbenen wurden sehr festlich gekleidet und mit allen Insignien, also der Kaiserkrone samt Kronen von Böhmen und Ungarn versehen. Die Leibgarden bewachten die Aufbahrung. Zudem wurden Gedenkmessen gelesen, meistens zwei oder mehrere gleichzeitig. Die Hofmusikkapelle sang täglich mehrmals das Miserere – und jeder Mann und jede Frau konnten am Leichnam vorbeigehen und sich verabschieden. Da war der Andrang durchaus groß, wie es in Berichten heißt.

Getrennte Bestattung

Welche Besonderheiten fallen in den Begräbnisriten der Habsburger auf?

Die Eingeweide wurden ebenfalls entfernt und in einem kupfernen Gefäß verlötet."

Jeitler: Bei den Habsburgern wurde vom Mittelalter an bis ins 19. Jahrhundert aus Gründen der Konservierung des Leichnams die Sitte der getrennten Bestattung praktiziert. Nach dem Ableben der betreffenden Person wurde eine Obduktion vorgenommen. Es wurde das Herz entnommen und in einem silbernen oder vergoldeten Becher verlötet und dann in der Augustinerkirche in einer eigenen Zeremonie beigesetzt. Die Eingeweide wurden ebenfalls entfernt und in einem kupfernen Gefäß verlötet. Auch dafür gab es eine eigene Zeremonie. Sie wurden in den Stephansdom überführt, wo sie in der Herzogsgruft beigesetzt wurden. 

Der Sarg der Queen Elizabeth II. wurde mit großer öffentlicher Anteilnahme durch Großbritannien transportiert. Wie wurde die Überführung eines Leichnams in der Zeit der Habsburger begleitet?

Jeitler: Nach Wien überführt wurde etwa auch Kaiserin Maria Anna, die 1646 in Linz verstarb. Das war damals eine sehr heikle Sache, weil das nördliche Donauufer streckenweise von schwedischen Truppen besetzt war und diese von Korneuburg aus Kanonenschüsse auf den Schiffskonvoi abfeuerten. Letztlich ist der Trauerzug aber gut in Wien angekommen, wo der Leichnam der Kaiserin gleichsam wie zu Lebzeiten empfangen wurde. In den Quellen steht, dass „etlich tausend Menschen“ bei der Anlegestelle an der Rossauer Lände, am heutigen Donaukanal, anwesend waren, um die Kaiserin lautstark und öffentlich zu betrauern.

Wien, Graz und Prag

Führten alle Überführungen von verstorbenen Habsburger:innen nach Wien?

Jeitler: Es gibt mehrere Beispiele für aufwändige Überführungen, etwa jene des Leichnams von Ferdinand I. Er verstarb 1564 in Wien und wollte an der Seite seiner Frau Anna im Prager Veitsdom bestattet werden. Der Leichnam des Kaisers wurde ein Jahr lang in der Hofburgkapelle in Wien aufgebahrt und dann in einem großen Trauerzug nach Prag überführt. Davon gibt es zahlreiche Darstellungen.

Oder die Überführung von Kaiser Ferdinand II. im Jahr 1637. Er hat sich in Graz ein Mausoleum errichten lassen und wollte dorthin überführt werden. Dazu gab es einen großen Trauerzug von Wien nach Graz.

Kapuzinergruft

Wann wurde die Kapuzinergruft zum bevorzugten Beisetzungsort der Habsburger:innen?

Seit 1646 ist die Kapuzinergruft der bevorzugte Bestattungsort des Hauses Österreich."

Jeitler: Die Kapuzinergruft ist mit dem Kapuzinerkloster im Jahr 1617 von Kaiserin Anna gestiftet worden. Auch mit dem Zweck, dass es als Grablege für sie und ihren Ehemann, Kaiser Matthias, dienen sollte. Beide sind aber in den beiden darauffolgenden Jahren verstorben und das Kapuzinerkloster samt Gruft waren noch nicht fertiggestellt. Es dauerte bis 1633, ehe man sie überführen konnte.

Erst seit dem Tod der bereits erwähnten Kaiserin Maria Anna im Jahr 1646 ist die Kapuzinergruft der bevorzugte Bestattungsort des Hauses Österreich geworden. Das gilt bis ins 21. Jahrhundert: Otto von Habsburg wurde dort 2011 beigesetzt und seine Mutter, Kaiserin Zita, 1989.

Wie kann man sich ein Trauerkondukt in der frühen Neuzeit vorstellen?

Jeitler: In der frühen Neuzeit war es so, dass der Trauerzug von der Hofburg zur Kapuzinerkirche grundsätzlich bei Dunkelheit stattgefunden hat und mit Fackeln beleuchten wurde. Es war eine sehr besondere Stimmung; eine Straßenbeleuchtung existierte erst ab 1688. Es wurde eine ganz bestimmte Marschordnung eingehalten. Beginnend mit den Vertretern von Ordensgemeinschaften, die in Wien ansässig waren, dann Männer und Frauen aus dem Hofspital, Vertreter der Stadt Wien, also der Stadtrat und der Bürgermeister, dann die Landstände des Erzherzogtums Österreich unter der Enns, dann die Hofämter, die Geheimräte, die Hofmusikanten, das Domkapitel sowie Vertreter der Universität. Der Sarg wurde von zwölf Kämmerern getragen. Mit dabei waren auch der päpstliche Nuntius, die Leibgarden und natürlich die Mitglieder der Familie.

Landestrauer

Abseits der Trauerzüge: Inwiefern war die Öffentlichkeit in die Bestattungsrituale eingebunden?

Auch medial waren die Bestattungsrituale sehr präsent."

Jeitler: In der frühen Neuzeit wurde eine Landestrauer ausgerufen. Das ging über die kirchlichen Institutionen. In dieser Zeit wurden Lustbarkeiten, also Musik und Tanz ausgesetzt. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, an Gedenkgottesdiensten in den Pfarren teilzunehmen. Und nach einigen Wochen der Beisetzung sind so genannte Exequien abgehalten worden. Das sind an drei aufeinanderfolgenden Tagen stattfindende Seelenmessen, an denen der Hofstaat und die Familie teilnahmen, und die üblicherweise in der Augustinerkirche abgehalten wurden. Ab dem 18. Jahrhundert gibt es Hinweise darauf, dass auch bestimmte andere Institutionen, zum Beispiel der Wiener Magistrat oder die Jesuiten eigene Exequien abhielten. Und zu diesen Seelenmessen stellte man Trauergerüste auf, die sehr prächtig ausgeführt waren.

Und auch medial waren die Bestattungsrituale sehr präsent. So hat man sowohl von den Aufbahrungssituationen, als auch von den Trauerkondukten und Trauergerüsten Stiche angefertigt, die in bestimmten Kreisen der Bevölkerung ihre Verbreitung gefunden haben.

 

AUF EINEN BLICK

Markus Jeitler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gemeinsam mit Veronika Decker forschte er im Rahmen eines FWF-Projekts zur „Visuellen Kultur der Herrscherrepräsentation in Städten des habsburgischen Reichs – von Ferndinand I. bis Josef I.“.