Die Zukunft nachhaltiger Energien
08.04.2025
Europa ist nach wie vor von Energielieferungen aus anderen Regionen der Welt abhängig. Das trifft auch auf erneuerbare Energie zu: „75 bis 97 Prozent der Solarzellen werden heute aus China importiert. Bei Microchips ist Taiwan ein großer Hersteller“, sagt die finnische Klimaforscherin Paula Kivimaa, die am Umweltinstitut SYKE in Helsinki als Professorin arbeitet. Sie hat an dem interdisziplinären Report „Security of Sustainable Energy Supplies“ des European Academies Science Advisory Council (EASAC), dessen Sekretariat an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). angesiedelt ist, mitgearbeitet. Der Report zeigt Risiken, aber auch Möglichkeiten in Sachen Energiewende und -Sicherheit in Europa auf.
Hat der Angriff Russlands auf die Ukraine die Energiepolitik in Europa verändert?
Paula Kivimaa: Viele Staaten haben die massiven geopolitischen Risiken ihrer Energieversorgung lange ignoriert. Osteuropäische Staaten wie Estland, die direkt an Russland grenzen, waren auch aufgrund ihrer Geschichte da viel skeptischer. Mittlerweile ist aber allen EU-Ländern klar, dass es eine gemeinsame Strategie braucht, um eine sichere, nachhaltige Energieversorgung zu garantieren. Für die meisten Mitgliedstaaten hat der Ausbau der erneuerbaren Energien den zusätzlichen Vorteil, ihre Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern und stattdessen so viel wie möglich vom eigenen Energiebedarf durch eigene Produktion zu decken.
Wir sehen aber auch, dass eine dezentrale Energieversorgung nicht zuletzt im Fall eines Krieges weitaus sicherer ist.
Gleichzeitig muss es darum gehen, das innereuropäische Energiesystem stärker zu integrieren. Wir produzieren etwa in Finnland viel Wind-Energie, die wir auch in unsere Nachbarländer exportieren. In Zeiten, in denen es nicht so windig ist, können wir wiederum Strom aus Schweden und Norwegen beziehen. Ich halte das für einen sehr effizienten Weg, der allen Beteiligten nützt. Wir sehen aber auch, dass eine dezentrale Energieversorgung nicht zuletzt im Fall eines Krieges weitaus sicherer ist. Große Strukturen werden leichter zu Angriffszielen – mit verheerenden Auswirkungen für ganze Regionen. Wir haben in der Ukraine beobachtet, dass Krankenhäuser mit Solar-Modulen viel schneller Schäden am Energiesystem ausgleichen und weiterarbeiten konnten.
Wissenschaftliche Perspektiven auf Energiesicherheit
Wie ist der „Security of Sustainable Energy Supplies“ Report entstanden?
Kivimaa: Die Grundidee war, ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler:innenn aus verschiedenen europäischen Ländern zusammenzubringen, um die Auswirkungen einer nachhaltigen Energieversorgung auf unsere Sicherheit zu diskutieren – von technischen bis zu geopolitischen Aspekten. Aber auch Cyber-Security ist eine zentrale Frage, die wir ausführlich behandeln.
Das Beste an nachhaltigen Energien ist, dass wir unabhängig von Energieimporten sind, sobald die Anlagen stehen.
Welche Risiken gibt es noch bei diesen neuen Technologien?
Kivimaa: Das Beste an nachhaltigen Energien ist, dass wir unabhängig von Energieimporten sind, sobald die Anlagen stehen; Wind und Sonne müssen ja nicht importiert werden. Ein Risiko besteht jedoch darin, dass die meisten Komponenten von erneuerbaren Technologien nicht mehr in der EU produziert werden, ein weiterer Ausbau also nach heutigem Stand der Dinge nur mit Technik aus dem Ausland möglich ist. 75 bis 97 Prozent der Solarzellen werden heute aus China importiert. Bei Microchips ist Taiwan ein großer Hersteller. Sollte es mit diesen Ländern zu Lieferunterbrechungen kommen, dann würde sich diese Abhängigkeit deutlich bemerkbar machen. Die Energiewende bedeutet aber auch, dass wir von fossilem Erdgas zu elektrifizierten Systemen wechseln. Damit geht auch eine erhöhte Digitalisierung einher, die für Hacker-Angriffe gerüstet sein müssen. Es geht also auch viel um fehlendes Wissen und technische Herausforderungen.
Forderungen für die Politik
Ist dieser Bericht auch eine Handlungsempfehlung für EU-Politiker:innen?
Kivimaa: Ja, absolut. Seit 2022 hat die Europäische Kommission zahlreiche Initiativen ergriffen, um die Situation zu verbessern. Wir hoffen, den politischen Entscheidungsträgern in der EU–Unterstützung und Anregungen zu geben, wie sie die Politikgestaltung an der Schnittstelle von Energie und Sicherheit verbessern können. Es geht auch zunehmend um die Einbeziehung der Bürger:innen. Gerade Menschen mit niedrigem Einkommen brauchen mehr Wissen und bessere Möglichkeiten, um wirtschaftlich von der Energiewende profitieren zu können.
Es ist wichtig, dezentrale Technologien bei den Menschen vor Ort zu verankern.
Wie könnte das konkret aussehen?
Kivimaa: Wer ein eigenes Haus hat, kann natürlich Solarzellen und Wärmepumpen installieren, um selbst Energie zu produzieren. Dezentralisierung wird immer wichtiger, so kann auch eine ganze Straße oder eine Häusergruppe gemeinsam Energie produzieren und nutzen. Im herkömmlichen System sind es große, zentrale Kraftwerke, die die Energie liefern – und die Konsument:innen sind passiv. Es ist wichtig, dezentrale Technologien bei den Menschen vor Ort zu verankern.
Wie schwierig ist es, auf EU-Ebene einen gemeinsamen Weg zu finden?
Kivimaa: Die Mitgliedsstaaten sind sehr unterschiedlich aufgestellt, gerade, was Gasnetze betrifft. In meiner Heimat Finnland gibt es schon länger den Trend weg von zentralen, fossilen Heizkraftwerken hin zu Nahwärme oder Wärmepumpen. Es gibt also bereits Alternativen. Auch das Speichern von Strom in Batterien funktioniert immer besser, damit Haushalte überschüssige Solar-Energie ans Netz verkaufen können.
AUF EINEN BLICK
Paula Kivimaa ist Research Professor am Finnischen Umweltinstitut (SYKE) und Mitarbeiterin der Science Policy Research Unit (SPRU) an der Universität Sussex, Großbritannien. Sie ist Co-Chair von EASACs Working Group zum Thema Security of Sustainable Energy Supplies (SoSES).